Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) über Folgen des russischen Importstopps und die Massentierhaltung

Hannover. Der niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) gilt als Bauernschreck, weil er mit mehr Kontrollen, Gebühren und Sanktionen versucht, Umweltsündern auf die Spur zu kommen und die Massentierhaltung zu bremsen. Er selbst aber ist davon überzeugt, dass die eingeleitete Agrarwende der rot-grünen Landesregierung im Agrarland Nummer eins der Bundesrepublik vor allem den kleinen und mittleren Bauernhöfen sogar hilft: „Wir haben bei den Direktzahlungen eine Umverteilung von groß nach klein angeschoben, das nutzt nicht ostdeutschen Großbetrieben, sondern Niedersachsens Bauern.“ Den von Tierschützern vorgeschlagenen Mindestpreis für Fleisch lehnt er als Planwirtschaft ab, aber er pocht darauf, dass eine breite Mehrheit der Gesellschaft die Massentierhaltung ablehnt: „Tiere sind keine Wegwerfware, sondern Lebewesen.“ Dies müsse sich bei der Verteilung der milliardenschweren Subventionen vor allem in der Europäischen Union stärker niederschlagen: „Wir müssen Anreize schaffen, damit Landwirte in tiergerechte Haltung investieren.“

Hamburger Abendblatt:

Niedersachsens Bauern argumentieren, Ihre Expansion helfe, den Hunger in der Welt zu lindern?

Christian Meyer:

Dies geht an der Realität vorbei. Es fehlt weltweit nicht an Lebensmitteln, sondern es gibt ein Verteilungsproblem und die Aufgabe, die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern zu fördern. Es darf nicht dabei bleiben, dass in Entwicklungs- und Schwellenländern auf den Flächen gerodeter Wälder Futtermittel angebaut werden für die Landwirtschaft im reichen Norden statt Lebensmittel für die eigene Bevölkerung. Entwicklungsorganisationen sagen: Unsere Schweine und Hühner fressen den Armen in der Welt die Nahrung weg.

Wie schwer wiegt der russische Importstopp für Fleisch und andere Nahrungsmittel aus Deutschland?

Meyer:

Im Grundsatz gilt: Export ist immer risikobehaftet. Faktisch hat Russland schon vor Monaten die Einfuhren etwa von Schweinefleisch und Milch blockiert mit vorgeschobenen hygienerechtlichen Gründen. Problematisch ist, dass durch den Importstopp jetzt sowohl in der ganzen EU als auch den USA ein Überangebot bei bestimmten Produkten entsteht. Die Folge sind sinkende Preise für die produzierenden Landwirte.

Aber was raten Sie den Betroffenen?

Meyer:

Die Zukunft der Landwirtschaft kann angesichts der damit verbundenen massiven Umweltprobleme wie Überdüngung nicht in der Ausweitung der Massentierhaltung liegen. Im Westen von Niedersachsen haben wir bereits heute deutlich zu hohe Tierbestände auf zu wenig Fläche. Die Zukunft liegt nicht in Masse und billig, sondern in hochwertigen Qualitätslebensmitteln, wie das die deutsche Automobilindustrie, aber auch der Werkzeugmaschinenbau vormachen. Wir müssen die besten Lebensmittel produzieren. Die billigsten können wir schon wegen unseres Lohnstandards nicht produzieren. Dass das funktioniert, zeigt der wachsende Milchexport aus Niedersachsen nach China. Dort traut eine wachsende Schicht nach den dortigen Skandalen um verseuchte Milch den heimischen Lebensmitteln nicht mehr. Made in Germany ist da wegen unseres guten Rufs bei Umwelt- und Verbraucherschutz ein Verkaufsschlager.

Dem Landvolk gelten Sie als Bauernschreck. Sind Sie am Ende sogar stolz auf den Titel?

Meyer:

Das bin ich gewiss nicht, sondern ich bin ein Freund der bäuerlichen Landwirtschaft und damit von 90 Prozent des Berufsstandes. Die bäuerlichen Landwirte bekommen jetzt sogar dank meines Einsatzes bei der Agrarministerkonferenz mehr Geld pro Hektar, weil wir bei den Direktzahlungen eine Umverteilung von groß nach klein angeschoben haben. Das nutzt Niedersachsens Bauern und nicht ostdeutschen Großbetrieben. Und auch die von uns im Interesse der Umwelt gemachten Auflagen wie die Filterpflicht treffen nur die ganz großen Betriebe. Die sind auch völlig zu Recht aus der Privilegierung gefallen.

Landvolkpräsident Werner Hilse hat gerade Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) aufgefordert, Sie zu stoppen ...

Meyer:

Dazu gibt es keinen Grund. Die große Mehrheit der Niedersachsen begrüßt die Umorientierung der Landwirtschaft. Die sanfte Agrarwende ist ein gemeinsames Erfolgsprojekt von SPD und Grünen in Regierungsverantwortung mit unbestreitbaren Erfolgen. Mit dem Handel haben wir gerade erst auf freiwilliger Basis ein Abkommen getroffen: Ab 2017 wird es das tierquälerische Schnäbelkürzen bei Legehennen nicht mehr geben, weil der Handel dann nur noch Eier abnimmt aus Betrieben, die darauf verzichten. Das ist ein Riesenschritt für den Tierschutz und stärkt die heimischen Betriebe, die keine Billigkonkurrenz aus dem Ausland mehr befürchten müssen. Und wir schaffen finanzielle Anreize für die Bauern, um ihre Ställe tiergerecht umzubauen oder auf das Kürzen der Schnäbel oder Ringelschwänze verzichten. Ab Ende 2016 wird es laut Tierschutzplan kein routinemäßiges Abschneiden der Ringelschwänze mehr geben. In der EU ist das schon verboten, nur von Deutschland nicht umgesetzt. Und ich denke, dass es in zwei bis vier Jahren durch Früherkennung im Ei wirtschaftlich möglich sein wird, die zigmillionenfache Tötung männlicher Küken gleich nach der Geburt zu beenden. Tiere sind keine Wegwerfware, sondern Lebewesen!

Tierschützer fordern einen Mindestpreis für Fleisch?

Meyer:

Fleisch muss mehr wert sein. Auch Landwirte haben für ihre Leistung höhere Preise verdient, und ich glaube, dass die Menschen das auch zunehmend erkennen. Aber mit Festpreisen funktioniert das nicht, wir leben schließlich nicht in einer Planwirtschaft. Wir müssen Anreize schaffen, damit Landwirte in tiergerechte Haltung investieren, und genau das gehen wir mit erheblichen EU-Mitteln an. Und wir müssen dafür kämpfen, dass die Verbraucher künftig ähnlich wie bei Eiern auch beim Fleisch erkennen können, was woher kommt.

Mit Verlaub: Noch greifen die Verbraucher doch vor allem nach dem billigen Fleisch?

Meyer:

Ich glaube nicht, dass die Agrarwende von den Verbrauchern kommt, sondern von den Wählerinnen und Wählern, also mitten aus der Gesellschaft – vergleichbar mit der Energiewende, der Abkehr vom Atomstrom. Große Tierfabriken werden zunehmend abgelehnt. Der Unterschied: Anders als bei der Energiewende brauchen wir keine zusätzlichen Umlagen wie das EEG, sondern die Politik muss nur dafür sorgen, dass die 58 Milliarden Euro EU-Agrarsubventionen in die Richtung fließen, die die Gesellschaft will, nämlich eine nachhaltig tiergerechte Haltung, von der die Bauern auch leben können. Positiv sehe ich, dass auch die CDU hier in Niedersachsen sich bewegt, den Tierschutzplan erarbeitet hat und etwa gemeinsame Beschlüsse gegen Überdüngung mitmacht, weil sie erkannt hat, dass es inzwischen eine breite Mehrheit quer durch alle Parteien gibt, die weg will von der industriellen Massentierhaltung.