Frühere Ministerin spricht erstmals ausführlich über neue Rolle als Vatikan-Botschafterin. Sie habe niemanden getäuscht, sagt sie zu ihrer Doktorarbeit

Rom. Was kann einer Wissenschaftsministerin eigentlich Schlimmeres passieren als die rechtskräftige Aberkennung ihrer Doktorwürde wegen „systematischer und vorsätzlicher Täuschung“ in einer theologischen Arbeit über Person und Gewissen? Im Februar des vergangenen Jahres ist Annette Schavan von ihrem Regierungsamt zurückgetreten, die Vorwürfe allerdings hat sie stets bestritten. Seit einigen Wochen ist Schavan deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl.

Hamburger Abendblatt:

Was ist das Reizvolle an diesem Diplomatenjob? Die Residenz in der Ewigen Stadt? Der unfehlbare Staatschef? Der einzigartige Titel?

Annette Schavan:

Das Reizvolle ist die internationale Organisation und weltweite Gemeinschaft. Ich begegne interessanten Gesprächspartnern aus vielen Regionen der Welt, die hier im Vatikan tätig sind oder nach Rom kommen.

Sie haben dem Kabinett von Angela Merkel angehört. Wie fordernd darf man sich Ihren Alltag beim Heiligen Stuhl vorstellen?

Schavan:

Das ist eine neue Lebensphase. Ich habe Zeit gehabt, mich vom Bisherigen zu lösen. Das Neue ist so interessant, dass ich nicht jeden Morgen an Berlin denke. Ich lese immer noch Pressespiegel, weiß aber: Darauf muss ich jetzt nicht reagieren. Das empfinde ich auch als neue Lebensqualität. Der vielleicht größte Unterschied zwischen 18 Ministerjahren und dieser neuen Phase ist ein anderer Umgang mit der Zeit. Es ist nicht jede Stunde ein anderer Termin. Es gibt mehr Raum, über etwas nachzudenken. Ich trauere dieser ungewöhnlichen Inanspruchnahme als Ministerin nicht nach. Und meine Aufgabe hier ist ja auch politisch interessant. All das, was international passiert, alle Entwicklungen und Konflikte, landen auch im Vatikan.

Wie schwierig ist es, sich als Frau im Vatikan Respekt zu verschaffen?

Schavan:

Das ist für mich ganz leicht, weil ich ja nicht bei der katholischen Kirche beschäftigt bin. Ich vertrete die Bundesrepublik – und damit auch das Land der Reformation. Es gibt elf Botschafterinnen beim Heiligen Stuhl. Ich bin sehr freundlich aufgenommen worden. Natürlich kann ich die Erfahrung, die ich in meinem politischen Leben gewonnen habe, hier sehr gut einbringen.

Wie verlaufen Ihre Begegnungen mit den Eminenzen?

Schavan:

So unterschiedlich es in einem Regierungskabinett zugeht, so unterschiedlich sind auch die Mentalitäten, die Temperamente, die Positionen im Kabinett des Papstes. Das muss man sich nicht viel anders vorstellen. Papst Franziskus ist ein entschiedener, politischer Mann; ein Mensch mit einem großen Charisma. Er ist nach meinen Erfahrungen in den ersten Wochen nicht der Papst, der alles anders macht. Er ist aber der Papst, der ernst macht mit einer besonderen Aufmerksamkeit für die Armen. So wie es in einem Papier des Zweiten Vatikanischen Konzils heißt: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“ Das ruft der Papst in Erinnerung. Er ist den Menschen unmittelbar zugewandt. Franziskus will mehr Anstrengung des Geistes und der Herzen für die Bedrängten. Die Atmosphäre, die dieser Papst schafft, ist unumkehrbar.

Können Sie Ihren Antrittsbesuch bei Franziskus beschreiben?

Schavan:

Das war bei meiner Akkreditierung. In dem Gespräch von 30 oder 40 Minuten ging es um die Zukunftschancen der jungen Generation in Europa, die Verantwortung Europas für die Bedrängten und Ausgestoßenen und am Ende auch um den Religionsphilosophen Guardini. Ich habe ein bisschen Italienisch und viel Deutsch gesprochen, er ein bisschen Deutsch und viel Italienisch. Und wenn es mal stockte, hat ein freundlicher Monsignore übersetzt.

Haben Sie auch den emeritierten Papst schon getroffen?

Schavan:

Nein. Eine Begegnung mit Papst emeritus Benedikt ist für den November geplant. Darauf freue ich mich.

Gibt es eine spezielle Kleiderordnung für Diplomatinnen, die am Heiligen Stuhl akkreditiert sind?

Schavan:

Es gibt ein Protokoll, das in den vergangenen Jahren weiterentwickelt worden ist. Für die Akkreditierung schreibt es Schwarz vor – und eine Kopfbedeckung. Für spätere Besuche gelten die Grundelemente des Protokolls. Das kann man alles ganz gut gestalten. Frauen können Schwarz bekanntlich mit vielem kombinieren.

In Ihrem Lebenslauf auf der Website der Botschaft steht unter Ihrem Namen: „römisch-katholisch; ledig“. Was bedeutet es für Ihre Arbeit beim Heiligen Stuhl, dass Sie nicht dem traditionellen Familienbild der Kirche entsprechen?

Schavan:

Die katholische Kirche dürfte die letzte Institution sein, die Probleme mit alleinstehenden Menschen hat.

Manche empfinden die katholische Lehre als ausgrenzend gegenüber alternativen Lebensmodellen.

Schavan:

Die Kirche beschäftigt sich gerade intensiv mit ihrem Bild von der Familie. Kardinal Kasper hat in diesem Zusammenhang über Barmherzigkeit gesprochen. Das ist eine wichtige Zeit des Austauschs, der ja nicht nur in dieser Synode, sondern auf vielen Ebenen der Kirche stattfindet. Es geht um die Wahrnehmung der Wirklichkeit. Ich habe den Eindruck, dass sich die Kirche dieser Aufgabe mit großer Ernsthaftigkeit stellt.

Bei der Bischofsversammlung, die Sie ansprechen, geht es um Themen wie Scheidung, Abtreibung und Homo-Ehe. Was erhoffen Sie sich?

Schavan:

Die Diskussionen, die es vor Beginn der Synode gegeben hat, erinnern mich an die Politik. Ich will die Kirche jetzt nicht mit einer Partei vergleichen. Aber jede Institution kommt in Situationen, in denen sie sich vergewissert. Da geht es selbstverständlich strittig zu. Da braucht es auch keine Kommentare von außen. Es braucht vor allem einen Raum für Weiterentwicklungen, die noch keiner ahnt.

Einer Ihrer Vorgänger war Philipp Jenninger, der nach einer missglückten Rede zum 50. Jahrestag der Novemberpogrome als Bundestagspräsident zurücktrat. Haben Sie ihn gefragt, wie es ist, als gestürzter Politiker in den Vatikan zu kommen?

Schavan:

Nein. Einer meiner ersten Besuche hier in der Residenz war zu der Zeit, als Philipp Jenninger Botschafter war. Ich erinnere mich noch an den Abend, an dem auch der damalige Kardinal Ratzinger teilnahm. Ich habe sofort die besondere Ausstrahlung dieses Hauses gespürt und mich wohlgefühlt in dieser unaufgeregten Atmosphäre.

Sie leben mit dem Verdikt, bei Ihrer Doktorarbeit vor mehr als 30 Jahren „systematisch und vorsätzlich“ getäuscht zu haben. Wirkt sich das auf Ihre neue Aufgabe aus?

Schavan:

Ich habe in meinem Leben niemanden getäuscht. Deswegen wirkt sich das auch nicht auf meine Arbeit aus.

Das zuständige Verwaltungsgericht hat die Entscheidung der Universität Düsseldorf, Ihnen den Doktortitel abzuerkennen, für rechtens erklärt. Bleiben Sie bei der Einschätzung, dass es „mit einem irren Menschenbild verbunden“ sei, Ihnen absichtliche Täuschung zu unterstellen?

Schavan:

Ja, aber ich werde öffentlich nichts mehr kommentieren.

Endet Ihr Kampf um die Ehre mit dem neuen Amt?

Schavan:

Ich bin in einer neuen Lebensphase. Ich habe mehrere Stellungnahmen von Wissenschaftlern vorgelegt, die zu einer gänzlich anderen Bewertung kommen. Mehr kann ich nicht tun. Unabhängig von meinem Fall bin ich gewiss, dass die Wissenschaft sich Themen wie der Vergleichbarkeit von Verfahren, dem Verständnis von Plagiaten oder der Rolle von Fachkulturen beschäftigen wird. Ich habe für mich entschieden, das Thema abzugeben, um wieder frei zu werden für die eigene geistige Arbeit.

Wie lange wollen Sie Botschafterin sein?

Schavan:

In der Regel sind es drei Jahre.