Biograf Schwan verteidigt sein umstrittenes Buch über Altkanzler Kohl

Berlin. Wer das ganze Buch gar nicht lesen will und nur nach pikanten Stellen sucht, kann gleich im Register nachschlagen, ab Seite 252. Angela Merkel kommt also auf neun Seiten vor, genauso oft wie Norbert Blüm. Christian Wulff nur auf zwei. Hannelore Kohl dagegen gleich mehrere Dutzend Mal, etwa ebenso oft wie das Wort Spendenaffäre. Die Neuerscheinung „Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle“ ist eben nicht nur eine Abrechnung des Altkanzlers, 84, mit einstigen Parteifreunden und anderen Feinden, wie vorab berichtet. Es geht auch um den Menschen Kohl. Zitate gibt es übrigens erstaunlich wenige, und die ziemlich kurz, aus rechtlichen Gründen.

Heribert Schwan und sein Mitautor Tilman Jens lassen in ihrem Kohl-Buch das Bild eines widersprüchlichen, ebenso machtbewussten wie verletzlichen und verletzten Menschen aufscheinen, dessen Persönlichkeit mehr Facetten hat, als viele bisher wahrhaben wollten. Grundlage der „Protokolle“ sind mehr als 600 Stunden Gespräche in den Jahren 2001 und 2002. Es waren Kohls Krisenjahre. Seine Partei, die CDU, und Angela Merkel, seine Nachfolgerin im CDU-Vorsitz, hatten ihn wegen der Parteispendenaffäre faktisch kaltgestellt. Seine Frau Hannelore hatte sich das Leben genommen.

Schwan war Kohls „Ghostwriter“; der Altkanzler nannte den Journalisten wohlwollend und etwas von oben herab „Volksschriftsteller“. Drei Bände der Memoiren sind auf der Basis der Gespräche erschienen. Dann kam es zum Zerwürfnis. Der Autor macht klar, wem er die Schuld daran gibt: „Mein Feindbild ist die Frau an seiner Seite“, bekennt er im rbb-Interview. Auf einer Pressekonferenz am Dienstag in Berlin sagt Schwan aber auch: „Ich habe acht Jahre mit dem Mann zusammengelebt, sozusagen. Der Helmut Kohl hat mir vertraut.“ Schließlich ging es um seinen Platz in den Geschichtsbüchern. Doch dann habe sich Kohls zweite Frau, Maike Kohl-Richter, immer mehr eingemischt, bis in die Kommasetzung wollte sie die Memoiren beeinflussen.

Und nicht nur das: Nach 47 Jahren habe sie Kohls Fahrer entlassen, dann die Haushälterin. „Und warum bin ich mitten im vierten Band der Memoiren, der zur Hälfte fertig war, vor die Tür gesetzt worden? Das kann doch nicht in seinem Sinne sein“, sagt Schwan.

Dass die Aufzeichnungen nun in einem Kellerverlies verschwinden oder vernichtet werden – das dürfe nicht sein, meint Schwan. Es gebe noch viel über Kohl zu sagen. Die Öffentlichkeit habe „ein Anrecht darauf zu wissen, wie er tickt.“ Einen Vertrag hatte Schwan nur mit dem Verlag, nicht mit Kohl. Es lief eben zwischen den beiden alles auf Treu und Glauben. So blieb Kohls Anwälten jetzt nicht viel mehr übrig, als in einem dürren Schreiben an den Heyne-Verlag, auf ihre Rechtsposition hinzuweisen, derzufolge das Autorenduo Heribert Schwan und Tilman Jens kein Recht zu der Veröffentlichung habe. Kein Rechts- sondern „nur“ ein Vertrauensbruch also? Dies ist also auch die Geschichte einer gescheiterten Beziehung, von Zuneigung und Enttäuschung. „Wer das Buch liest, der erfährt, dass ich diesen Mann verinnerlicht habe“, sagt Schwan. Er habe die „Protokolle“ mit sehr viel Empathie geschrieben. Wie also war Kohl, damals, in der Zeit, als er sich mehr als 100-mal mit Schwan zu langen Gesprächen getroffen hat? „Er war kein Mann, der von Selbstzweifeln gebeutelt wird“, erinnert sich der Autor. Das gelte auch für die Monate nach Hannelore Kohls Suizid. Und überhaupt: „Wer einmal Feind ist, bleibt Feind.“ Deshalb werde er Merkel, die ihn vom Thron des CDU-Vorsitzes gestürzt hat, auch niemals verzeihen.

Also dann: „Frau Merkel konnte ja nicht richtig mit Messer und Gabel essen. (…) Sie lungerte bei den Staatsessen herum, sodass ich sie mehrfach zur Ordnung rufen musste.“ Das ist lange her. Ähnliche Hiebe müssen auch viele andere einstecken. Ex-Bundespräsident Christian Wulff zum Beispiel sei „ein Verräter und eine Null“. Und was ist mit dem Kanzler der Einheit, dem Architekten der Wiedervereinigung? Gerade jetzt, zum 25. Jahrestag der friedlichen Revolution, wirkt Kohls Blick zurück sehr ernüchternd. Dass das Ende der DDR auf der Straße entschieden worden sei, das sei „dem Volkshochschulhirn von (SPD-Politiker Wolfgang) Thierse entsprungen“. Entscheidend sei vielmehr Sowjetchef Michail Gorbatschow gewesen. Der habe gesagt: „Von uns gibt es kein Bimbes mehr. Macht was ihr wollt.“

Was Kohl wohl über die „Protokolle“ denkt? Wegen des schlechten Gesundheitszustands des Altkanzlers ist das nicht bekannt. Schwan ist sich aber sicher, dass Kohl das Buch gutheißen würde: „Er würde sagen: Volksschriftsteller, Gratulation!“