Kampfeinsätze der Bundeswehr sind nicht mehr gewünscht. Soldaten leisten zunehmend bewaffnete Entwicklungshilfe

Berlin. Deutschland übernimmt Verantwortung in der Welt. Heraushalten soll keine Option mehr sein, im Gegenteil: Die Bundesregierung ist bereit, international eine aktivere Rolle zu spielen, im Notfall auch militärisch. So jedenfalls sagen es Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bei jeder Gelegenheit.

Auf den ersten Blick geben die Fakten den beiden Ministern recht. Nach offizieller Lesart des Wehrressorts ist die Bundeswehr derzeit in 17 Einsätzen weltweit engagiert. Im November stehen vier dieser Missionsmandate zur Verlängerung an (Sudan, Südsudan, Mittelmeer, Afghanistan), im Januar weitere drei (Türkei, Mali, Zentralafrika). Alle sollen, so geht es aus einer Vorhabendokumentation der Bundesregierung hervor, fortgesetzt werden, teils etwas modifiziert. Darüber hinaus wird geprüft, zwei neue Einsätze zu beginnen: eine Grenzraumüberwachung unter dem Dach der OSZE in der Ostukraine und eine Ausbildungsmission im Nordirak.

Was der Regierung als „Einsatz“ oder „einsatzgleiche Mission“ gilt, scheint freilich recht willkürlich zu sein. So rechnet die Bundeswehr die laufende Beteiligung an der Nato-Luftraumüberwachung im Baltikum nicht zu den Auslandsmissionen. Und die im November anstehende Entsendung von Soldaten in die Ebola-Gebiete Westafrikas ist ein freiwilliger Einsatz, fällt damit ebenfalls aus der Zählung. Addiert man ungeachtet der juristischen Feinheiten alle Engagements, könnte die Menge der Missionen demnächst also die Zahl 20 überschreiten.

Kommt die Bundesregierung mithin ihrer Ankündigung nach, mehr Verantwortung – auch militärische – an den internationalen Krisenherden zu übernehmen? Nicht ganz. Denn die Zahl der Missionen mag wachsen, die Zahl der eingesetzten Soldaten nimmt beständig ab. Waren in Spitzenzeiten schon mehr als 10.000 Uniformträger der Bundeswehr weltweit unterwegs, sind es nach dem Stand 20. Oktober noch rund 3400, Tendenz weiter fallend. Denn 2200 dieser 3400 Soldaten leisten ihren Dienst in Afghanistan und im Kosovo. Die Zahl der Einsatzkräfte am Hindukusch aber wird sich mit Auslaufen der Isaf-Mission zum Jahreswechsel von derzeit noch rund 1500 Soldaten auf maximal 800 für die sich anschließende Ausbildungsmission „Resolute Support“ halbieren.

Zwar ist in den gültigen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ des Wehrministeriums noch die Rede von der „Befähigung zum Kampf“ als höchstem Anspruch an den Soldaten. Doch tatsächlich benötigt die Regierung eher bewaffnete Entwicklungshelfer und uniformierte Diplomaten. Ein Blick auf die anstehenden Entscheidungen macht das beispielhaft deutlich. So wird die Regierung den Bundestag im November bitten, das Mandat für die UNAMID-Mission im Sudan zu verlängern. Dort überwachen Vereinte Nationen und Afrikanische Union ein Friedensabkommen für die Provinz Darfur. Die Bundeswehr beteiligt sich daran mit aktuell elf Soldaten, die vor allem logistische Unterstützung leisten. Weiter vor Ort bleiben sollen auch die derzeit 16 Bundeswehrsoldaten im Südsudan, die im Rahmen des UNMISS-Auftrages die gewaltsamen Auseinandersetzungen der verschiedenen Ethnien beobachten sollen. Und während die französischen Verbündeten bewaffnete Soldaten in Mali und Zentralafrika im Einsatz haben, wird Deutschland im Januar beschließen, sich in beiden Fällen weiterhin an den europäischen Unterstützungsmissionen zu beteiligen: in Mali mit rund 150 Sanitätern und Pionieren zur Militärausbildung, in Zentralafrika mit gecharterten Flugzeugen zum Lufttransport und vier Stabsoffizieren in Bangui. Ausbilden, beobachten, transportieren, unterstützen – das sind die Beiträge, mit denen die Bundesregierung ihre Ankündigung einer „aktiveren Rolle“ konkretisiert. Der Trend geht zwar zu mehr, aber auch kleineren Missionen mit überschaubarem Gefahrenpotenzial.

So wie in der Westsahara, wo derzeit vier Bundeswehrsoldaten den Konflikt zwischen der einstigen spanischen Kolonie und dem Nachbarland Marokko beobachten. Oder in der Demokratischen Republik Kongo, wo ein deutscher Logistikfeldwebel bei der Reform der Streitkräfte berät. Oder in Somalia, wo die Bundeswehr sich mit vier Soldaten am Armeeaufbau beteiligt. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Hans-Peter Bartels (SPD), hat dafür eine treffende Formel gefunden. Es gehe um „Solidarität durch Präsenz. Mehr deutsche Verantwortung übernehmen heißt nicht automatisch, dass wir mehr Soldaten schicken. Auch durch kleinere, aber sichtbare Unterstützungsbeiträge senden wir ein politisches Signal und zeigen: Die Entwicklung in der entsprechenden Region ist uns nicht egal.“

So kann man das sehen. Nur: Die 2011 begonnene und längst nicht abgeschlossene Bundeswehrreform war an den Großeinsätzen in Afghanistan und im Kosovo ausgerichtet. Sie hatte das Ziel, neben der klassischen Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung ständig bis zu 10.000 Soldaten für zwei große Einsätze zu Lande und einen mittleren Einsatz zur See „durchhaltefähig vorzuhalten“. Der sicherheitspolitische Sprecher der CSU im Bundestag, Florian Hahn, ist deshalb der Auffassung, dass die Regierung ein neues Weißbuch in Angriff nehmen sollte, also ein strategisches Grundsatzpapier: „Die aktuelle weltpolitische Lage mit ihren vielen Krisenherden erfordert dringend eine umfassende sicherheitspolitische Grundlage für die strategische Aufstellung unserer Bundeswehr. Wir müssen eine sinnvolle Balance zwischen Landes- und Bündnisverteidigung sowie den Anforderungen der Auslandseinsätze finden.“