Arbeitsministerin Andrea Nahles legt Gesetzentwurf zur Tarifeinheit vor. Die Berufsgewerkschaften fürchten um ihre Existenz

Berlin. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will per Gesetz den Einfluss kleiner Berufsgewerkschaften in Tarifkonflikten einschränken und sie zur Zusammenarbeit mit der großen Konkurrenzgewerkschaft zwingen. Darauf läuft ihr nach monatelangen Beratungen fertiggestellter Gesetzentwurf zur Tarifeinheit hinaus. In Arbeitskämpfen wie dem der Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer (GDL) bei der Bahn soll im Streitfall nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb gelten.

Ob damit bei der Bahn die Macht der GDL beschnitten wird, ist allerdings unklar. Denn je nachdem, wie man „Betrieb“ definiert, könnte die GDL durchaus die Mehrheitsgewerkschaft sein, mit der die Bahn verhandeln muss. Die Bahn verweist darauf, dass die genaue Definition von „Betrieb“ noch ausstehe, und hält sich mit einer Bewertung des Gesetzesentwurfs zurück.

Klar ist jedoch, dass mit dem Gesetzentwurf die Macht der Berufsgewerkschaften für Piloten, Lokführer, und vor allem Klinikärzte schwinden wird. Künftig werden wohl kaum noch neue Konkurrenten für die Großgewerkschaften vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) entstehen. Die Arbeitgeber erhoffen sich so, mehr Ruhe im Betrieb zu bekommen, und begrüßten den Gesetzentwurf.

Zentraler Hebel dafür ist eine indirekte Einschränkung des Streikrechts der Kleinen. Nahles betonte zwar: „Das Streikrecht bleibt unangetastet.“ Auch das Existenzrecht kleiner Gewerkschaften werde nicht infrage gestellt. Doch die Berufsgewerkschaften wie die Pilotenvereinigung Cockpit, die Ärztegewerkschaft Marburger Bund, die GDL oder der Deutsche Beamtenbund (dbb) sehen dies anders. Der Beamtenbund warf Nahles „politische Feigheit“ vor, weil sie ihre wahren Absichten verschleiere, das Streikrecht einzuschränken. Auch Arbeitsrechtsexperten bestätigen diese Sichtweise: Der Gesetzentwurf setze zwar nicht primär am Arbeitskampfrecht an, doch habe er durchaus eine arbeitskampfrechtliche Wirkung, sagte Gregor Thüsing, Inhaber des Lehrstuhls für Arbeitsrecht an der Uni Bonn. Wenn im Konfliktfall der Tarifvertrag der größeren Gewerkschaft gelte, impliziere das, dass die kleinere Gewerkschaft de facto nicht streiken dürfe.

Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit warf Nahles vor, mit ihren Plänen bewusst Rechtsunsicherheit bei Streiks zu erzeugen. Es gehe darum, die Macht kleinerer Gewerkschaften zu brechen, erklärte der VC-Vorsitzende Ilja Schulz. Ein direkter Eingriff ins Streikrecht sei verfassungsrechtlich nicht möglich, sodass Nahles einen anderen Weg beschreite. „Den Eingriff in das Streikrecht verlagert sie zu den Arbeitsgerichten. Die Judikative soll so zum Handlanger und Erfüllungsgehilfen für die Aushebelung gewerkschaftlicher Rechte werden“, kritisierte Schulz. Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund hielt Nahles ein Täuschungsmanöver vor. Die Beschneidung des Streikrechts werde bewusst geleugnet, um den Rückhalt des DGB für das Gesetz nicht zu gefährden, sagte der MB-Vorsitzende Rudolf Henke.

Der DGB will dem Gesetz nur zustimmen, wenn es nicht in das Streikrecht eingreift. Bisher gibt es noch keine Stellungnahme, wie der Gewerkschaftsbund den Entwurf einschätzt. Die zweitgrößte Mitgliedsgewerkschaft Ver.di hat aber bereits Kritik geübt: „Wir bleiben dabei. Wir lehnen jeden Eingriff ins Streikrecht ab, unabhängig von der Formulierung.“ Wenn der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft gilt, dann sei die Konsequenz, dass die kleinere Gewerkschaft keinen Tarifvertrag abschließen könne. Würden sie dennoch dafür streiken, würden die Arbeitsgerichte dies als unverhältnismäßig einstufen, heißt es bei Ver.di.

Nach dem Gesetzentwurf soll der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft Vorrang haben, wenn zwei Gewerkschaften in einem Betrieb miteinander konkurrieren. Nahles will dies als Anreiz verstanden wissen, dass Gewerkschaften stärker zusammenarbeiten. Sie können sich zum Beispiel absprechen, dass sie einander nicht in die Quere kommen – etwa indem sie jeweils nur für bestimmte Arbeitnehmergruppen wie Piloten oder Ärzte verhandeln. Möglich sind auch ergänzende Tarifverträge für einzelne Gruppen oder gemeinsame Verhandlungen im Rahmen einer Tarifgemeinschaft. Nur im Streitfall, wenn die konkurrierenden Gewerkschaften ihre „Tarifkollision“ nicht auflösen könnten, soll das Mehrheitsprinzip gelten. Beispielsweise bei einem Notar müssten die Gewerkschaften dann ihre Mitgliedszahlen in einem Betrieb offenlegen. „Im Zweifel wird das dann einzelgerichtlich am Ende entschieden“, räumte Nahles ein.