Eher flau geht es zu bei der Diskussion im Bundestag. Merkel widmet sich der digitalen Agenda, die Opposition spottet darüber

Berlin. Erstmals nach zwei Stunden weicht die gepflegte Langeweile. Wenigstens ein bisschen gespannte Unruhe ist zu spüren, während Matthias W. Birkwald, der sich schon einmal hinter einem Saalmikrofon aufgebaut hat, das Wort erhält. Der bislang eher unbekannte Linken-Abgeordnete hat eine Zwischenfrage, die er an den am Rednerpult stehenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann richtet.

Birkwald zählt auf, wann die SPD im Parlament und auf Parteitagen gegen einen Mindestlohn gestimmt habe. Mehrfach nämlich. „Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?“, lautet seine rhetorische Frage. Es ist die Revanche für Oppermanns Hinweis, die Linke habe im Sommer im Bundestag gegen die Einführung des großkoalitionären Mindestlohns gestimmt. Das erwähnt Oppermann nun abermals in seiner rhetorischen Antwort auf die rhetorische Frage.

Wenn eine Frage von Matthias W. Birkwald zum heimlichen Höhepunkt einer Haushaltsdebatte über den Etat des Bundeskanzleramts wird, muss es schlecht stehen um das, was einst „Generaldebatte“ hieß. Der Oppositionsführer bekommt, so ist es Parlamentstradition, das Recht des ersten Wortes. Gregor Gysi von den Linken hat dieses Amt seit Bildung der Großen Koalition inne. „Sie haben sich zu einem Haushalt entschieden, der alles, was wichtig ist, verschiebt oder ausblendet“, lautet der erste Satz des Linken-Fraktionsvorsitzenden. Lange aber hält sich der Finanzexperte Gysi nicht mit Zahlen auf, sondern widmet sich der Außenpolitik. „Der Irak braucht vieles, nur nicht Waffen“, sagt Gysi (war er nicht mal zeitweise für jene Waffenlieferung?). Dann fragt er: „Wann kehren wir zum Völkerrecht zurück?“

Um Außenpolitik geht es auch auf der Regierungsbank, vermutlich. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) stecken ihre Köpfe zusammen – hinter Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), der zwischen ihnen sitzt, funktioniert das ganz gut. Später beugen sich beide vor und reden quasi über Gabriel hinweg. Intensiv tauschen sich auch Wolfgang Schäuble (CDU) und Alexander Dobrindt (CSU) aus, gewissermaßen dürfte es hier ebenfalls um eine ernste Krise gehen, die Maut, eigentlich müsste hier die Uno vermitteln. Der Finanzminister führt das Wort, der Verkehrsminister streift sich mit der Hand über das Kinn. Andrea Nahles (SPD), links von beiden am Rand der Regierungsbank sitzend, wirkt da fast verloren.

„Hilflos, wirr, durcheinander“ – mit dieser Trias umschreibt Gysi nicht etwa die deutsche Maut, sondern die deutsche Außenpolitik. Als „Durchbruch“ würdigt er die Waffenruhe in der Ukraine, verlangt einen Marshall(!)-Plan für die Ostukraine und spricht von „faschistischen Organisationen“, natürlich ausschließlich auf ukrainischer Seite. Gibt Gysi eher den Kabarettisten, hält Angela Merkel eine Vorlesung. 40Minuten spricht die Kanzlerin, das Zuhören fällt schwer. „Erstmals seit 1969 legen wir einen ausgeglichenen Haushalt vor“, startet Merkel, spult ihre Rede in gewohnter Routine ab. Zentrale Aufgaben, aktives Begleiten, politisches Mitgestalten, Dinge voranbringen, überragende Bedeutung, wichtige Beiträge – Merkel garniert ihren Auftritt mit Plastikwörtern aus dem verbalen Baukasten. Inhaltlich setzt sie indes ungewohnte Akzente: Mit der „Digitalen Agenda“ steigt sie ein, widmet sich ausgiebig dem „Internet der Dinge“ und Bedürfnissen von „App-Entwicklern“.

Manchmal fremdelt Merkel mit den ihr aufgeschriebenen Begriffen, „Open Innovation“ etwa, „wie es so schön heißt“. Ähnlich sperrig klingt das bei Breitband-Hochgeschwindigkeitsaufbau oder der Datenschutz-Grundverordnung.

Sodann arbeitet sich Merkel zu Bildung, Infrastruktur, Pflege vor. Auf drei Kabinettsmitglieder geht sie ein, verweist auf „den Wirtschaftsminister“ (Gabriel), jeweils zweimal bedenkt sie „Bundesminister Dobrindt“ und „unseren Innenminister Thomas de Maizière“. Ursula, die Ungenannte, von der Leyen, pflegt derweil ihre Lippen. Auch Steinmeier wird von Merkel nicht genannt, obwohl sie doch der Außenpolitik eine Viertelstunde widmet. Im vergangenen Jahr habe die Koalition ihre Schwerpunkte formuliert, sagt Merkel und meint damit den Koalitionsvertrag. Mit einem seufzergleichen „Wie anders verläuft doch das Jahr 2014!“ kommentiert sie die Dominanz der internationalen Krisen. „Am Ende wird sich die Stärke des Rechts durchsetzen“, prognostiziert die Bundeskanzlerin. Der Krieg im Irak werde noch einen „längeren Zeitraum“ beanspruchen. Eine Wertegemeinschaft sei die EU, schließt sie.

Für 70 Millionen Euro liefere Deutschland Waffen, für 50 Millionen Euro humanitäre Hilfe, das sei ein krasses Missverhältnis, bemängelt Katrin Göring-Eckardt. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende schildert Deutschland in düsteren Farben, spricht von „Straßen, auf denen bricht jede Achse“. Der Bundeshaushalt sei eine „Wette auf die gute Konjunktur“, die Mehreinnahmen von 111 Milliarden Euro würden „verbraten“. Kurzsichtig sei die Wirtschaftspolitik. Dann geht die Vorsitzende der kleinsten Bundestagsfraktion auf Merkels Schwerpunktthema ein, die digitale Agenda. Dafür findet Katrin Göring-Eckardt eine recht hübsche Metapher, die ein wenig zur heutigen Generaldebatte passt: Sie spricht von einer „müden und lahmen Eintagsfliege“.