Wolfgang Schäuble und Olaf Scholz wollten eine schnelle Einigung. Doch die Verhandlungen stocken, und die Grünen warnen vor höheren Steuern

Hamburg/Berlin. Es ist die Debatte des Jahres, vielleicht der gesamten Regierungszeit der Großen Koalition, sagt ein Bundestagsabgeordneter in Berlin. Die öffentlichen Finanzen der Bundesrepublik werden neu geordnet: Was wird aus dem Solidaritätszuschlag, der mit dem Solidarpakt II im Jahr 2019 endet? Volumen dann: etwa 18 Milliarden Euro pro Jahr. Wie stark soll der Bund helfen, wenn die Bundesländer in einigen Jahren laut Verfassung keine neuen Schulden mehr machen dürfen? Und wer übernimmt die Altschulden der Länder – nicht nur in Ostdeutschland, auch im finanzschwachen Bremen oder im Saarland? Es geht um Hunderte Milliarden – und um Gerechtigkeit in Deutschland. Ein schwerer Brocken.

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hätte den großen Wurf gern noch in diesem Jahr ins Ziel gebracht. Würde ja auch gut passen, nur wenige Monate vor der Bürgerschaftswahl. Für eine schnelle Lösung hatte Scholz gemeinsam mit Ressortchef Wolfgang Schäuble (CDU) ein Diskussionspapier erarbeitet. Scholz verhandelte dabei für die Länder, Schäuble für den Bund. Die beiden kennen sich lange und gut, hatten im vergangenen Jahr den Koalitionsvertrag der Großen Koalition mit ausgearbeitet. Die Idee einer stillen und schnellen Einigung hatte ihren Reiz.

Doch nun wird die Stille von der Kritik übertönt: Scholz und Schäuble hätten Hinterzimmerpolitik betrieben, beschweren sich Grüne und Linkspartei. Und die Debatten in Talkshows und auf Titelseiten dreht sich fast ausschließlich um den Soli. Auch weil sich viele Politiker quer durch die Parteien mittlerweile einig sind, dass das Geld vom Soli-Beitrag auch nach dem Jahr 2019 weiter gebraucht wird. Fragt sich nur, wofür. Und wer darüber entscheidet.

Dabei ist eine schnelle Einigung für die Koalition wichtig, denn schwere Brocken können vor allem zu Beginn einer Regierungszeit bewegt werden – möglichst weit vor den nächsten Wahlen. Finanzpolitiker in Berlin rechnen mittlerweile aber nicht mehr mit einer Einigung vor Sommer 2015. Arbeitsgruppen tagen: in der Koalition, in der SPD, in der Union, auf der Länderebene. Am Mittwoch wurde auch im Bundestag diskutiert. Die Fronten verlaufen teilweise quer durch die Parteien. Landespolitiker gegen den Bund, Bundespolitiker gegen die Länder. Und auch innerhalb der Parteien wird gestritten, das zeigt der Protest einiger Unionspolitiker gegen den Plan des Parteikollegen und Finanzministers Schäuble.

Worum wird gerungen? Scholz und Schäuble hatten zur Debatte gestellt, den Soli in die Einkommenssteuer zu integrieren. Die rund 18 Milliarden Euro stünden dann nur noch zu 42 Prozent dem Bund zu. Für Länder und Kommunen hat die Idee Charme, sie bekämen die anderen 58 Prozent und wären nicht mehr darauf angewiesen, dass der Bund ihnen gnädigerweise ein bisschen abgibt.

Vor allem Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD macht derzeit Druck, dass der Soli künftig nicht mehr überwiegend in den Osten fließt, sondern auch für marode Brücken in NRW bereitsteht. Längst sind Arm und Reich in Deutschland nicht mehr eine Frage der Himmelsrichtungen. Auch Bremen oder das Saarland brauchen Geld.

Doch käme es zur Integration des Soli in die Einkommensteuer, würde dies in 8,44 Millionen Fällen zu einer höheren Steuerlast führen. 24 Millionen Menschen wären betroffen, vor allem Großfamilien mit mittleren oder niedrigen Einkommen. Das geht aus der Antwort des Finanzministeriums auf eine Anfrage der Grünen hervor, die dem Abendblatt vorliegt. Bisher rechnet das Finanzamt zunächst aus, wie viel Einkommensteuer ein Bürger zahlen muss, erst dann schlägt es 5,5 Prozent Soli drauf. Für den Bund sind das derzeit Einnahmen von 14 Milliarden Euro. Will der Staat dieses Geld auch nach 2019 einnehmen, kommt er an einer Steuererhöhung nicht vorbei. So müsste eine Familie mit einem Kind im schlechtesten Fall 203 Euro im Jahr mehr zahlen, eine Familie mit vier Kindern sogar 526 Euro.

Die Grünen-Finanzexpertin und Hamburger Bundestagsabgeordnete Anja Hajduk nennt die Pläne zur Integration des Soli in die Einkommenssteuer unsozial. „Will man diese Mehrbelastung kompensieren, müsste man auf rund ein Drittel des Solidaritätszuschlags verzichten“, sagt Hajduk.

Doch auch die Pläne von Scholz und Schäuble schließen höhere Steuern für die Bürger aus, die beiden wollen mit dem Abbau der „kalten Progression“ entgegenwirken – also den Steuertarif an die Inflation anpassen. Das entlastet vor allem mittlere Einkommen. Zudem bringt das Finanzministerium nun eine Erhöhung des Kindergelds um 17 Euro für das erste, je neun Euro für das zweite und dritte sowie zehn Euro für jedes weitere Kind ins Spiel, um höhere Steuern für Familien auszugleichen.

Die Debatte um den Soli zeigt: Bewegt man eine Steuerschraube, dreht sich das ganze Rad. Deshalb geht es Politikern auch um eine Entflechtung der Finanzen – und der Verantwortlichkeiten. Ein Beispiel: Der Bund zahlt Millionen für den Kita-Ausbau in den Ländern, das Personal aber finanziert die Kommune. Gleichzeitig haben die Länder in kaum einem anderen Staat so wenig Autonomie in der Steuerpolitik wie in Deutschland. Manche – vor allem die finanzstarken – Bundesländer fordern: Wer bestellt, der zahlt. Doch wie viel Eigenstaatlichkeit der Länder verträgt ein solidarisches Deutschland? Es geht nicht nur um den Soli, es geht auch um den Föderalismus in Deutschland. Und das ist der schwerste Brocken.