Kabinett winkt Entwurf von Arbeitsministerin Nahles durch. Streikbilanz bietet kaum Begründung

Berlin. Die Koalition will die Streikmacht kleiner Gewerkschaften eindämmen. Das Kabinett ließ dazu am Donnerstag in Berlin das von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) eingebrachte umstrittene Tarifeinheits-Gesetz passieren. Wenn es in einem Betrieb voneinander abweichende Tarifverträge für denselben Geltungsbereich gibt, soll nur noch der Vertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern anwendbar sein. Arbeitskämpfe wie derzeit bei der Bahn sollen so künftig vermieden werden. Im Konfliktfall müssen Arbeitsgerichte über den anwendbaren Tarifvertrag entscheiden. Die Gewerkschaften sind gespalten in Befürworter und Gegner des Gesetzes. Es geht nun in den Bundestag.

Die Berufsgewerkschaften für Ärzte, Piloten und Journalisten werfen der Bundesregierung einen Verstoß gegen das Grundgesetz vor. Mit der Billigung des Gesetzentwurfs am Donnerstag hätten Kanzlerin Angela Merkel und das Kabinett einen Verfassungsbruch akzeptiert, erklärte die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit. Nahles wies die Kritik zurück. „Wir greifen nicht aktiv ins Streikrecht rein“, sagte die SPD-Politikerin. Vielmehr solle die Zusammenarbeit zwischen den Gewerkschaften gestärkt werden. Die Arbeitgeber, aber auch die mit über zwei Millionen Mitgliedern größte Gewerkschaft Europas, die IG Metall, lobten den Vorstoß.

Im internationalen Vergleich wird in Deutschland wenig gestreikt

Nahles zufolge soll das Gesetz im Frühsommer 2015 in Kraft treten. Es führt das Mehrheitsprinzip ein: Wenn in einem Betrieb zwei Gewerkschaften um dieselbe Beschäftigtengruppe konkurrieren, soll am Ende nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in dem Betrieb gelten. Gerichte könnten auf Grundlage des Gesetzes entscheiden, dass die Minderheitsgewerkschaft nicht streiken darf, weil der Tarifvertrag, für den sie streiken will, nie wirksam würde. Die Arbeitgeber hatten seit 2010 mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund auf eine gesetzliche Regelung gedrungen. Damals weichte das Bundesarbeitsgericht in einem Prozess des Marburger Bundes das Prinzip „ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ auf. Mittlerweile sind die DGB-Mitgliedsgewerkschaften aber gespalten. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di lehnt das Gesetz als Eingriff in Gewerkschaftsrechte ab. Klare Befürworterin ist dagegen die IG Bergbau-Chemie-Energie. Die IG Metall stellte sich nun auch auf die Seite der Unterstützer.

Im internationalen Vergleich wird in Deutschland wenig gestreikt. In den Jahren 2005 bis 2012 fielen pro 1000 Beschäftigte 16 Arbeitstage durch Arbeitskämpfe aus, wie das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ermittelt hat. Frankreich, Kanada und Dänemark kamen auf 100 Ausfalltage. Die USA stehen mit zehn Tagen etwas besser da.