Waffenlieferungen und humanitäre Hilfe gefordert. IS-Terroristen gehen besonders brutal gegen Jesiden vor

Berlin/Bagdad. In der Irak-Krise wird der Ruf nach deutschen Waffenlieferungen an die Kurden laut, um diese im Kampf gegen die vorrückenden Islamisten zu unterstützen. Außerdem fordert ein breites Bündnis aus Politik, Menschenrechtlern, Religionsgemeinschaften und Künstlern die Bundesregierung auf, humanitäre Soforthilfe für die im Irak verfolgten Christen, Jesiden und andere religiöse Minderheiten auf den Weg zu bringen. „Der Vormarsch der radikalislamischen Terrororganisation Islamischer Staat (IS) bedroht das Leben Zehntausender Menschen im Irak“, heißt es in dem offenen Brief, der unter anderem von Bundes- und Landespolitikern aus CDU, SPD, Grünen, FDP und Linkspartei unterzeichnet worden ist.

Forderungen nach deutschen Waffenlieferungen kamen vom ehemaligen Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), August Hanning. „Die Islamisten verfügen über moderne Waffen aus den eroberten irakischen Militärlagern, die Kurden sind dagegen hoffnungslos unterlegen“, sagte der Ex-Geheimdienstler der „Bild am Sonntag“. Die Bundesregierung sollte den Kurden daher sofort moderne Waffen zur Selbstverteidigung zur Verfügung stellen. Grünen-Chef Cem Özdemir zeigte Verständnis für US-Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga. Wenn „Berlin und Brüssel“ um Unterstützung gebeten würden, müsse auch dort geprüft werden, „wie ein Beitrag über die bestehende humanitäre Hilfe hinaus aussehen kann“.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen, warf der Bundesregierung eine passive Haltung vor. Deutschland müsse humanitäre Hilfe leisten und Flüchtlingen aus dem Irak Zuflucht gewähren, bis sich die Lage in der Region bessere, forderte der CDU-Politiker. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) stockte die Hilfe für die Flüchtlinge im Norden des Irak um weitere 1,5 Millionen Euro auf. In seiner Erklärung dazu begrüßte er den US-Militäreinsatz, ging auf die Forderung nach deutschen Waffenlieferungen jedoch nicht ein.

Die USA fliegen seit Freitag Luftangriffe auf Stellungen der IS, um die Kurden bei der Verteidigung der Millionenstadt Erbil zu unterstützen. Außerdem werden Angehörige der Minderheit der Jesiden aus der Luft mit Wasser und Lebensmitteln versorgt, die sich in die Sindschar-Berge geflüchtet haben. Die irakische Regierung beliefert die kurdischen Peschmerga-Milizen mit Munition. US-Präsident Barack Obama hat die USA auf einen längerfristigen Militäreinsatz vorbereitet. Die Luftangriffe gegen die radikalsunnitischen Milizen könnten noch über „Monate“ fortgesetzt werden, eine rein militärische Lösung für das Problem gebe es aber nicht, sagte Obama. Die Entsendung von Bodentruppen schloss er abermals aus.

Die jüngste irakische Tragödie begann vor einer Woche, am Sonntag, als die IS große Gebiete nördlich und westlich der Stadt Mossul eingenommen hatte. Sie eroberte die Stadt Sindschar und damit jenes Gebiet, in dem die meisten der weltweit etwa 800.000 Jesiden leben – schätzungsweise mehr als 500.000. Bis dahin war die Region noch im Vergleich zum Rest des Landes relativ sicher gewesen. Die Dschihadisten gehen besonders brutal gegen Jesiden vor, sie jagen sie regelrecht. „Männer werden geköpft, Frauen vergewaltigt, zwangsverheiratet, als Sexsklavinnen verkauft und gnadenlos getötet“, sagte Telim Tolan vom Zentralrat der Jesiden in Deutschland, der im ständigen Kontakt zu seinen Glaubensgenossen vor Ort steht. „IS hat das Ziel, alle religiösen Minderheiten in dieser Region auszulöschen.“ Der Massenmord an den Jesiden sei erst der Anfang.

„Wir sind auf deren Skala ganz unten“, sagte Tolan. Während die Extremisten Christen immerhin noch die Möglichkeit gäben, zu gehen, heiße es bei Jesiden nur: Konvertieren oder Tod. Das Christentum ist im Koran immerhin als schützenswerte Religionsgemeinschaft anerkannt, für Jesiden gilt dieser Status nicht. Für die Dschihadisten sind die Jesiden schlicht Ketzer. Der „Engel Pfau“ (Tausi Melek) ist nach ihrer Meinung der Iblis, der Teufel. Letztlich bietet auch ein Glaubensbekenntnis zum Islam bedrängten Jesiden keinen Ausweg: Denn die IS-Miliz schickt Neu-Konvertiten nach Angaben von Zeugen meist sofort an die Front.

„Die Bombardements zeigen Wirkung. Aber wir haben definitiv noch keine Wende erreicht“, sagte Tolan weiter. Immerhin schafften es Peschmerga-Soldaten inzwischen, etwa 10.000 Jesiden aus dem Sindschar-Gebirge in Sicherheit zu bringen. PKK- und andere Milizionäre sollen einen Schutzkorridor zu den Kurdengebieten in Syrien errichtet haben, den Tausende schon genutzt hätten.

Gegen die Unterdrückung und Gewalt durch die IS im Irak gingen am Wochenende in Bielefeld 6000 Menschen auf die Straße. Nach Angaben der Polizei verlief die Demonstration von Jesiden weitgehend friedlich. Lediglich am Ende habe es kurze Tumulte zwischen Demonstranten und Außenstehenden gegeben. In Rom zeigte sich Papst Franziskus erschüttert über die Vorgänge im Irak. „All das beleidigt Gott und die Menschheit schwer“, erklärte er nach dem traditionellen Angelusgebet auf dem Petersplatz in Rom. „Man macht nicht Krieg im Namen Gottes“, rief er den Gläubigen zu. Der Papst kündigte an, am Montag einen Gesandten in den Irak zu schicken.