Ab heute will die Bundeswehr Verpflegung und Sanitätsmaterial in den Nordirak fliegen. Waffenlieferungen bleiben aber in der Regierung umstritten

Berlin. Schüsse peitschen über das Wasser, Rauchschwaden verhüllen die Geschütze, Feuerstöße aus Maschinengewehren und Handfeuerwaffen sind zu hören: So berichtete die Bundeswehr im Oktober 2013 über das Seezielschießen „Blue Hurricane“ der Uno-Mission Unifil vor der Küste des Libanon. Das Besondere, so lässt das Einsatzführungskommando in Potsdam den interessierten Leser wissen, sei die erfolgreiche Teilnahme von drei Booten der libanesischen Marine an der Übung gewesen – darunter die „Tabarja“, ein ehemaliges deutsches Wachboot.

Drei solcher Boote hat die Bundesregierung in Berlin den Kollegen in Beirut geschenkt, dazu Ausbildungshilfe für deren Marinesoldaten, außerdem baute man eine Reihe von Radarstationen an der Küste auf. Über die deutschen Rüstungsexportrichtlinien machte sich bei diesen Lieferungen von Kriegsgerät – dabei handelt es sich jedenfalls bei den Booten – niemand Gedanken. Warum auch: Das einschlägige Kriegswaffenkontrollgesetz ist für Rüstungsunternehmen gemacht, die bei der geschäftlichen Ausfuhr von militärischen Gütern die Zustimmung der Bundesregierung benötigen. Wenn die Regierung aus sicherheitspolitischen Erwägungen zu der Überzeugung gelangt, selbst Waffen an einen Partner zu liefern, passen die Normen nicht.

Ganz anders als in der Krisenregion Libanon lief die Sache, als nun der Präsident der kurdischen Autonomieregion im Nordirak, Massud Barsani, um militärische Ausrüstungshilfe für den Kampf seiner Peschmerga-Kämpfer gegen die vorrückende Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bat. Am Montag erläuterte der Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Steffen Seibert, dass Waffenlieferungen nicht infrage kämen, und zwar wegen der Rüstungsexportregeln, die da lauteten: „Grundsätzlich keine Waffen in Kriegs- und Kampfgebiete zu liefern, das ist ein Prinzip, dem sich diese Bundesregierung natürlich auch weiterhin verpflichtet fühlt.“

Zwei Tage später war der Fachminister für Auswärtiges, Frank-Walter Steinmeier (SPD), schon etwas weiter: Er wollte Waffenlieferungen nicht mehr grundsätzlich ausschließen. Auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte festgestellt, dass Lieferungen „rechtlich möglich“ seien. Seibert erläuterte also, dass „Grundsätze immer auch Beurteilungsspielräume offen“ ließen und die Bundesregierung nun bereit sei, diese Spielräume angesichts der dramatischen Situation im Nordirak auszuschöpfen. Alle rechtlichen Fragen würden nun „dringlich geprüft“. Freilich müsste sich die Bundesregierung nun einig über die Art der Hilfe sein. Doch das Kabinett ist nicht einig: Während Steinmeier und Gabriel Waffenexporte nicht ausschließen, lehnt Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) Rüstungslieferungen an die Kurden ab. „Wir können Kurdistan jetzt nicht allein lassen und zusehen, wie dort Menschen abgeschlachtet werden“, sagte Steinmeier. Deshalb sei auch eine Unterstützung der kurdischen Peschmerga-Kämpfer möglich: „Im Übrigen werde ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ausschließen, dass wir gegebenenfalls, wenn die Bedrohungslage so anhält, auch Waffen liefern müssen.“ Müller gab dagegen zu Protokoll: „Ich bin für die Lieferung von Medizin, Lazaretten, Krankenwagen und vieles mehr, was möglich ist – aber nicht für Waffenlieferungen.“

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bewegt sich irgendwo dazwischen: Derzeit will sie keine Waffen, sondern „nicht tödliche“ Ausrüstung wie Helme, Schutzwesten und geschützte Fahrzeuge bereitstellen. Allerdings müsse man die weitere Entwicklung im Auge behalten.

Zynisch nannte einer ihrer Vorgänger, Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), diese Haltung. „Die Drecksarbeit im Irak lassen wir andere machen, dafür haben wir ja gottlob Washington, Rom und Paris“, schrieb Guttenberg in der „Bild“-Zeitung.

Am Donnerstag griff Bundeskanzlerin Angela Merkel erstmals persönlich in die Debatte ein. Die CDU-Chefin: „Es gibt bei Rüstungsexporten für die Regierung immer einen politischen und rechtlichen Spielraum, und den werden wir, wenn nötig, ausschöpfen.“ Es sei entsetzlich, was „Menschen im Nordirak, Jesiden, Christen und andere, durch die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) erleiden“ würden. Das heißt also: Die Regierungschefin schließt Waffenlieferungen nicht aus, ohne sie konkret anzukündigen. Priorität hat für Merkel zunächst das Treffen der EU-Außenminister in Brüssel, bei dem das Vorgehen der europäischen Partner abgestimmt werden soll. „Das Vorrücken dieser Extremisten zu stoppen und den Notleidenden zu helfen ist eine Aufgabe für die gesamte internationale Gemeinschaft“, sagte Merkel. Nach Tagen der Debatte beginnt nun immerhin auch Deutschland mit konkreten Taten. Nach Informationen des Militärblogs „Augen geradeaus“ sollen am heutigen Freitag erste Hilfslieferungen durch die Bundeswehr in den Nordirak starten.

Demnach sollen zunächst vier Transall-Maschinen vom Fliegerhorst Hohn, beladen mit Verpflegung und Sanitätsmaterial, in die Krisenregion fliegen. Die Flüge gehen zunächst in Richtung der Airbase Inçirlik in der Türkei, von dort sollen die Güter in die nordirakische Stadt Erbil weitertransportiert werden. Ob die Bundeswehr auch diesen Flug in den Irak durchführen wird, ist noch unklar. Das hat mit der deutschen Rechtslage zu tun: Sobald die Gefahr besteht, dass Bundeswehrsoldaten bei dem Einsatz in einen bewaffneten Konflikt verwickelt werden könnten, muss ein Mandat des Bundestags für die Mission verabschiedet werden. Erbil allerdings wird sogar noch von der Lufthansa angeflogen.