Mit großer Delegation reiste der Außenministernach Südkorea und Indonesien. 25.000 Kilometer in vier Tagen, unzählige Termine und Gespräche. Der Politiker absolviert die Reise scheinbar mühelos.

Die Atmosphäre ist unentspannt. In der exotischen Pracht des blendend weißen Präsidentenpalastes von Jakarta mustert Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier seinen Gastgeber, den neuen indonesischen Staatschef Joko Widodo, genannt Jokowi. Ein wenig geschicktes Protokoll hat die beiden Politiker mehrere Meter voneinander entfernt platziert; ein Stuhl steht wie eine Barriere zwischen ihnen.

Auf der indonesischen Seite des Tisches sitzt auch Außenministerin Retno Marsudi mit verdrießlicher Miene. Eine erste Begegnung mit Steinmeier eine Stunde zuvor im Außenministerium hat sie verkrampft gestaltet und keine Journalistenfrage zugelassen. Steinmeier weiß: Marsudi, die erste Außenministerin Indonesiens, zuvor Botschafterin in Den Haag, ist erst seit ein paar Tagen im Amt; dies ist ihr erster großer Auftritt. Und der Unternehmer Widodo, der vom 240-Millionen-Volk überraschend an der zumeist korrupten Nomenklatura Indonesiens vorbei ins höchste Staatsamt gewählt worden ist und nun vor einer Wirtschaftskrise und großen Reformaufgaben steht, hatte beim Empfang des deutschen Ministers stocksteif vor Nervosität herumgestanden.

Steinmeier beugt sich vor, überbrückt die Distanz. „Herr Präsident“, sagt er lächelnd, „wir sind doch beide Schreinerssöhne. Wir wissen am besten, wie man Dinge wieder in Ordnung bringt“. Verblüfft sieht ihn Widodo an, dann lacht er. Das Eis ist gebrochen; das weitere Gespräch verläuft, wie Steinmeier später in kleinem Kreis sagen wird, sehr angenehm.

Unablässig knüpft Steinmeier Kontakte auf seinen Reisen

Frank-Walter Steinmeier ist ein Glücksfall für die deutsche Diplomatie. Seine Mitarbeiter erzählen, dass die Ära Westerwelle, die streckenweise einer thematischen und emotionalen Springprozession glich, bereits wenige Tage nach Steinmeiers zweitem Amtsantritt Geschichte war. Unablässig knüpft Reiseaußenminister Steinmeier Kontakte in der ganzen Welt. Er war erst vor wenigen Tagen in Armenien, Aserbaidschan und Nigeria, er wird in den kommenden Tagen nach Nahost und Kasachstan und wieder nach Afrika reisen.

Doch nun besucht er erst einmal Südkorea und Indonesien; an der Spitze einer 60-köpfigen Delegation, bestehend vor allem aus Parlamentariern, Diplomaten, Künstlern – darunter die aparte Schauspielerin Natalia Wörner – und einer starken Gruppe von Wirtschaftskapitänen. Unter ihnen sind Großkaliber wie Bernard Meyer von der Meyer Werft in Papenburg.

Die Delegation reist mit der „Theodor Heuss“, einer der beiden deutschen Varianten der „Air Force One“, einem riesigen Airbus A340-300 der Flugbereitschaft. Der vordere Teil enthält Privaträume für das Regierungsmitglied, Konferenzzimmer und ein Bordhospital. Dem Vernehmen nach verfügen die drei Luftwaffen-Piloten sogar über Abwehrmaßnahmen gegen Raketenangriffe. Von Berlin aus geht es zunächst zehn Stunden nach Seoul, am nächsten Tag knapp acht Stunden nach Jakarta weiter, am übernächsten Tag dann von dort direkt 14 Stunden nach Berlin zurück. Allein die direkte Luftlinie dieser Reise beträgt rund 25.000 Kilometer.

Das Reiseziel Indonesien ist interessant unter anderem wegen des kürzlichen Regierungswechsels, der viertgrößten Bevölkerung der Welt und eines modellhaften Zusammenlebens der muslimischen Mehrheit mit anderen Religionsgruppen. Korea natürlich auch wegen der geschichtlichen Parallelen der Teilung samt Demarkationslinie und verminter Grenze. 25 Jahre ist es her, dass die Berliner Mauer fiel. Mit einigem Neid blicken die Südkoreaner auf die friedliche und erfolgreiche Wiedervereinigung in Deutschland.

Steinmeier lässt allerdings keine Gelegenheit aus, mit Nachdruck zu betonen, dass sich die Deutschen nicht als Lehrmeister aufspielen wollten. Man bringe gern die deutschen Erfahrungen in die Gespräche ein, und dann werde man sehen, was sich davon auf Korea übertragen lasse. Bislang hatten die Südkoreaner Gespräche über eine mögliche Wiedervereinigung eher als Pflichtübung absolviert. Doch die nun offenere Haltung Chinas hat das verändert. „In Südkorea wächst der Mut“, sagt er. Das Land ist ein enger Partner Deutschlands, Probleme gibt es keine.

Nun fährt der Konvoi des deutschen Außenministers aus rund einem Dutzend Fahrzeugen unter Blaulicht von Seoul, wo Steinmeier Gespräche mit dem Außenminister und der Präsidentin geführt hat, Richtung demilitarisierte Zone (DMZ). Die Straße zur bizarrsten Grenze der Welt, an der sich eine Million schwer bewaffnete Soldaten gegenüberstehen, geht vorbei an einem Fluss und einem Meeresarm. Die südkoreanische Seite ist gesichert mit Stacheldrahtrollen, Wachtürmen, Schützenbunkern und Scheinwerfern. Der Blick geht übers Wasser hinüber ins bitterarme Nordkorea; die Vegetation im Süden ist grün und reich, im Norden karg. „Abholzt und abgewirtschaftet“, bemerkt ein Mitglied der Delegation nachdenklich. In der DMZ liegen noch bis zu drei Millionen Minen herum, keiner weiß genau, wo. Die Sicherheitszone „Joint Security Area“ (JSA) in ihrer Mitte ist unter dem Namen Panmunjeom bekannt, nach einem längst verlassenen Weiler in der Nähe.

Bei Erreichen der DMZ, die 250 Kilometer lang und rund vier Kilometer breit ist, muss die deutsche Delegation in amerikanische Militärbusse umsteigen, bewaffnete US-Soldaten fahren mit. Die DMZ untersteht seit dem Ende des Koreakrieges 1953 weder Süd- noch Nordkorea, sondern der Waffenstillstandskommission MAC. Die eigentliche Grenze verläuft in der Mitte und ist nur durch verwitterte Blechschilder gekennzeichnet.

Steinmeiers Delegation steht mit betroffenen Gesichtern vor den drei berühmten blauen Baracken, in denen Verhandlungen stattfinden. Südkoreanische Soldaten stehen wie grimmige Statuen mit geballten Fäusten reglos da, eine Handvoll nordkoreanischer Truppen rennt angesichts der deutschen Delegation hastig herbei und beginnt zu fotografieren.

Der Ton der US-Soldaten ist unangenehm barsch, die Regeln geradezu paranoid. Fotografiert werden darf nur Richtung Nordkorea; wer die Kamera nur leicht zur Seite oder nach hinten dreht, wird rüde angefahren. Fotografiert werden darf also das nicht, was die Nordkoreaner den ganzen Tag im Blick haben und selber eifrig ablichten.

Der deutsche Außenminister begibt sich in die mittlere Baracke, durch deren Mitte die Grenze verläuft. Ein blank gewienerter Konferenztisch steht mittig im Raum. Nur hier ist es möglich, den Grenzstrich gefahrlos zu überqueren. Technisch befindet man sich nun in Nordkorea, wo ein Soldat mit starrem Blick die Tür nach draußen bewacht.

Die Deutschen, die sich noch sehr genau an die innerdeutsche Grenze erinnern, erfasst ein Gefühl der Beklemmung. „Hier, an der Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea, werden natürlich Bilder wach, die bei uns über Jahrzehnte den deutsch-deutschen Alltag im Kalten Krieg beherrscht haben“, sagt Steinmeier in die Mikrofone. „Die blaue Baracke hier im Hintergrund ist ja so etwas wie die Glienicker Brücke bei uns in Berlin. Will sagen – hier werden Gefangene ausgetauscht, werden noch immer Gebeine von getöteten Zivilisten ausgetauscht, und hier finden Gespräche auf der hohen Militärebene statt.“

Mit nachdenklichem Blick auf die martialische Szenerie hinter ihm fügt er hinzu: „Ich glaube, hier hat niemand die Illusion, dass wir kurz vor einer Wiedervereinigung stehen.“ Doch merke man schon, dass in Seoul der ernsthafte Wille bestehe, die ersten Schritte dahin zu gehen.

Beim ungezwungenen Essen in der schlichten Kantine der Neutralen Überwachungskommission für den Waffenstillstand in Panmunjeom lobt Steinmeier deren Arbeit. Der gegenwärtige Leiter der Kommission ist der Schweizer Generalmajor Urs Gerber, sein Vertreter ist ein schwedischer Brigadier. Nur die Schweiz und Schweden sind in der Kommission noch übrig geblieben; die Nordkoreaner haben nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes die ehemals andere Seite, Tschechoslowaken und Polen, als nunmehr parteiisch abgelehnt. Die entspannte Haltung der Schweizer und Schweden, mit denen Steinmeier plaudert und von denen er sich Grenz-Anekdoten erzählen lässt, kontrastiert mit der rigiden Positur der Amerikaner.

Die mitgereiste Wirtschaftsdelegation lobt Steinmeiers Kenntnisse

34 Flugstunden in vier Tagen, unterschiedliche Klimazonen – in Jakarta ist es mit 35 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit brütend heiß – scheinen Steinmeier nichts auszumachen. Seine Reden hält er flüssig, ohne Manuskript. Seine Grundhaltung ist eine heitere Gelassenheit; er wirkt nie genervt, wird nie laut. Was ist sein Geheimnis? „Westfälische Gene“, grinst er. Die Wirtschaftsdelegation, deren Mitglieder sicher nicht alle zur Sympathie mit einem sozialdemokratischen Politiker neigen, lobt seine detailreichen Kenntnisse. Wann hat er überhaupt Zeit, sich vorzubereiten? „Das mache ich meistens im Flugzeug“, sagt Steinmeier. Seine herausragende Stärke ist aber, dass er einfach gern unter Menschen ist. „Frank-Walter Steinmeier ist im besten Sinn ein Menschenfreund“, sagt einer seiner engsten Mitarbeiter im Auswärtigen Amt über jenen Mann, der seiner Frau eine Niere spendete.

Am autofreien Sonntag im Glutofen von Jakarta, als sich Hunderttausende Menschen im Stadtzentrum versammeln, führt Steinmeier, dessen Anwesenheit auch noch über Lautsprecher verkündet wird – ein Albtraum für seine Personenschützer –, die Delegation unbekümmert durch das winkende Getümmel. Ein Straßenhändler, dessen Krimskrams sich auf einem Moped türmt, spricht ihn mutig auf Englisch an. Steinmeier bleibt stehen, unterhält sich eine ganze Weile mit dem Mann. Der Außenminister der viergrößten Wirtschaftsnation der Erde spricht mit diesem fliegenden Händler auf Augenhöhe. Der 1956 in Detmold geborene und in Brakelsiek ausgewachsene Steinmeier, dessen Großvater sich noch als armer „Lippischer Ziegler“ für Saisonarbeiten verdingen musste, hat seine bescheidene Herkunft nie verdrängt.

Ebenso interessiert wie amüsiert lässt er sich in Seoul durch den riesigen Changdeokgung-Palast führen, einen früheren Königssitz, fast eine Stadt innerhalb der Stadt. Besonders angetan ist er vom ausgedehnten Konkubinen-Palast. „Sehr großzügig“, meint er, „muss sich wohl um mehr als eine Konkubine gehandelt haben.“ Als seine koreanische Führerin ihm erläutert, dass dieser Teil „Sitz der Freude und Güte“ genannt werde, bemerkt er „Ach ja? So heißt bei uns das Außenministerium.“

In einem Kulturtreff im glitzernden Gangnam-Viertel von Seoul, dem reichsten Stadtteil von ganz Korea, wo abends aufgebrezelte Schönheiten vor Nobelclubs ihre hochhackigen Louboutins aus Bentleys und Porsches schwingen, springt der deutsche Außenminister im offenen Hemd auf die Bühne und hält eine spontane Rede im Conférencier-Stil. Steinmeier, Gangnam-Style. „Er ist genau da, wo er sein will“, sagt einer aus seinem Team. Darauf angesprochen, sagt Steinmeier: „Das würde ich gar nicht bestreiten.“