Wie schwer verletzte ukrainische Soldaten, die im Bundeswehrkrankenhaus behandelt werden, die Situation im Osten des Landes sehen

Hamburg. „Ich wurde beim Rückzug aus dem Kessel von Ilowajsk durch Granatenwerfer-Feuer verwundet“, erzählt Sergij, der sich freiwillig beim Bataillon Donbas gemeldet hatte, um die Grenzen der Ukraine zu verteidigen. In Ilowajsk, etwa 20 Kilometer östlich von Donjetzk gelegen, war erbittert gekämpft worden zwischen den ukrainischen Streitkräften und bewaffneten Separatisten auf der anderen Seite. Das Gefecht dauerte drei Wochen. Als die Ukrainer nach einem Waffenruhe-Abkommen den Kessel durch einen Korridor verlassen wollten, gerieten sie unter Beschuss, und Sergij wurde schwer am Arm verletzt. Bis sie es in das nächste Krankenhaus geschafft hatten, war der Arm schon schwarz, und es sah so aus, als müsste er amputiert werden.

Aber dank der Bemühungen von Ärzten und ehrenamtlichen Helferinnen, die wichtige Medikamente gebracht hatten, konnte das Schlimmste verhindert werden. So wie vier anderen ukrainischen Soldaten ist Sergij momentan in Behandlung im Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg. Insgesamt werden in Hamburg, Berlin, Koblenz und Ulm zurzeit 20 Soldaten aus der Ukraine behandelt. Auch andere europäische Länder haben schwer verwundete ukrainische Soldaten zur Behandlung aufgenommen.

Sergij hat sich im Frühling freiwillig gemeldet. Trotz seiner Verletzungen bedauert er diesen Schritt nicht. Mehr noch: Wenn die Kommandeure es erlauben werden, will er wieder für die Ukraine kämpfen. Er war damals sehr empört, als er davon hörte, dass die Ideen vom Separatismus im Donbas immer mehr an Popularität gewonnen hatten und viele Menschen über die Unabhängigkeit der Region und sogar über den Anschluss an Russland gesprochen hatten. „Ich habe angefangen, meine Haltung als Bürger der Ukraine zu zeigen. Dabei hat mich meine Frau sehr unterstützt.“

„Zuerst zählte das Bataillon nur 50 Personen, aber das sind die Besten der proukrainischen Bewegung“, davon ist der Soldat überzeugt. Seiner Meinung nach ist die schlechte wirtschaftliche Situation der Hauptgrund, warum die Separatisten in Donbas unterstützt werden. „Wenn wir ein großes Gehalt wie in Russland bekommen würden, wäre die Frage des Anschlusses anRussland nie entstanden“, sagt Sergij.

Ein anderer Soldat, Olexander, der ebenfalls im Bundeswehrkrankenhaus behandelt wird, kommt aus der südukrainischen Stadt Krywyj Rih. Er wurde im März zum Militärdienst einberufen und Ende August nahe der Industriestadt Schachtarsk schwer verletzt. Deutsche Ärzte sind überzeugt davon, dass es ihm bald besser gehen wird. Trotzdem muss Olexander noch mindestens sechs Wochen im Krankenhaus bleiben.

An der Wand des Krankenzimmers von Olexander hängen Kinderzeichnungen in Blau und Gelb – den Farben der ukrainischen Flagge. Die Bilder haben deutsche Kinder in ihren Schulen gemalt. Olexander vermisst seinen fünfjährigen Sohn und seine Frau sehr. Sie warten in seiner Heimatstadt auf ihn. Mit großer Ungeduld wartet er auf den Augenblick, an dem er endlich nach Hause kann.

Vadym hat es am schlimmsten getroffen. Er hat schwere Verletzungen an den Beinen, an der Brust und an den Atemwegen, auch sein Gesicht wurde sehr schwer verletzt. Er hat bereits 13 Operationen überstanden, weitere stehen noch bevor. Neben ihm detonierte eine 120-Millimeter-Mörsergranate. Die Explosion war so heftig, dass im Haus nebenan die Türen und die Fenster herausgerissen wurden. „Der Knochen ragte aus meinem Bein, Fleisch hing heraus“, erzählt Vadym. Die Ärzte brauchten viel Zeit, um zu operieren und zu nähen, sagt Vadym. Er versucht gelassen zu wirken, lächelt sogar ein bisschen.

Eigentlich kommt Vadym aus der Westukraine. Seit 1999 ist er in der Armee. Er war 17 Jahre alt, als er vereidigt wurde. Er erzählt, dass er sich schon in der neunten Klasse entschlossen habe, zum Militär zu gehen. Während des Konflikts im Osten war er stellvertretender Bataillonskommandeur. Vadym ist überzeugt, dass jeder Verstoß gegen die Souveränität und Integrität des ukrainischen Staates ein Verbrechen ist. Deshalb sind Menschen, die diese zu verletzen versuchen, für ihn Kriminelle.

Die Revolution in der Ukraine bezeichnet er als Unruhen. Während des Euromaidans, der proeuropäischen Demonstrationen auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, war er auf der anderen Seite der Barrikade – auf der Seite der Sicherheitskräfte. Er war dort auch zu der Zeit, als auf die Demonstranten geschossen wurde. „Ich weiß nicht, wer für die Schüsse verantwortlich ist.“ Er bleibt da vage, er sagt, jeder habe damals schießen können. Auch wenn Vadym während des Euromaidans auf der anderen Seite der Barrikade stand, sagt er, dass sich die Ukraine in Richtung EU entwickeln müsse. Er sei aber der Auffassung, dass die Demonstrationen keine guten Folgen hatten.

Darauf angesprochen, dass er das Regime des Ex-Präsidenten Janukowitsch verteidigt habe, das jahrelang Staatsgelder veruntreut hatte, antwortet er ganz als Soldat: „Ich habe einen Eid geschworen, die Ukraine zu verteidigen. Es ist mir egal, ob zu der Zeit der Präsident Juschtschenko, Janukowitsch oder Poroschenko hieß. Ich muss meinen Befehl ausführen.“

Im Bundeswehrkrankenhaus kümmern sich die Ärzte, Krankenschwestern und ehrenamtlichen Helfer um die ukrainischen Soldaten nach seinen Angaben sehr gut. Alle Soldaten hier, auch Mykola aus Volyn und Andrij aus Luhansk, kommen zwar aus verschiedenen Orten und haben verschiedene Hintergründe. Aber alle haben ein gemeinsames Ziel – die einheitliche Ukraine.