Einwanderung in die Sozialsysteme ist nicht mit EU-Recht vereinbar, entschied der Europäische Gerichtshof

Brüssel/Berlin. Für die einen ist Elisabeta Dano eine bemitleidenswerte Frau, die Anspruch auf Hilfe vom Staat hat. Für die anderen ist die 25-jährige Rumänen dreist. Die Mutter des minderjährigen Florin lebt seit 2010 in Deutschland. Sie hat weder in ihrer Heimat noch hierzulande jemals gearbeitet. Auch eine Berufsausbildung hat die Frau nicht. Zunächst wohnte die alleinerziehende Mutter bei ihrer Schwester in Leipzig, wird von dieser auch mit Lebensmitteln versorgt. Neben dem Kindergeld bekommt die junge Frau regelmäßig Unterhaltsvorschuss. Schließlich beantragte Dano auch noch Hartz IV. Als das Jobcenter die Zahlung ablehnte, ging die Rumänin vor das Leipziger Sozialgericht. Die deutschen Richter reichten die Klage weiter an den Europäischen Gerichtshof (EuGh).

In einem Grundsatzurteil gaben die Richter in Luxemburg nun dem Jobcenter recht: Wer nur nach Deutschland einwandert, um hier Sozialleistungen zu beziehen, hat kein Aufenthaltsrecht und damit auch keinen Anspruch auf Hartz IV. Die hiesigen Sozialverbände, die Dano auf ihrem Klageweg unterstützt hatten, reagierten enttäuscht. „Es ist schade, dass der Europäische Gerichtshof den Freizügigkeitsregelungen mehr Bedeutung beimisst als dem europarechtlichen Gleichbehandlungsanspruch, der auch bei Sozialleistungen gilt“, kritisierte das Vorstandsmitglied Maria Loheide des evangelischen Wohlfahrtsverbandes Diakonie. Ganz anders bewerten die Kommunen den Urteilsspruch. Eine gewisse Form des „Sozialtourismus“ werde damit verhindert, sagte der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager.

Tatsächlich hat die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die seit Jahresbeginn auch für Rumänen und Bulgaren gilt, die Debatte über die Vor- und Nachteile der europäischen Zuwanderung angeheizt. Vor allem die CSU sorgte mit Äußerungen „Wer betrügt, der fliegt“ für eine Polarisierung. In einigen Städten und Gemeinden sorgen steigende Zahlen von arbeitslosen Bulgaren und Rumänen in der Tat für erhebliche finanzielle Belastungen. Wie eine aktuelle Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit zeigt, ist die Arbeitsmarktbilanz der neuen Freizügigkeit gemischt. So stieg einerseits die Zahl der hier arbeitenden Bulgaren und Rumänen seit Jahresbeginn um knapp 100.000. Andererseits nahm aber auch der Anteil der Hartz-IV-Empfänger zu und beträgt jetzt fast 14 Prozent. Mittlerweile beziehen 64.000 Bulgaren und Rumänen die Sozialleistung, das ist gegenüber dem Jahresbeginn ein Anstieg um fast 50 Prozent. In einzelnen Städten wie Duisburg oder Dortmund hat sich die Anzahl der Leistungsbezieher gar binnen eines halben Jahres verdoppelt. Hohe Zuwächse melden auch Hamburg oder Berlin.

Besonders in Großbritannien löste das Urteil umgehend eine Debatte aus, ob die EuGH-Entscheidung politisch von Vor- oder Nachteil für Regierungschef David Cameron ist. Der Konservative drängt auf durchgreifende Reformen der EU und insbesondere der Arbeitnehmerfreizügigkeit und hat den Bürgern für 2017 ein Referendum über die Mitgliedschaft versprochen – die er selbst nur in einer reformierten Union unterstützen will. Cameron steht unter massivem Druck der Anti-EU-Partei Ukip, die in diesem Jahr enorm in der Wählergunst gewonnen hat.

„Das Urteil unterstreicht, dass die Freizügigkeit kein unqualifiziertes Recht ist, wie der Premierminister gesagt hat“, teilte Camerons Sprecher mit. Andere Stimmen wiesen jedoch darauf hin, dass London durch das EuGH-Urteil und die geltenden EU-Verträge genug Spielraum gegen Sozialhilfemissbrauch bleibe und deshalb gar keine Reform notwendig sei. Zudem belegte erst vergangene Woche eine britische Studie, dass EU-Ausländer seit der Osterweiterung 2004 netto rund sieben Milliarden Euro ins Wohlfahrtsystem eingezahlt haben. Auch in Belgien wurde das Urteil mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Die dortige Regierung sendet arbeitslosen EU-Ausländern mittlerweile schriftliche Aufforderungen, das Land zu verlassen, weil sie „eine Bürde“ für das Sozialsystem darstellten.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), wies darauf hin, dass auch nach dem Luxemburger Richterspruch noch nicht alle Fragen geklärt seien. Zwar sei nun klar, dass Unionsbürger keinen Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen hätten, wenn sie nach Deutschland kämen, ohne eine Arbeit zu suchen, und nicht in der Lage seien, hier für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, so die Staatsministerin. Damit bestätigte der EuGH die deutsche Rechtslage. „Nicht entschieden hat der EuGH, ob der Ausschluss auch für arbeitssuchende EU-Bürger gelten darf“, stellte die SPD-Politikerin klar. „Das wird er in einem anderen Verfahren entscheiden müssen.“