Die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz stellt den Bericht über die Lage der Ausländer in Deutschland vor

Berlin. Es ist nicht einfach, zu verkünden, dass alles prima ist mit der Lage der Ausländer in Deutschland, wenn ein paar Tage zuvor Tausende Hooligans und Rechtsextreme „Ausländer raus“ gebrüllt haben auf einer legal angemeldeten Demonstration. Auch deshalb war der Tenor von Aydan Özoguz bei der Vorstellung des zehnten „Berichts über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland“ verhalten. Zum ersten Mal stellte die Hamburgerin Özoguz, seit einem Dreivierteljahr Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und gleichzeitig stellvertretende SPD-Vorsitzende, das Werk vor, das alle zwei Jahre sämtliche Zahlen und repräsentative Studien zum Thema Integration auswertet.

Nach mehr als 700 Seiten zieht der Bericht vor allem ein Resümee: Deutschland ist ein Einwanderungsland, bekommt als solches aber nur mäßige Zeugnisse. „Der Bericht zeigt, dass wir nach Jahren der Ignoranz dieser Tatsache und dem wichtigen Paradigmenwechsel vor 15 Jahren weiter vorankommen, auch eine Einwanderungsgesellschaft zu werden“, sagte Özoguz. Einerseits seien viele aktuelle Herausforderungen immer noch diesen Versäumnissen von gestern geschuldet. „Aber andererseits verursachen wir auch heute erneut integrationspolitische Probleme von morgen.“

Die soziale Herkunft in Deutschland entscheide offenbar immer noch maßgeblich über den Bildungserfolg eines Jugendlichen: Im Schuljahr 2012 blieben 11,4 Prozent der ausländischen Schüler ohne Hauptschulabschluss. Bei den deutschen Schülern waren es nur 4,9 Prozent. Fast jeder dritte Ausländer (30,5 Prozent) zwischen 20 und 29 Jahren blieb ohne Berufsausbildung – unter den Deutschen waren es nur 13,5 Prozent. „Bewerber mit Einwanderungsgeschichte werden bei der Ausbildungsplatzsuche diskriminiert“, klagte Özoguz. „Bei einer Bewerbung kann bereits der Name entscheidend sein – je nachdem ob der Bewerber Sven Schult oder Hakan Yilmaz heißt“, bemängelte die Integrationsministerin. Diese „beabsichtigte oder unbeabsichtigte“ Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und das Thema Ausbildung soll nun Schwerpunkt des Gipfels sein, zu dem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 1. Dezember einladen wird.

„Die Datensammlung zeigt, dass bei der Bildung noch eine ganze Menge zu tun ist“, sagte Özoguz. „Es ist bisher nicht gelungen, Bildungskarrieren unabhängig von der sozialen Herkunft zu ermöglichen.“ Eine Schwierigkeit für Kinder von Einwanderern sei zudem, dass ihre Eltern das deutsche Bildungssystem nicht so gut verstünden.

Vor zwei Jahren war die Stimmung noch eine komplett andere gewesen. Eine voller Lob. Noch nie habe sich bei der Integration so viel bewegt wie in den vergangenen beiden Jahren, meinte Özoguzs Vorgängerin Maria Böhmer (CDU) im Juni 2012. Migranten würden in großen Schritten aufholen, lautete der Tenor, und zwar besonders im Bereich der schulischen Ausbildung. Tatsächlich war der Anteil der ausländischen Schulabgänger mit Hochschulreife zwischen 2005 und 2010 um 36 Prozent gestiegen und der Anteil der Migranten ohne Schulabschluss um 39 Prozent zurückgegangen.

Die 47 Jahre alte Özoguz hingegen, tritt verhaltener auf. Derzeit ringt sie hinter den Kulissen mit Innenminister Thomas de Maizière (CDU) um die Neufassung des Ausländerrechts. Und den Namen des alle zwei Jahre erscheinenden Berichts will sie so schnell wie möglich ändern. Denn der „Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland“ beschäftigt sich nicht nur mit Bürgern ohne deutschen Pass, sondern beschreibt auch die Situation von Deutschen mit Migrationshintergrund, die seit zwei oder drei Generationen in Deutschland leben. „Dieser Titel ist ein Kuriosum, das wollen wir ändern“, kündete Özoguz an. Der Bericht befasse sich etwa auch mit ihrer Tochter, die laut Definition des Statistischen Bundesamt zu den Bürgern mit Einwanderungsgeschichte zählt, obwohl sie selbst und ihre Mutter bereits in Deutschland geboren wurde. „Die Ausländer stellen unter den Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland eine Minderheit dar“, merkte Özoguz an.

Von den 80,62 Millionen Menschen in Deutschland hat jeder Fünfte einen Migrationshintergrund. Jedoch sind nur 6,2 dieser 16 Millionen Menschen noch Ausländer, also etwas mehr als ein Drittel. Özoguz wünscht sich zudem eine stärkere Willkommenskultur. Viele Zuwanderer fühlten sich nicht wirklich gewollt. Als positives Beispiel nannte sie Hamburg, wo der Regierende Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) jeden Kandidaten schriftlich zur Einbürgerung einlade.

Neben dem ungleichen Bildungserfolg sieht die Integrationsbeauftragte weitere Missstände: Im kommenden Jahr will sie sich vor allem mit dem Gesundheitswesen beschäftigen. „Der Lagebericht zeigt, dass wir noch lange nicht von gleichberechtigter Teilhabe im Gesundheitswesen sprechen können“, sagte sie. Menschen mit Einwanderungsgeschichte nähmen wichtige Leistungen unseres Gesundheitswesens deutlich seltener in Anspruch. „Es gibt erheblichen Nachholbedarf, damit wirklich alle Menschen eine gute Gesundheitsversorgung – auch im Alter, und auch ohne gesicherten Aufenthaltsstatus – erhalten.“ Es habe sich aber gezeigt – und dass sei am Ende doch sehr positiv –, dass es in Deutschland eine große Hilfsbereitschaft gebe, Flüchtlinge zu unterstützen. „Damit haben wir heute eine grundsätzlich andere, positive Grundstimmung, als noch vor 20 Jahren“, lobte Özoguz. Die Parolen der Hooligans passen in dieses Bild nicht hinein. Aber dazu nahm Özoguz an diesem Tag keine Stellung.