Sozialdemokraten an der Basis attackieren den Plan für ein Bündnis mit der Linken. Nun sollen die Mitglieder entscheiden

Erfurt/Berlin. „Wahnsinn“, „Malaise“, „untragbar“: Innerhalb der SPD wird Kritik laut an den Plänen ihres Thüringer Landesverbands, den Linke-Politiker Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten zu wählen. „Der erste Fehler ist gemacht. Die SPD hat sich zu wenig um eine Koalition mit CDU und Grünen bemüht“, sagte Stephan Hilsberg, Mitgründer und erster Sprecher der Ost-SPD. Er fügte hinzu: „Die SPD Thüringen lässt sich auf ein Vabanque-Spiel ein. Bei einer Einstimmenmehrheit kann kein Mensch mit einer stabilen Regierung rechnen.“ Eine Koalition mit der Linken sei aufgrund von deren Vergangenheit als SED immer ein „extrem heißes Eisen“, sagte Hilsberg: „Hier muss man sehr vorsichtig und sehr klug agieren. Das ist in Thüringen nicht geschehen.“

Indem die SPD der Linken den Ministerpräsidenten überlasse, ordne sie sich unter, sagte Hilsberg: „Ich weiß nicht, wie die SPD aus dieser Malaise wieder herauskommen will. Die Linke kann so über Jahrzehnte hinweg stärkste Partei im linken Lager bleiben – während wir nur noch zweite oder dritte Kraft sein werden.“ Die SPD müsse nun „Stärke und Haltung zeigen. Leider tut sie das bisher nicht. Das ist fatal.“

Der Vorsitzende der SPD im thüringischen Ilmenau, Stefan Sandmann, übte grundsätzliche Kritik. „Ich hoffe, dass unsere Mitglieder den Wahnsinn stoppen, den der Landesvorstand beschlossen hat“, sagte Sandmann. Das einstimmige Votum der SPD-Spitze für Koalitionsverhandlungen mit Linken und Grünen sei „untragbar“. Sandmann fügte hinzu: „Wenn wir neben unseren Themen noch den Ministerpräsidenten-Posten den Linken überlassen, ist das der Untergang der SPD in Thüringen.“ Er werde bei der SPD-Basiskonferenz am Dienstagabend in Weimar das Wort ergreifen und vor Rot-Rot-Grün warnen, kündigte Sandmann an. Sollte es zu dieser Koalition kommen, werde diese „wegen der knappen Mehrheit nicht länger als ein oder zwei Jahre halten“, prognostizierte er.

Der Landesvorstand der Sozialdemokraten hatte am Montagabend einstimmig für Koalitionsverhandlungen mit Linken und Grünen gestimmt. Ein entsprechend positives Votum der Grünen-Spitze an diesem Donnerstag gilt als Formalie. Sollte es dazu kommen, könnte Bodo Ramelow der erste Ministerpräsident der Linkspartei in Deutschland werden. Die 4300 Mitglieder der SPD haben nun bis Anfang November Zeit, über die erzielten Vereinbarungen abzustimmen. „Die ersten Briefe mit den Gründen für die Koalitionsempfehlung und den Stimmzetteln werden heute verschickt“, sagte SPD-Landesgeschäftsführer René Lindenberg. Die Antworten müssten bis 3. November eingegangen sein. Einen Tag später werde ausgezählt.

Sozialministerin Heike Taubert (SPD) sagte im Fernsehsender Phoenix: Sie sei zuversichtlich, dass „wir ungefähr 70 Prozent der Mitglieder überzeugen können“. Und sie fügte hinzu: „Wir haben momentan eine sehr zerstrittene, eine machtkämpfende CDU in Thüringen. Wir wissen heute noch nicht, ob eine Ministerpräsidentin Lieberknecht von den eigenen Leuten gewählt werden würde“, sagte sie. „Da für uns eine stabile Regierung im Vordergrund stand, haben wir nach den Sondierungsgesprächen entschieden, dass wir Koalitionsverhandlungen mit den Linken und den Grünen aufnehmen.“

Die amtierende Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) – die erste CDU-Frau an der Spitze einer deutschen Landesregierung – sieht trotz der Zustimmung des SPD-Landesvorstands zu einem rot-rot-grünen Bündnis nach wie vor eine tragfähige Grundlage auch für eine Regierung von CDU und SPD. Sie finde die bei den Sondierungsgesprächen von CDU und SPD erreichten Ergebnisse sehr bemerkenswert, sagte Lieberknecht im MDR. „Sie sind eine tragfähige Grundlage.“ Dass sich die SPD-Führung für ein Bündnis unter Führung der Linken entschieden habe, nannte Lieberknecht keine Frage der Zugeständnisse in diesen Sondierungen. Es sei „ein Mainstream innerhalb der SPD, der dazu geführt hat, dass sie sich – soviel ich weiß – einstimmig für ein Bündnis mit den Linken und Grünen entschieden hat“. Das Angebot der CDU an die SPD stehe aber weiter. CDU-Vize Thomas Strobl meint: „Die SPD macht einen historischen Fehler, sich in einem Bündnis mit den Nachfolgern einer kommunistischen Partei zu verzwergen.“ Der Alltag in der Großen Koalition werde nicht leiden, die Republik werde aber 2017 eine Zerreißprobe der SPD in der Bündnisfrage erleben.

Der mögliche künftige Regierungschef Ramelow betreibt derweil ein geschicktes Erwartungsmanagement, indem er behauptet, er rechne angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse im Landtag mit einer schwierigen Ministerpräsidentenwahl. „Ich richte mich darauf ein, bis zum dritten Wahlgang zu gehen, weil eine Stimme Mehrheit am Anfang entscheidend sein wird“, sagte er im ZDF. „Im Zuge der fünf Jahre werden wir aber beweisen, dass Rot-Rot-Grün gemeinsam erfolgreiche Landespolitik gestalten kann und auch ein neues Kapitel deutsch-deutscher Entwicklung entstehen kann.“ Unterdessen machte die Bundes-SPD deutlich, dass das Thüringer Modell nichts für die Bundespolitik ist. „Wir haben auf Bundesebene eine ganz andere Situation, eine ganz andere Bewertung vorzunehmen, das hat miteinander rein gar nichts zu tun“, sagte Generalsekretärin Yasmin Fahimi im Deutschlandfunk. Auch SPD-Bundesvize Ralf Stegner sieht keine Weichenstellung für die nächste Bundestagswahl. „Es ist ein Stück Normalisierung. Aber klar ist auch: In Thüringen geht es nicht um Krieg und Frieden, auch nicht um Europapolitik.“