Deutscher Nachrichtendienst schnitt Telefonate der US-Außenminister mit. Auch Türkei ausspioniert. Ankara nennt Überprüfung „skandalös“

Berlin. Die Blamage kommt im Doppelpack: Im vergangenen Jahr stand die Bundesregierung mit Kanzlerin Angela Merkel im Zentrum als Ausspähopfer der USA da. Die Aufregung in Berlin war groß. Warum belauschten die Amerikaner ihren engen Partner? Wieso weigerten sie sich, nachdem sie ertappt worden waren, Fragen aus Deutschland zur Affäre zu beantworten? Die Bundesregierung präsentierte sich damals hilflos. Aus einem ganz anderen Grund ist sie nun ein zweites Mal blamiert. Merkel und ihre Mannschaft stehen plötzlich als Heuchler da. Der moralische Ton, mit dem Berlin die USA mit Vorwürfen überzogen hatte, wirkt bigott und ist zum Bumerang geworden, nachdem nun klar ist, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) selbst führende US-Politiker belauscht hat.

Die deutsch-amerikanische Spionageaffäre, die mit den Enthüllungen von Edward Snowden ihren Anfang nahm, hat damit eine überraschende Wendung genommen. Unter Rechtfertigungsdruck steht nun die Bundesregierung. Sie muss erklären, warum der BND offenbar ganz ähnliche Praktiken anwendet wie mancher US-Dienst.

Der politische Sprengstoff ist offensichtlich. „Das Ausspähen von Freunden geht gar nicht.“ So hatte Merkel auf das Abhören ihres Handys reagiert. Jetzt stellt sich heraus, dass der BND offenbar Telefonate von gleich zwei Außenministern – erst von Hillary Clinton und dann von John Kerry – mitgeschnitten hat. Auch die Darstellung, dass die beiden Politiker zufällig ins Visier der BND-Horcher geraten seien, es sich also um einen sogenannten Beifang gehandelt habe, und die Mitschriften der abgehörten Gespräche vernichtet werden sollten, wirkt da nicht wirklich entlastend.

Denn wie der „Spiegel“ berichtet, soll auch der Nato-Partner Türkei ein Aufklärungsziel des BND sein. Dafür mag es viele gute Gründe geben – nur passt es eben nicht zu dem Diktum von Merkel, wonach „Freunde“ für deutsche Agenten tabu sind. Ein Regierungsvertreter in Ankara hat bereits eine gründliche Prüfung der Vorwürfe angekündigt. Die Berichte müssten „ernst genommen werden“, sagte der Vize-Vorsitzende der regierenden AKP, Mehmet Ali Sahin, am Sonntag. Die türkische Regierung und das Außenministerium würden die nötigen Untersuchungen zu den Vorwürfen anstrengen.

Die brisantesten neuen Erkenntnisse, über die erstmals die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete, sind aber, dass der BND Gespräche von US-Außenminister John Kerry und seiner Vorgängerin Hillary Clinton aufgezeichnet hat. Die jeweils über Satelliten geführten Telefonate sollen dabei als Beifang im Überwachungsnetz des BND gelandet sein. In mindestens einem Fall sei die Aufzeichnung eines Clinton-Gesprächs zunächst ausgewertet und nicht sofort gelöscht worden.

Wie aus Sicherheitskreisen bekannt wurde, wurde der BND-Leitung das Transkript vorgelegt. Es wurde dann entschieden, das Dokument umgehend zu löschen. Mit der Vernichtung der Verschlusssache war nun aber ausgerechnet Markus R. beauftragt – jener BND-Mitarbeiter, der mittlerweile unter Spionageverdacht steht. R. löschte die Aufzeichnung nicht wie angeordnet, sondern verkaufte eine Kopie davon an mutmaßliche CIA-Mitarbeiter.

Seit dem Sommer 2013, als die Snowden-Affäre startete, gibt es beim Nachrichtendienst die Anweisung, abgefangene Telefonate von Repräsentanten befreundeter Nationen umgehend zu löschen. Vielleicht wäre also niemals etwas über die heikle Abhörpraxis beim BND an die Öffentlichkeit gekommen. Dass es nun anders gekommen ist, liegt an der Festnahme des mutmaßlichen Spions.

218 Dokumentesammlungen aus dem Innersten des BND wurden bei Markus R. gefunden. Die Brisanz wurde zunächst heruntergespielt. Aus Sicherheitskreisen hörte man, dass R. nur ein ganz kleines Licht beim Dienst gewesen sei, einer, der keinen Zugang zu wirklich wichtigen Informationen hatte. Der Entschluss der USA, ihn anzuwerben, sei eine „Dummheit“ gewesen, erklärte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Sein Parteifreund und Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagte, die abgeschöpften Informationen seien „lächerlich“ vor dem Hintergrund des entstandenen politischen Schadens.

Wie man mittlerweile weiß, lagen die beiden Minister falsch. Unter den an die USA gelieferten Unterlagen war neben den Hinweisen auf die abgehörten Telefonate auch das geheime „Auftragsprofil“ der Bundesregierung für den deutschen Geheimdienst. Derzeit werden die gesamten Unterlagen vom Generalbundesanwalt gesichtet.

Die Regierung steckt jetzt in einer kniffligen Situation. „Wir erwarten, dass sich die Bundeskanzlerin umgehend erklärt“, sagt Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionschef der Grünen im Bundestag. Zusammen mit der Linken fordern die Grünen, der Fall müsse im Kontrollgremium und im Innenausschuss untersucht werden.

Der Bundesnachrichtendienst will dem Eindruck entgegengetreten, er spähe die USA gezielt aus und sein Vorgehen sei vergleichbar mit dem der US-Dienste hierzulande. „Grundsätzlich führen wir gegen befreundete Staaten keine Abhörmaßnahmen durch, die USA waren und sind kein Aufklärungsziel“, sagte eine BND-Sprecherin.

Fest steht: Durch die neuen Enthüllungen hat das Vertrauen in die Bundesregierung und die Arbeit der Nachrichtendienste Schaden genommen. Nach Informationen der „Welt“ hofft die Bundesregierung weiterhin darauf, mit den Amerikanern eine neue Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Bereich der Nachrichtendienste auszuhandeln. In einem Passus sollten genaue Grenzen für das gegenseitige Abschöpfen festgeschrieben werden. Jetzt sieht es so aus, dass für Washington wenig Anlass besteht, irgendwelche Garantien abzugeben.