Standort Deutschland soll gesichert werden. OECD senkt Euro-Zonen-Prognosen für 2014 und 2015 und sieht Europa als Gefahr für Weltkonjunktur

Berlin. Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften haben ein neues Bündnis zur Sicherung des Industriestandortes Deutschland ins Leben gerufen. Ziel der konzertierten Aktion „Zukunft der Industrie“ sei es, die Herausforderungen einer modernen Industriepolitik gemeinsam anzugehen, erklärten Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und die Spitzen des Industrieverbandes BDI und der IG Metall am Dienstag in Berlin. „Um den deutschen Industriestandort zu sichern, müssen die Unternehmen und die öffentliche Hand wieder mehr investieren“, heißt es in dem gemeinsamen Aufruf. Pro Jahr würden in Deutschland 80 bis 100 Milliarden Euro zu wenig investiert. Die Bundesrepublik liege im internationalen Vergleich unter dem Durchschnitt.

Eine gemeinsame Stiftung „Zukunft der Industrie“ soll das Bündnis wissenschaftlich begleiten, aber auch die „Industrieakzeptanz“ durch Imagekampagnen fördern. Vor allem die Industrie sei gefordert, in die eigene Zukunft zu investieren. Der Staat könne aber vielfältige Anreize setzen. „Mit verbesserten steuerlichen Rahmenbedingungen kann ein Umbau der Industrie unter ökologisch-nachhaltigen Gesichtspunkten attraktiver gestaltet werden“, heißt es in dem Papier. Die Industrie sei ein „Juwel der deutschen Wirtschaft“, das stark zur Wertschöpfung beitrage, sagte Gabriel. Das neue Bündnis ist der zweite Schulterschluss zwischen Regierung und Sozialpartnern auf Spitzenebene innerhalb kurzer Zeit. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte vergangene Woche mit den Arbeitgebern und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) eine „Partnerschaft für Fachkräfte“ gegründet.

Wie nötig derartige Initiativen sind, zeigen die neuesten Konjunktur-Prognosen der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Das schwache Wachstum in der Euro-Zone wird demnach zur Belastung für die Weltwirtschaft. Selbst Deutschlands Wirtschaft büßt in den kommenden zwei Jahren an Stärke ein. Laut den Prognosen der OECD dürfte der Euro-Raum in diesem Jahr nur noch um 0,8 Prozent wachsen – deutlich langsamer als die USA mit über zwei Prozent. Schlechter steht unter den großen Wirtschaftsnationen nur Japan mit einem erwarteten Mini-Wachstum von gerade einmal 0,4 Prozent im Jahr 2014 da.

Im Vergleich zum Halbjahresreport hat die OECD ihre weltweiten Prognosen für dieses und für das kommende Jahr teilweise recht kräftig gesenkt. Für Deutschland beispielsweise hatten die Ökonomen im Mai noch ein Wachstum von 1,9 in diesem und von 2,3 Prozent im kommenden Jahr vorhergesagt. Mittlerweile erwarten die Analysten für 2014 nur noch einen Zuwachs von 1,5 Prozent. Für das kommende Jahr haben sie ihre Prognose mit einem erwarteten Plus von 1,1 Prozent bei der Wirtschaftsleistung sogar mehr als halbiert.

„Die geopolitischen Risiken haben weltweit zugenommen. Deutschland als Exportnation ist davon besonders betroffen“, sagte Christian Kastrop, Deutschland-Experte und Leiter der Abteilung für wirtschaftspolitische Studien bei der OECD. Deutschland ist sogar die einzige große Euro-Nation, für die die Ökonomen 2015 im Vergleich zum Vorjahr eine leichte Wachstumseintrübung voraussagen. Hingegen sollten Frankreich, Italien und Spanien in den kommenden zwei Jahren schrittweise an Tempo zulegen – allerdings von deutlich niedrigerem Niveau aus. Auch für die meisten anderen großen Volkswirtschaften, darunter die USA, Japan, China und besonders Russland hat die OECD ihre Prognosen zurückgefahren.

Zum Sorgenkind im weltweiten Vergleich wird Europa vor allem wegen seiner Gesamtkombination aus schwachem Wachstum, niedrigen Teuerungsraten und hoher Arbeitslosigkeit. „Die Wachstumsrisiken sind im Euro-Raum besonders ausgeprägt“, heißt es in dem Report. Zwar gebe es einige europäische Volkswirtschaften, die ihre Konjunk-turkräfte mit Hilfe umfassender Reformen wieder auf Trab gebracht hätten. „Aber insgesamt tritt der Euro-Raum auf der Stelle und ist zu einem großen Risiko für das weltweite Wachstum geworden.“

Den Prognosen zufolge dürfte die Teuerungsrate in Europa frühestens im Jahr 2016 wieder spürbar anziehen. „Sollte das Wachstum stagnieren oder die Inflationserwartungen weiter zurückgehen, könnte dem Euro-Raum sogar eine Deflation drohen“, warnen die OECD-Ökonomen. Auf dem europäischen Arbeitsmarkt ist ebenfalls keine schnelle Besserung in Sicht. Sowohl für 2015 als auch für 2016 liegt die Euro-Zone mit einer Arbeitslosigkeit von rund elf Prozent den Prognosen zufolge sehr deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 6,8 Prozent.

Auch die wirtschaftlichen Folgen des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine haben die OECD-Experten genauer untersucht. Demnach belastet das infolge der Sanktionen schwächere Importwachstum in Russland vor allem europäische Volkswirtschaften: Im Euro-Raum fiel das Gesamtvolumen der Exporte nach Russland in den ersten sieben Monaten des Jahres 2014 um rund 14 Prozent niedriger aus als im Vorjahr. Dadurch reduzierten sich die Exporte des Euroraums um rund 0,7 und das BIP um rund 0,1 Prozent.

Den Preis für die verlangsamte Marschgeschwindigkeit in der Weltwirtschaft müssten vor allem die Jüngeren tragen, warnen die Ökonomen. Künftig werde es ganze 23 statt lediglich 17,5 Jahre dauern, um das weltweite Bruttoinlandsprodukt gegenüber seinem jetzigen Stand zu verdoppeln: „Eine Verringerung des Wachstums hat reale Konsequenzen für das Wohlergehen der jüngeren Generationen.“ Um das zu vermeiden, seien ambitionierte Strukturreformen vor allem in Japan und den Kernländern des Euro-Raums nötig. Den Regierungen Europas empfehlen die OECD-Experten dabei auch, den Sparkurs zumindest so weit zu lockern, dass „die von den Konsolidierungsmaßnahmen ausgehende Bremswirkung auf das Wachstum“ reduziert werde.