Vor 125 Jahren begann die Geschichte der gesetzlichen Rentenversicherung. Vom Vordenker Otto von Bismarck bis zur Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ist es ein überraschend kurzer Weg. Das muss man über die Rente wissen.

Der Weg vom Eisernen Kanzler Otto von Bismarck zur Sozialdemokratin Andrea Nahles ist nicht so lang, wie man meinen könnte. Schlappe 125 Jahre kurz, unterbrochen zwar von zwei Weltkriegen, einer Inflation, den Nazis, einer deutschen Teilung und einer Wiedervereinigung. Doch was Sozialistenfresser Bismarck begann, setzt Nahles in eingespielter Tradition fort, komme wer und was da wolle.

Die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland feiert an diesem Dienstag mit gebremstem Pomp und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihr 125-jähriges Bestehen. Der hundertste Geburtstag 1989 stand etwas im Schatten des Mauerfalls, der ja nicht nur die Rente nach westdeutschem Vorbild in die östlichen Landesteile brachte. Und so kann sich Bundesarbeitsministerin Nahles, für die gesetzliche Rentenversicherung zuständig, bei der Feier im Berliner Abgeordnetenhaus mit Bismarck schmücken.

Fragt sich, wer da die Ironie der Geschichte auf seiner Seite hat. Bismarck wollte ja gerade mit seiner Krankenversicherung ab 1883 und dem „Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung“ 1889 die Sozialdemokraten schwächen, die ohnehin unter dem Sozialistengesetz litten. Seine Revolution von oben war ein geschickter Schachzug. Knappschaftsvereine für die Absicherung von Bergleuten hatte es damals bereits gegeben. Nun wurden Arbeiter und später Angestellte gesetzlich rentenversichert.

Doch was hieß das? Wer bei den üblichen 60-Stunden-Wochen berufsunfähig wurde, profitierte schon. Eine Altersrente gab es erst mit 70 Jahren – ein Witz angesichts der damaligen Lebenserwartung.

1911 und 1916 gab es die ersten größeren der so beliebten Rentenreformen in Deutschland. Witwen und Waisen wurden besser versorgt, das Rentenalter auf 65 herabgesetzt. Erstaunlich und bis heute gleich: Schon damals finanzierte sich die Rentenkasse aus gleich hohen Anteilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, hinzu kommt seit jeher ein Zuschuss aus Steuern.

Allerdings wurde die Rentenversicherung so kalkuliert, dass sie Rücklagen bildete, aus denen die Renten gezahlt wurden (Kapitaldeckung). Nach der Inflation 1923 war teilweise Schluss damit. Die Renten wurden unmittelbar aus den Beiträgen bezahlt (Umlageverfahren).

Die Nazis entzogen Arbeitgebern und Arbeitnehmern 1934 die Selbstverwaltung der Sozialversicherung, nahmen Juden die Rentenansprüche weg und plünderten die Reserven für Rüstungsprojekte. Zwangsarbeiter wurden zwar pflichtversichert – doch nur auf dem Papier. Renten erhielten einige dennoch durch die Wiedergutmachungspolitik der späteren Bundsregierungen. Über die sogenannten Gettorenten wurde aber bis in die Gegenwart ge*ritten.

Während noch vor Gründung der DDR die Sowjets in den von ihnen kontrollierten Landesteilen 1947 eine Einheitsversicherung einführten, stellte die Bundesrepublik 1949 quasi das alte System wieder her. Schon 1957 jedoch hielt es der ausgefuchste Bundeskanzler Konrad Adenauer, damals 81, für geboten, die Renten direkt an die Löhne zu koppeln.

Der erste von mehreren Versuchen, die Rentner bei Wahlen auf die Seite der Regierenden zu ziehen. Fantastische Rentensteigerungen im Wirtschaftswunderland waren die Folge, mal sechs, mal neun, in den frühen 70ern vier Jahre hintereinander elf Prozent plus für die Ruheständler. Wer wollte da noch bis 65 arbeiten?

Vom Generationenvertrag zum Methusalem-Komplott

Die Beitragszahler finanzieren den Ruheständlern die Rente. Eine einfache Formel. Sie geht auf, wenn genügend Arbeitnehmer auf einen Rentner kommen. Was Generationenvertrag getauft wurde, nennt sich heute bei Jüngeren Methusalem-Komplott. Der Vorwurf: Die Alten werden mehr, sie bestimmen, wo’s langgeht im Land, und hinterlassen den nachwachsenden Generationen eine mickrige Rente.

Ganz so schlimm ist es nicht. Und daran hat die umsichtig von Experten reformierte Rentenversicherung großen Anteil.

Nur wollten all die Errungenschaften seit den 70ern auch finanziert werden: Frührente, endlich die Anerkennung von Kindererziehungszeiten unter Arbeitsminister Norbert Blüm (1986) und vieles mehr. Gleichzeitig sank das Renteneintrittsalter bei Männern von 65,2 (1960) auf 62,4 Jahre (2000). Inzwischen ist es wieder bei 64,1 Jahren. Aber 1960 erhielt ein Mann durchschnittlich 9,6 Jahre lang seine Rente, heute sind es 17,2 Jahre (alte Bundesländer). Das kostet.

Kanzler Helmut Kohl und Norbert Blüm zogen mit dem Spruch in den Wahlkampf „Denn eins ist sicher: die Rente“. Blüm posierte mit Pinsel und Klebstoff vor Wahlplakaten und verteidigt den Slogan noch heute. Den größten Rentencoup jedoch landete Kohl bei der Wiedervereinigung. Die Ostrenten wurden eins zu eins von Ost- auf D-Mark umgestellt, das bundesdeutsche System übertragen. Fast.

„Vor dem Mauerfall wurden die DDR-Bürger eingegliedert, als wäre ihre Erwerbsbiografie in den alten Bundesländern gewesen“, sagt der heutige Präsident der Rentenversicherung, Axel Reimann. „Hätte man das 1990 gemacht, wäre die Differenz zu den Arbeitnehmern im Osten zu groß gewesen.“ Deshalb wurden und werden Löhne im Osten nach wie vor bei der Rentenanrechnung anders behandelt.

Wie die alte schwarz-gelbe hat sich die neue schwarz-rote Bundesregierung vorgenommen, die Unterschiede von fünf zu elf Bundesländern einzuebnen. Doch das wird dauern.

„Die Ostrentner sind auch noch viel stärker auf die gesetzliche Rente angewiesen“, sagt Reimann. Denn mittlerweile gibt es 20 Millionen Rentner in Deutschland, deren Lebensabend von den arbeitenden Beitragszahlern mitfinanziert wird. Der technische Fortschritt in der Arbeitswelt und die medizinische Versorgung haben dazu geführt, dass Deutschlands Methusalems immer fitter bleiben.

Unter Gerhard Schröders rot-grüner Bundesregierung und Arbeitsminister Walter Riester (SPD) wurde wieder groß reformiert. Private Altersvorsorge wird staatlich bezuschusst, das Rentenniveau (Rentenhöhe im Vergleich zum Lohn) abgesenkt, die Lebensarbeitszeit erhöht: schrittweise auf 67 Jahre. Das hat dazu geführt, dass heute 15 Millionen Riester-Verträge existieren, ein Teil davon allerdings nur auf dem Papier. Denn manche Privatsparer führen ihre Policen nicht weiter, weil sie sie bei hohen Abschlusskosten und niedrigen Zinsen nicht für lukrativ halten.

Im Westen hat sich der Anteil der Rentner, die zusätzlich auf Betriebs- oder Privatrente gesetzt haben, deutlich erhöht. Und er wird weiter steigen müssen, denn Experten prophezeien eine Rentenlücke. Im Osten vertrauen noch allzu viele ausschließlich auf die gesetzlichen Bezüge.

Sie genießen nach wie vor einen guten Ruf. Bei einer Allensbach-Umfrage für die Postbank (die private Renten anbietet) sagten 60 Prozent der Befragten, am sichersten als Altersvorsorge sei ein eigenes Haus. An Nummer zwei (48 Prozent) stand die staatliche Rente – weit vor Gold und betrieblicher Absicherung. Nach der Finanzkrise und bei anhaltend niedrigen Zinsen erscheinen die Renditen von 3,2 bis 3,8 Prozent der gesetzlichen Rentenversicherung außerdem hoch. Und inklusive ist immerhin eine Berufsunfähigkeit (Erwerbsminderungsrente) sowie die Absicherung für mögliche Witwen und Waisen.

Renten-Reserven schmelzen wie Eis in der Sonne

Bloß schmelzen die derzeit rekordprallen Reserven der Rentenkasse wie Eis in der Sonne. Die Deutschen diskutieren, ob sie wieder mit 63, mit 65 oder doch mit 70 in den Ruhestand gehen, wie Geringverdiener vor Rentner-Hartz (Grundsicherung) geschützt werden können und warum immer noch so viele mit psychischen Leiden in Frührente müssen. Das ist der Berufsunfähigkeitsgrund Nummer eins. Gleichzeitig verfrühstückt die Politik gegen den Willen von Arbeitgebern und Gewerkschaften die Schatztruhe der gesetzlichen Altersvorsorge.

So unterschiedlich Annelie Buntenbach (DGB) und Alexander Gunkel (Arbeitgeberverbände; BDA) die Lage interpretieren mögen, so einig sind sich die Chefaufseher der Deutschen Rentenversicherung Bund über die derzeitige Politik. Dass die Mütterrente aus der Rentenkasse finanziert wird, halten sie für einen Skandal. Dafür müsse die Bundesregierung aus Union und SPD die Steuerschatulle öffnen, fordern sie unisono. Da stehen Unternehmer und Malocher Seit’ an Seit’.

Denn gerade erst haben Berechnungen der Rentenversicherung gezeigt, dass bis 2019 die gigantische Nachhaltigkeitsrücklage von rund 32 Milliarden Euro durch die neue Mütterrente und die neue Rente mit 63 futsch sein wird. Dabei glauben die Volkswirte der Rentenversicherung, dass es wieder zu einer Situation wie 2005 kommen kann, als sie bibbern mussten, dass sie am letzten Bankarbeitstag des Monats überhaupt das Geld für alle Renten beisammenhaben. Denn 32 Milliarden – das ist auch nur das 1,8-Fache dessen, was die Rentenkasse in einem Monat auszahlt.

Doch so ist es immer: Die Experten der Rentenversicherung sind vorsichtig, die jeweiligen Bundesregierungen schielen auf die Wähler. Abgeordnete denken in Legislaturperioden, die 60.000 Beamten und Angestellten der Rentenversicherung in Generationen. Kein Wunder, dass etwa zum Abschied von Rentenversicherungspräsident Herbert Rische mit 67 Jahren in den Ruhestand keine Ministerin kam. Wer will schon mit denen feiern, die immer nur warnen?

Ohne es je öffentlich zu sagen, hatte aber auch Risches Nachfolger Reimann in diesem Jahr seinen inneren Vorbeimarsch. Da rief nämlich ein hochrangiger CDU-Bundespolitiker mit schwäbischem Hintergrund an und fragte: Wie könne es denn sein, dass eine ihm bekannte Wählerin durch die neue Mütterrente nicht mehr, sondern sogar weniger Geld von der Rentenversicherung bekomme? Solche kuriosen Fälle, beschied man dem Mann, gebe es. Darauf habe man im Gesetzgebungsverfahren hingewiesen.

Der CDU-Mann schnaufte. Und beinahe hätte ihm sein Ansprechpartner bei der Rentenversicherung gesagt er solle nicht so weinerlich sein. Doch das verbietet die Unabhängigkeit dieser bismarckschen Institution. Seit 125 Jahren.