Mit zwei Prozent mehr können Ruheständler rechnen. Mütterrente, andere Ausgaben und sinkende Beiträge zehren die Reserven auf

Würzburg. In der gesetzlichen Rentenversicherung zeichnet sich eine einmalige Entwicklung ab. Die Reserven haben sich dank hoher Einnahmen durch ein stabiles Beschäftigungsniveau und gestiegene Gehälter auf ein historisches Hoch geschraubt. Und doch wird es nach allen Berechnungen schon in fünf Jahren wieder ein Loch in der Rentenkasse geben. Gleichzeitig steht den etwa 20 Millionen Rentnern in Deutschland eine Erhöhung ihrer Bezüge von ein bis zwei Prozent zum 1. Juli 2015 ins Haus. Das sollte über der Preissteigerung liegen – ist aber weit unter den Erwartungen.

Bei einer Veranstaltung in Würzburg warnten die Arbeitgeber und Gewerkschaften als Hüter der Rentenversicherung, dass die heute vollen Kassen schon 2019 leer sind. Der Grund liegt vor allem im Rentenpaket der Großen Koalition von Union und SPD. Es sieht unter anderem eine sogenannte Mütterrente, Verbesserungen bei der Erwerbsminderung sowie eine abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren unter bestimmten Bedingungen vor. Die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Rentenversicherung Bund, Annelie Buntenbach (DGB), sprach von einer „Zweckentfremdung der Beitragsmittel“. Die Rentenversicherung halte es für „unabdingbar notwendig, die entstehenden Mehrausgaben über Steuern zu finanzieren, da es sich bei den Kindererziehungszeiten um gesamtgesellschaftliche Aufgaben“ handele. Das bedeutet: Wenn die Bundesregierung diese Leistungen so haben will, müssten es alle Steuerzahler finanzieren und nicht nur Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die in die Rentenkasse einzahlen.

Das Arbeitsministerium von Andrea Nahles (SPD) sagte dem Abendblatt, dass Jahr für Jahr ohnehin 80 Milliarden Euro in die Rentenkasse als Bundeszuschuss flössen. „Längerfristig ist ab 2019 eine Erhöhung des Bundeszuschusses vorgesehen, die bis zum Jahr 2022 stufenweise bis auf zwei Milliarden Euro jährlich anwächst. Darüber hinaus wird der Bundeszuschuss auch ohne diese speziellen Steuermittel in den kommenden Jahren aufgrund der Mechanismen in der Rentenversicherung deutlich ansteigen“, so das Ministerium. „Kurzum: Die Leistungen werden heute schon und natürlich auch in Zukunft aus beträchtlichen Steuermitteln bezahlt.“

Das sieht die Rentenversicherung anders. In gemeinsamer Abneigung sorgen bei Arbeitgebern und Gewerkschaften die Regelungen zur Mütterrente für speziellen Unmut. Dadurch erhalten auch Frauen mit Kindern, die vor 1992 geboren wurden, einen zusätzlichen Entgeltpunkt. Das allein treibt die Träger der Rentenversicherung nicht auf die Palme. Allerdings kommen die dazu notwendigen 3,4 Milliarden Euro allein in diesem Jahr (2015: 6,8 Milliarden Euro) nicht wie gewohnt aus Steuergeldern. Das Geld für die rund 9,5 Millionen betroffenen Frauen muss die Rentenversicherung aus ihren Reserven bezahlen. Buntenbach verweist zudem darauf, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zum Erreichen seiner schwarzen Null im Haushalt den „allgemeinen Bundeszuschuss aufgrund des Haushaltsbegleitgesetzes 2013 in den Jahren 2013 bis 2016 gekürzt habe“, und zwar um eine in diesem und 1,25 Milliarden Euro in den nächsten Jahren.

Gleichzeitig kündigte Buntenbach an, dass die 20 Millionen Rentner in Deutschland im kommenden Jahr mit einer Rentenerhöhung von ein bis zwei Prozent rechnen könnten, im Osten werde das Plus wie zuletzt voraussichtlich etwas höher ausfallen als im Westen, sagte der neue Präsident der Deutschen Rentenversicherung, Axel Reimann. Genau könne man das noch nicht sagen.

Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher sagte: „Wieder einmal bleiben die fast 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland von der guten wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt.“ Durch einen statistischen Effekt bei der Bundesagentur für Arbeit muss die Rentenerhöhung 2015 anders berechnet werden. 2016 soll das Plus für die Rentner wieder höher ausfallen. VdK-Präsidentin Mascher sagte, die Berechnung der Rente werde immer intransparenter. Dadurch verlören die Rentner das Vertrauen in die Politik.

Im kommenden Jahr sinkt der Rentenbeitrag voraussichtlich von derzeit 18,9 Prozent des Bruttoeinkommens auf 18,7 Prozent. Wer 3000 Euro verdient, zahlt also künftig monatlich drei Euro weniger. Das ist möglich, weil die Reserven der Rentenkasse durch die zuletzt gestiegenen Löhne und Gehälter auf jetzt 32,0 Milliarden Euro angewachsen sind. Diese Nachhaltigkeitsrücklage bedeutet das 1,8-Fache einer Monatsausgabe.

Wegen Mütterrente und anderer Ausgaben, sowie wegen des sinkenden Beitrages schmilzt dieser Schatz schon bis 2019 auf das 0,2-Fache einer Monatsausgabe. Und spätestens dann schlägt die Rentenversicherung Alarm. Denn wie im Jahr 2005 wäre dann sogar die pünktliche monatliche Auszahlung der Renten ein Drahtseilakt der Rentenmathematiker und Anleger. Das von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Programm für eine abschlagsfreie Rente mit 63 kommt bei den älteren Arbeitnehmern offenbar gut an. Bis Ende Oktober seien bereits 163.000 Anträge eingegangen, teilte die Rentenversicherung mit. Das hat die Diskussion um einen flexiblen Renteneintritt neu entfacht. Einige Arbeitnehmer wollen früher als mit 65 oder demnächst 67 in Rente, würden sich aber gern noch etwas hinzuverdienen. Die Grenze von aktuell 450 Euro im Monat hält allerdings viele davon ab. Denn wer vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze geht, muss Abschläge in Kauf nehmen. Für jeden Monat, den man vorher aufhört, bedeutet das ein Minus von 0,3 Prozent von der Rente – lebenslang. Dennoch geht etwa jeder Dritte (36,7 Prozent) mit Abschlägen in den Ruhestand. Viele haben sich das anhand privater Vorsorge und Betriebsrenten allerdings gut durchkalkuliert.

Andere wiederum wollen länger arbeiten. Auch für sie müsse es flexible Modelle geben, sagte Alexander Gunkel, Arbeitgebervertreter im Bundesvorstand der Rentenversicherung.