Wirtschaftsminister besucht in Vietnam eine Textilfabrik – und ermahnt neben den Textil-Giganten auch die Verbraucher

Hanoi. Van-Laack-Inhaber Christian von Daniels legt dem deutschen Wirtschaftsminister Hemden zur Probe vor. Eines ist hellrosa, das andere blau-weiß gepunktet: „Die zieh ich besser nicht an“, sagt Sigmar Gabriel. Der Wirtschaftsminister ist dieser Tage in Vietnam auf Werbetour für die deutsche Wirtschaft unterwegs. Einen Besuch in einer Textilfabrik van Laacks vor den Toren der Hauptstadt Hanoi nutzt der SPD-Politiker dabei für eine Abrechnung mit Textil-Giganten wie H&M, KiK und Co. „Menschen dürfen nicht wie im Frühkapitalismus ausgebeutet werden“, schimpft der Bundeswirtschaftsminister – und fordert Konsequenzen.

Nach Angaben von Menschenrechtlern herrschen in vielen Textilfabriken Südostasiens schlimme Zustände. Immer wieder war es in den vergangenen Jahren zu schweren Unfällen in asiatischen Textilfabriken gekommen. In Bangladesch starben bei einem Einsturz einer Textilfabrik im vergangenen Jahr mehr als 1000 Menschen. Die Bilder, auf denen sich zwei tödlich Verunglückte umklammern, gingen um die ganze Welt. Immer wieder prangerten weltweit Nichtregierungsorganisationen (NGOs) die unhaltbaren Zustände an – bislang allerdings mit überschaubarem Erfolg.

Bei van Laack in Hanoi gibt es wenig Grund für die Arbeiter zum Klagen. Für asiatische Verhältnisse arbeiten die 500 Näherinnen hier im Paradies. Die Eingangshalle der Fabrik des Mönchengladbacher Unternehmens in Hanoi gleicht mehr einem Hotel als einer Fabrik. Der Boden ist blitzblank, Treppen mit hübschen Geländern führen hinauf zu Mensa und den Betriebskindergarten, in dem die Näherinnen ihre Kleinen unterbringen können. „Wir haben eine Menge Kinder im Werk – aber nicht bei der Arbeit“, sagt Firmenchef von Daniels. Die ganze Fabrik solle schon von außen einladen, sich wohlzufühlen. „Das ist nicht so ’ne typische asiatische Klamottenklitsche, wie Sie sich das vielleicht vorgestellt haben.“

Van Laack bietet seinen Näherinnen Sozialleistungen und Lohnaufschläge auf den vietnamesischen Mindestlohn. Die besseren Arbeitsbedingungen kosten van Laack 1,1 Millionen Euro im Jahr. Der Kindergarten macht pro Hemd zwei Cent extra aus. Das kostenlose Mittagessen: vier Cent. Die Bezahlung über Tarif: 76 Cent. Die Klimaanlage im Produktionssaal, wo die Mütter der Kita-Kinder von Montag bis Sonnabend acht Stunden arbeiten, schlägt mit sechs Cent zu Buche. Von Daniels betont offen, van Laack mache das nicht nur aus Nächstenliebe. Der Krankenstand ist nach Firmenangaben mit zwei Prozent für vietnamesische Verhältnisse sehr niedrig. Eine Näherin bleibt im Durchschnitt zehn Jahre im Betrieb. Und sie macht deutlich weniger Fehler, was teuren Stoff aus Italien spart.

Die Fabrikhalle van Laacks ist sauber, jede Näherin hat genug Platz, die Sicherheitsstandards genügen deutschen Ansprüchen. Sigmar Gabriel schaut in der Werkshalle einer Näherin über die Schulter, die einen blau-weißen Stoff an die Nähmaschine anlegt. So stellt sich der Minister faire Textilproduktion in einem Entwicklungsland wie Vietnam vor. Van Laack sei ein „Vorzeigebetrieb“, lobt er. Andere Textilunternehmen sollten sich daran ein Beispiel nehmen.

Die Bundesregierung will Unternehmen zu hohen Standards verpflichten

Firmenchef von Daniels hört das natürlich gerne. Das Unternehmen kann sich die guten Konditionen leisten. Die Hemden liegen im oberen Preissegment und kosten in Europa um die 130 Euro. Doch auch Textilunternehmen im unteren Preissegment könnten ihre Arbeiter besser behandeln, findet von Daniels. „Der Verbraucher hat nicht schuld. Die Hersteller sind in der Pflicht.“ Absehbar fahre das Geschäftsmodell „der Billigheimer gegen die Wand“, glaubt er. Die Näherinnen in Asien würden trotz staatlicher Unterdrückung Mini-Löhne auf Dauer nicht mehr klaglos hinnehmen – und aufbegehren, wie es vereinzelt auch in Kambodscha passiert ist.

Dass die Arbeiter aufbegehren, hört wiederum Gabriel gerne, der an diesem Sonntag mit gut fünf Jahren der am längsten amtierende SPD-Vorsitzende seit Willy Brandt ist. Er sieht anders als von Daniel aber auch eine Mitschuld bei den Verbrauchern für die Auswüchse des Turbo-Kapitalismus. Die Überschrift „Geiz ist geil“ führe in einigen Entwicklungsländern zu bitterer Armut und manchmal auch zu Menschenschinderei. „Zur Wahrheit gehört natürlich auch, gerade im Textilsektor, dass wir in Deutschland bereit sein müssen, nicht nur auf den Preis zu gucken, sondern vielleicht auch mal schauen, wo ein Produkt herkommt und unter welchen Bedingungen es hergestellt wird.“

Die Bundesregierung will Unternehmen zu hohen Standards verpflichten. Bundesentwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) präsentierte deshalb vergangenen Monat ein „Bündnis für nachhaltige Textilien“. Müller will ein Siegel, das die deutsche Textilbranche auf höhere Öko- und Sozialstandards wie etwa „existenzsichernde Löhne“ verpflichtet.

Außerdem sollen Modeunternehmen besonders giftige Chemikalien durch umweltfreundlichere Stoffe ersetzen. Gabriel schloss sich in Vietnam der Forderung an. Der Wirtschaftsminister ist sich sicher: „Der Druck auf die Unternehmen, die sich so unverantwortlich verhalten, wird stärker werden.“ Allerdings hat die Modebranche bereits abgewinkt. Die Durchsetzung in Deutschland üblicher Sozialstandards weltweit liege außerhalb des eigenen Einflusses. Vorerst rollt die Karawane erst einmal einfach nur weiter. Viele Textilunternehmen haben in den vergangenen Jahren ihre Fabriken von China nach Bangladesch, Pakistan oder eben Vietnam verlagert. Der einfache Grund: In Vietnam sind die Arbeitskosten inzwischen deutlich günstiger als in der Volksrepublik China.