Berlin. Joschka Fischer schüttelt mit dem Kopf, rudert mit den Händen. Er verschränkt entrüstet die Arme. Er zieht genervt die rechte Augenbraue hoch. Alle Gesten, die der ehemalige grüne Außenminister am Dienstag auf dem Podium der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin-Mitte präsentiert, sagen: So kann es ja wohl nicht weitergehen. Spinnt ihr eigentlich?

„Scheitert Europa?“ heißt sein neues, 160 Seiten schmales Buch. Die Frage im Titel ist nicht rhetorisch gemeint. Fischer macht sich Sorgen. Er hält es für möglich, dass die Europäische Union implodiert. Wenn man ihn 2008 gefragt hätte, „ob ich es für möglich hielte, das Europa scheitert, hätte ich geantwortet: ‚Absurd!‘“ Heute muss er konstatieren: „Die europäische Solidarität wird durch die Euro-Krise zersetzt“. „Solidarität“ – diesen Schlüsselbegriff wird Fischer in seinem etwa einstündigen Auftritt noch oft bringen. Er kann es gar nicht oft genug sagen. Und er zitiert gleich zu Beginn „den Kanzler der Einheit, Helmut Kohl“. Für den seien die deutsche und die europäische Einigung untrennbar miteinander verknüpft gewesen. Über einen anderen lebenden Ex-Kanzler „kann und will ich nicht mehr sagen“. Außer diesen Satz: Die Haltung von Gerhard Schröder gegenüber Russland „ist sehr anders als meine Position“.

Aber Russland, das „zu einer neoimperialistischen Außenpolitik zurückgekehrt“ sei, ist heute gar nicht sein dringendstes Thema. In den Augen des 66-jährigen Politpensionärs geht Europa den Bach runter. Sein Europa. Er nimmt das persönlich. „Die Renationalisierungsprozesse gefährden das europäische Projekt!“, schimpft er. Schon die Europawahlen hätten „ein desaströses Bild“ geliefert. Populisten und Nationalisten, wohin er auch blickt. Was machen die aktiven Politiker aus diesem Kontinent?

Fischer fordert mehr deutsch-französische Kooperation: „Deutschland muss sich von seiner Fixierung auf fiskalische, Frankreich von seiner Fixierung auf politische Souveränität lösen.“ Am Ende stehen möglicherweise Euro-Bonds, sagt Fischer. Und ein weiterer Schuldenschnitt für die Südländer sei unerlässlich. Aber das ist doch nicht populär, wirft jemand ein. Na und? Er versteht die Frage nicht. Populär ist seiner Ansicht nach ganz selten richtig. So hat er gelebt, so hat er auch regiert.