Berlin. Wenn die Bundeskanzlerin einen ihrer Minister rügt, dann zumeist diskret hinter den Kulissen. Bei Andrea Nahles machte Angela Merkel am Wochenende eine Ausnahme: Dem Plan der SPD-Arbeitsministerin für eine Anti-Stress-Verordnung zum Schutz von Arbeitnehmern erteilte die Regierungschefin eine öffentliche Absage: „Ich stehe einer Anti-Stress-Verordnung sehr skeptisch gegenüber“, sagte Merkel in ihrem aktuellen Video-Podcast. Die Abmahnung an die Ministerin, die vor drei Wochen den Kampf gegen Job-Stress angekündigt hatte, war sorgfältig inszeniert. Denn es geht um eine Richtungsansage:

Die Zeiten üppiger Wohltaten, von Milliardengeschenken an Rentner bis zum Mindestlohn, sind in der Großen Koalition vorüber. Letzter Auslöser sind die zunehmend schlechteren Konjunkturaussichten und die nicht mehr zu übersehende Investitionsschwäche der Wirtschaft. Unternehmerverbände und der Wirtschaftsflügel der Union mahnen schon länger einen Kurswechsel an, jetzt werden sie gehört. Merkel macht ein großes Versprechen, das sie am Dienstag bei einer Rede vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie bekräftigen will: Die deutsche Wirtschaft müsse „nicht mit weiteren Regulierungen rechnen“. Die viel kritisierten Rentenreformen habe die Regierung umgesetzt. „Aber jetzt heißt es, in die Zukunft zu blicken und die Schwerpunkte Forschung und Investitionen in den Blick zu nehmen, solide Haushaltspolitik und, wo immer es möglich ist, auch Bürokratieabbau.“

Ähnlich hat es Unionsfraktionschef Volker Kauder Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer zugesagt: Keine neue Belastung über den Koalitionsvertrag hinaus – das bedeutet für Kauder zwar das Festhalten an der Frauenquote, aber eine Absage nicht nur an Nahles Anti-Stress-Verordnung, sondern auch an die SPD-Idee einer großzügigen Familienarbeitszeit. Insgesamt steht die Union jetzt sozialpolitisch auf der Bremse. Das Kanzleramt etwa hat die Idee von Bauministerin Barbara Hendricks (SPD) für einen Heizkostenzuschuss an Geringverdiener offenbar gebremst.

In der Sozialpolitik stehen die Unionsparteien auf der Bremse

Der Plan der SPD, die Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger zu lockern, stößt in der Union auf massiven Widerstand, CSU-Chef Horst Seehofer sagt: „Das wird die CSU verhindern.“ Und die im Koalitionsvertrag vereinbarte Mietpreisbremse wird von der Unionsfraktion gerade stark eingedampft.

Den Zusammenhalt der Koalition wird der Kurswechsel belasten. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) steht zwar persönlich für eine wirtschaftsfreundliche Politik, wie er bei der Ökostrom-Reform bewiesen hat. Er wirbt für mehr „Wirtschaftskompetenz“ der SPD, und auch er macht sich Sorgen um die Investitionsschwäche. Aber dass die Unionsspitze jetzt vorprescht, muss ihm Probleme bereiten; die Absage an SPD-Vorhaben kann der Parteichef nicht einfach hinnehmen.