Früherer SPD-Abgeordneter, dem Besitz von Kinderpornos vorgeworfen wird, sagt, ein anderer SPD-Abgeordneter habe ihn gewarnt.

Berlin. In der Nacht zum Sonntag veröffentlicht Sebastian Edathy auf seiner Facebook-Seite ein Gedicht. Es stammt aus der Feder des großen, später von schwerer Krankheit gezeichneten deutschen Romantik-Lyrikers Friedrich Hölderlin (1770–1843). „Vom Abgrund nemlich...“, lautet der Titel. „Sehr schönes Gedicht“, schreibt Edathy und setzt einen Smiley dazu.

Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete hat in den vergangenen Monaten selbst in den Abgrund geschaut. Selbst verschuldet, sagen viele mit Blick auf die Anklage wegen des Verdachts auf den Besitz von Kinderpornos. Seit er Anfang Februar sein Mandat niederlegte, ist der 45 Jahre alte Edathy zu einem Phantom geworden, das nun die schwarz-rote Koalition in der Bundeshauptstadt wieder heimsucht.

Seine bürgerliche Existenz liegt in Trümmern, nun schweift Edathy durch Europa und angrenzende Regionen. Zunächst Skandinavien, dann das Mittelmeer. Man kann in seinem Verweis auf das Gedicht von Hölderlin durchaus etwas hineinlesen. Hölderlin galt später als gespaltene Persönlichkeit, der einen großen Teil seines Lebens abgeschieden von der Außenwelt im Tübinger „Hölderlin-Turm“ verbrachte. Der Lyriker stand außerhalb der Gesellschaft – so wie Edathy heute. Auch scheint sich Edathy, fern der niedersächsischen Heimat, von der romantisierenden Deutschland-Sehnsucht Hölderlins angesprochen zu fühlen.

Mittlerweile versucht Edathy wohl, sich eine neue Existenz in Nordafrika aufzubauen, wissen Journalisten von „Spiegel Online“, die ihn im März an einem geheimen Ort interviewten („Ich bin nicht pädophil“).

An diesem Donnerstag will der 45-Jährige für einen Tag nach Berlin zurückkehren. Dort stieg er einst zum Jungstar der Sozialdemokraten auf. Machte sich als Vorsitzender des Bundestagsausschusses zu den Morden der rechtsextremen NSU-Bande einen Namen. Dann tat sich jener Abgrund auf, in den auch die Karriere des einstigen CSU-Innenministers Hans-Peter Friedrich gerissen wurde. Dieser erzählte der SPD-Spitze im Oktober 2013 (da wurde noch an der Großen Koalition geschmiedet) von möglichen Ermittlungen gegen Edathy. Nach Überzeugung der Staatsanwälte hatte der Abgeordnete Bilder oder Filme nackter Jungs über einen Bundestagsserver heruntergeladen, was Edathy jedoch bestreitet.

Seitdem bewegt eine Frage den Berliner Politikbetrieb: Wer wusste was wann von wem – und wer warnte Edathy, dass ihm das Bundeskriminalamt (BKA) mit Datenmaterial aus Kanada auf der Spur ist? Monatelang mühte sich der Edathy-Ausschuss ab, doch nur ein vager Hinweis aus einem Telefongespräch Edathys kam dabei heraus. Bis zu diesem Wochenende.

Da nannte Edathy der Hamburger Illustrierten „Stern“ erstmals einen Namen: Michael Hartmann. Auch der war mal SPD-Innenexperte. Auch er ist angeschlagen, seit er im Sommer mit der synthetischen Droge Crystal Meth erwischt wurde. Hartmann ist ein alter Kumpel von Edathy. Warum liefert der ihn jetzt ans Messer?

In der SPD-Fraktion wittern sie eine „Schmutzkampagne“, die Edathy mit seinen Angaben gegenüber dem „Stern“ anzetteln wolle. Was passiert, wenn der untergetauchte Abgeordnete am Donnerstag vor der Presse – wo er nicht unter Eid steht – prominente Genossen mit hineinzieht in die Affäre?

Bei Facebook hat Edathy in den letzten Monaten eher zynisch und verbittert die eigene Affäre kommentiert. Man kann den Eindruck gewinnen, dass er versucht, sich zuallererst als Opfer zu sehen. Vorverurteilt, auch von den eigenen Leuten, den ehemaligen Freunden in der SPD.

So schildert er am 7. Dezember einen Anruf bei einer großen Kreditkartenfirma. Seine Karte geht plötzlich nicht mehr. Er hört, dass sein Konto gelöscht wurde. „Ich bin seit 20 Jahren Kunde bei Ihnen“, erwidert Edathy. Er habe noch nicht mal eine Kündigung bekommen. „Das war ein Fehler, das stimmt. Aber Sie können gerne einen neuen Antrag stellen“, sagt die Stimme am anderen Ende der Leitung.

Ein Wort echten Bedauerns ist von Edathy bisher nicht bekannt. Die „Stern“-Reporter, die sich mehrfach mit ihm treffen, wollen bei der Glaubwürdigkeit ihrer Quelle auf Nummer sicher gehen. Sie fordern, dass er seine Behauptungen an Eides statt untermauert. Das tut er auch.

Aber liefert er irgendwann harte Beweise? Der frühere BKA-Präsident Jörg Ziercke hat Edathys Darstellung prompt dementiert. Er habe Hartmann nicht informiert, sagt Ziercke. Dem früheren SPD-Innenexperten Hartmann werden aber gute Kontakte zur Wiesbadener Behörde nachgesagt. Auch Hartmann weist die Behauptung zurück, er habe Edathy zurückgewiesen, er habe seinen Parteifreund vor möglichen Kinderporno-Ermittlungen gewarnt. „Die Darstellung von Herrn Edathy ist unzutreffend“, heißt es in einer persönlichen Erklärung Hartmanns. Er habe sich aber um Edathy gekümmert und mit ihm verschiedentlich über dessen Befürchtung, gegen ihn könne strafrechtlich ermittelt werden, auch kommuniziert. „Auf angebliche Informationen des damaligen BKA-Präsidenten Ziercke griff ich dabei nicht zurück.“ Ende November 2013 hatte Hartmann seinen Fraktionschef Thomas Oppermann darauf angesprochen, dass es Edathy schlecht gehe. Oppermann, der zu dem Zeitpunkt sehr wohl weiß, warum sich sein Aufsteiger so mies fühlt, sagt, er habe Hartmann nur gebeten, sich um Edathy zu kümmern.

„Das kann man glauben. Das muss man aber nicht glauben“, meint der Chef des Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU). In der Union gibt es nicht wenige, die bis heute nicht verwinden können, dass ihr Innenminister Hans-Peter Friedrich in der Causa Edathy zu Boden ging, Oppermann aber immer noch steht.