Ex-Minister Hans-Peter Friedrich kritisiert Angela Merkels Kurs der Mitte, den Atomausstieg und fehlendes Profil in der Wirtschaftspolitik. CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt watscht ihren Vorgänger dafür ab.

Berlin. In der Union ist eine Debatte um den Mitte-Kurs von Angela Merkel entbrannt. Nach der Kritik von Ex-Minister Hans-Peter Friedrich an der Kanzlerin watschte Gerda Hasselfeldt ihren Vorgänger als CSU-Landesgruppenchef ab. „Dass in der Großen Koalition Kompromisse geschlossen werden mussten, weiß auch Herr Friedrich. Er war bei den Koalitionsverhandlungen verantwortlich mit dabei. Deshalb wundern mich seine Aussagen schon sehr“, sagte Hasselfeldt.

Friedrich macht Merkel für das Erstarken der Anti-Islam-Bewegung Pegida und der rechtskonservativen Partei AfD mitverantwortlich. Pegida zeige, „dass wir in der Vergangenheit mit der Frage nach der Identität unseres Volkes und unserer Nation zu leichtfertig umgegangen sind“. Die CSU müsse ihrer angestammten Rolle wieder gerecht werden, im Parteienspektrum die rechte Flanke abzudecken. Pegida organisiert seit Wochen Demonstrationen. In Dresden, wo die islamfeindliche Bewegung entstand, nahmen zuletzt 17.500 Menschen an den Protesten teil. Bundesweit formiert sich aber auch immer mehr Widerstand. Ebenfalls Kopfzerbrechen bereitet der Union die AfD, die in Sachsen und Thüringen mit guten Ergebnissen in den Landtage eingezogen war.

„Wenn Sie mich vor ein paar Jahren gefragt hätten, hätte ich gesagt: Wir putzen die weg, indem wir ihnen die Themen wegnehmen“, sagte Friedrich dem „Spiegel“. „Frau Merkel hat sich aber entschieden, der SPD und den Grünen die Themen wegzunehmen. Denken Sie nur an den planlosen Ausstieg aus der Kernenergie oder die Einführung der doppelten Staatsangehörigkeit.“ Diese Politik sei kurzfristig erfolgreich. „Langfristig ist es ein verheerender Fehler, der zur Spaltung und Schwächung des bürgerlichen Lagers führen kann“, sagte Friedrich.

Hasselfeldt trat der Kritik entgegen: „Unsere Politik ist der Grund für die Stärke der Union und nicht für das Erstarken von AfD und Pegida. Es ist nicht hilfreich, die Zusammenhänge zu verdrehen.“ Die Union liege seit über einem Jahr in den Umfragen bei 40 Prozent und mehr. „Das ist keine Momentaufnahme, sondern ein Zeichen dafür, dass die Menschen die Politik von CDU und CSU zu schätzen wissen. Das ist auch ein Verdienst der Bundeskanzlerin“, sagte Hasselfeldt. Unsere Aufgabe ist es nicht, Politik wie im vergangenen Jahrhundert zu machen, sondern auf der Basis christlich-sozialer Grundwerte Antworten auf aktuelle Herausforderungen zu finden. Dem werden wir gerecht.“

Auch Merkels Parteivize Volker Bouffier verteidigte Merkel. „Die CDU muss immer erkennbar bleiben. Aber wir müssen auch Antworten auf Fragen geben, die sich vor zehn oder 20 Jahren noch nicht gestellt haben“, sagte Hessens Ministerpräsident der „Welt am Sonntag“. Bouffier wertete Meinungsumfragen als Bestätigung: „Die Union ist mit Abstand die führende Partei“ – die AfD indes lediglich „ein wirrer Haufen, der Protest von allen Seiten aufnimmt“.

Friedrich kritisierte auch, die Union müsse in der Wirtschaftspolitik „wieder ein klares Profil“ entwickeln, und zählte einige Punkte auf: „Schutz des Eigentums statt staatlicher Eingriffe zum Beispiel durch Mietpreisvorgaben oder Frauenquoten. Wertschätzung von Leistung statt Anrechnung von Arbeitslosenzeiten auf die Rente mit 63 zulasten der Beitragszahler. Schluss mit Kostenbelastungen für unsere Mittelständler, angefangen von der Umlage für das Erneuerbare-Energien-Gesetz bis hin zu sinnloser Bürokratie, die in der neu eingeführten staatlichen Mindestlohnüberwachung gipfelt.“

Viele teilen Friedrichs Kritik

Mit dieser Kritik steht Friedrich in der Unionsfraktion nicht alleine da. „Wir müssen den Menschen wieder eine Vision vermitteln“, sagte Carsten Linnemann, Chef des CDU-Wirtschaftsflügels. „Wir brauchen einen Plan, wie am Ende des Tages das Haus aussehen soll, anstatt nur Stein auf Stein zu legen“, so Linnemann. Hans Michelbach, Chef der CSU-Mittelstandsvereinigung, sagte: „Die Unionsparteien haben ihren Kurs auf den diesjährigen Parteitagen schon deutlich geschärft.“ Wie Friedrich warnte aber auch Michelbach: „Die Union muss dafür sorgen, dass das bürgerliche Lager nicht gespalten wird. Eine solche Spaltung würde nur der politischen Linken nutzen.“

Nach Einschätzung von Bouffier wird die Bundestagswahl 2017 zur „Richtungsentscheidung“ – allerdings nicht zwischen den traditionellen linken und rechten Lagern, sondern zwischen Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün. „Wer wissen will, wohin die Reise geht in Deutschland, muss die Entwicklung in Thüringen und in Hessen beobachten“, sagte Bouffier. Grünen-Kovorsitzender Cem Özdemir warnte Hessens Ministerpräsidenten davor, die nächste Bundestagswahl „als ideologischen Rechts-links-Streit umzudeuten. Das geht an der gesellschaftlichen Realität dieses Landes vorbei“, sagte Özdemir. Länderkoalitionen hätten „nur bedingt Vorhersagekraft für den Bund“.

Außerdem habe die Union noch viele Hausaufgaben zu machen. Sie müsse den Klimawandel und die Energiewende ernst nehmen und weniger Klientelpolitik wie bei der Mütterrente betreiben, sagte Özdemir. „Und die CSU sollte sich langsam abgewöhnen zu glauben, fremdenfeindliche Rhetorik könne eine vernünftige Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik ersetzen.“ Die Grünen seien bereit zu regieren, betonte Özdemir. „Aber dafür werden wir uns weder verbiegen noch uns damit begnügen, für ein bisschen grüne Dekoration zu sorgen.“