Der SPD-Chef wollte tiefen Einblick in sein Seelenleben geben. Nun zögert er die Veröffentlichung auf unbestimmte Zeit hinaus

Berlin. Das schwarz-weiße Cover ist längst fertig. Sigmar Gabriel blickt darauf nachdenklich in die Kamera, unter dem Konterfei des SPD-Chefs prangt der Titel: „Zweieinhalb Leben – Sigmar Gabriel“. In dem geplanten Interview-Buch mit dem „Zeit“-Journalisten Bernd Ulrich wollte der SPD-Chef tiefe Einblicke in sein Seelenleben geben. Über seine bewegte Kindheit wollte Gabriel erzählen. Über seinen Vater, einem überzeugten Nationalsozialisten, von dessen Gesinnung Gabriel erst als Jugendlicher erfahren hatte.

Diesen April sollte das Buch erscheinen. Doch daraus wurde nichts. Zwar ist das Manuskript in großen Teilen fertig und liegt dem SPD-Chef vor. Doch Gabriel blockiert die Veröffentlichung. Der Erscheinungstermin sei „offen“, heißt es beim Verlag Kiepenheuer & Witsch. Zwar wolle man grundsätzlich an dem Buch festhalten. Doch ob das Werk je erscheinen wird, scheint fraglich. Nun schießen Spekulationen ins Kraut: Warum blockiert Gabriel die Veröffentlichung?

Gabriel gibt gewöhnlich wenig Privates von sich preis. Doch im Januar 2013 war in der „Zeit“ ein aufsehenerregendes Porträt über Gabriel erschienen, in dem er über seinen Vater sprach – einen bis zu seinem Tod im Juni 2012 überzeugten Nationalsozialisten. Dass Gabriels Vater ein Nazi war, war zuvor bekannt. Doch in der „Zeit“ sprach der SPD-Chef erstmals offen über seine Familiengeschichte. Wie er – getrennt von der Mutter – von seinem Vater geprügelt wurde und wie sehr er unter dessen Tyrannei und dem Sorgerechtsstreit seiner Eltern litt. Gabriel berichtete von dem Schock, als er mit 18 Jahren als Bundeswehrsoldat von der NS-Gesinnung seines Vaters erfuhr. Er schilderte, dass er als Jugendlicher „eine ganze Reihe von Lern- und Verhaltensstörungen“ entwickelte. Gabriel sagte, er hoffe, dass sich nach dem Tod des Vaters in ihm etwas löse. Auf die Rückfrage, ob dies der Fall sei, antwortete er: nein. Geblieben sei eine „unbändige Wut“ auf den Vater. An anderer Stelle ist von „Selbstzweifeln“ die Rede, einem Vorbehalt gegen die eigene Person, der mitverantwortlich dafür gewesen sei, nicht die Kanzlerkandidatur übernommen zu haben. Gabriel leitete aus seinen Jugenderfahrungen auch sein politisches Engagement ab. „Wenn Menschen Unrecht geschieht, kann ich mich richtig aufregen“, sagte er. Aus dem Artikel entstand die Idee für ein Buch: Was ist Politik für einen Menschen mit dieser Vergangenheit, was bedeutet Macht für jemanden, dessen primäre Lebenserfahrung Ohnmacht war? In dem Gesprächsband sollte es auch um die Krise der deutschen Sozialdemokratie gehen: Wie viel Zukunft hat die älteste Partei Deutschlands? Und was kann ihr Vorsitzender dazu beitragen? Mit entsprechend großer Spannung war das Buch deshalb auch in der SPD erwartet worden.

Nun liegt das Projekt auf Eis. Der Verlag gibt als Grund für die Verschiebung „Arbeitsbelastung“ und „Termine“ an. Mancher in der SPD mutmaßt, Gabriel wolle über so heikle Themen wie die eigene Familiengeschichte vielleicht nur gründlich nachdenken. Ein anderer glaubt, Gabriel könne ein Buch, in dem es um die Krise der SPD geht, jetzt nicht gebrauchen. Der Parteichef verordnet der Sozialdemokratie gerade einen Kursschwenk von links in die Mitte. Doch könnte er nicht gerade dann mit einem Buch Akzente setzen? Der Einzige, der eine Antwort auf all diese Fragen geben könnte, ist Gabriel selbst. Doch von Gabriel heißt es zu der Sache nur: „Kein Kommentar.“