Der Widerstand gegen die Unionspläne für ein Verbot wächst. SPD-Fraktionsvize Reimann und andere fordern mehr Freiräume

Berlin. Den Teilnehmern wurde folgende Aussage vorgelegt: „Ich kann mir vorstellen, bei einer schweren Erkrankung aktive Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Das heißt die gezielte Herbeiführung meines Todes durch einen Dritten – beispielsweise einen Arzt.“ 70 Prozent der Befragten stimmten dieser Aussage im Juni 2014 bei einer repräsentativen Umfrage der Schwenninger Krankenkasse „voll“ oder „eher“ zu. Das heißt: Die große Mehrheit zieht in Betracht, was in Deutschland streng verboten ist.

Denn die Tötung auf Verlagen, die ärztliche Giftspritze auf Wunsch des Patienten, wird im Strafgesetzbuch mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bedroht. Und niemand in der deutschen Politik will dieses Verbot der aktiven Sterbehilfe aufheben.

Aber die Bürger haben ja noch eine andere Möglichkeit, und die ist bislang straflos. Das ist die Beihilfe beim Suizid: Man erhält von einer anderen Person, etwa einem Arzt, ein tödlich wirkendes Medikament, mit dem man sich selbst umbringt. Hierzulande angeboten wird dies vom Verein Sterbehilfe Deutschland (StHD) mit Roger Kusch sowie einigen Ärzten, die solche Suizid-Beihilfe regelmäßig leisten, mal offen, mal verdeckt. Außerdem vermittelt die deutsche Sektion des Schweizer Vereins Dignitas Beihilfen zur Selbsttötung im Nachbarland.

Doch auch diese Möglichkeit könnte den Bürgern, die sich eine Suizid-Assistenz laut anderen Umfragen ebenfalls mehrheitlich offenhalten wollen, im kommenden Jahr genommen werden. Die Union will jede Form der organisierten Suizid-Beihilfe „unter Strafe stellen“, wie Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) immer wieder betont. Geht es nach CDU und CSU, die im Bundestag fast die Mehrheit haben, so wird im Herbst 2015 das Verbotsgesetz in einer Abstimmung ohne Fraktionszwang beschlossen.

Aber jetzt wächst im Parlament der Widerstand. „Ein solches Verbot wäre ein verheerendes Signal des Gesetzgebers an die Bürger“, sagte SPD-Fraktionsvize Carola Reimann. Die Gesundheitspolitikerin Reimann koordiniert in ihrer Fraktion zusammen mit den beiden Vize-Kollegen Eva Högl und Karl Lauterbach die Diskussion über Sterbehilfe. Und da legt sich Reimann nun fest: „Ein strafrechtliches Verbot der organisierten Sterbehilfe wäre falsch.“ Nach Ansicht von Reimann wäre das strafrechtliche Verbot eine Einschüchterung der Bürger. Denen fiele es dann noch schwerer als bisher, Wünsche nach Leidensverkürzung vorzubringen. Reimann sagt damit nicht, dass sie die umstrittenen Sterbehilfe-Vereine wie StHD oder die deutsche Dignitas-Sektion weiterlaufen lassen wolle. Vielmehr gelte es, deren „hoch problematische Tätigkeit einzuschränken oder ganz zu unterbinden“. Dafür aber müsse man „nach anderen Wegen der Regulierung“ suchen. Gäbe es jedoch eine neue Strafrechtsnorm, stände also „im Arzt-Patienten-Verhältnis jede Lebensverkürzung unter der Drohung des Strafrechts“, dann, so fürchtet Reimann, würden die Menschen den Vereinen in der Schweiz, wo sie ja erlaubt bleiben, „zugetrieben“.

Die offizielle Ärzteschaft verweigert sich allerdings jenen Freiräumen, die ihr liberalere Politiker eröffnen wollen. Denn der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, hat fast sofort nach seinem Amtsantritt 2011 dafür gesorgt, dass die Suizid-Beihilfe kategorisch aus dem ärztlichen Berufsbild verbannt wurde.

Bisher hat die EKD ganz wie die Union ein Verbot der organisierten Suizid-Beihilfe gefordert. Aber kürzlich rüttelte der scheidende EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider an dieser restriktiven Position. In gemeinsamen Interviews mit seiner krebskranken Frau Anne sagte Schneider, dass er die organisierte Sterbehilfe zwar ablehnt und ein Verbot befürwortet, dass er aber seine Frau notfalls aus Liebe, gegen seine Überzeugung, zu einem assistierten Suizid in die Schweiz begleiten würde. Anne Schneider ist gegen ein strafrechtliches Total-Verbot, und indem Nikolaus Schneider dieser Haltung in den Doppel-Interviews Raum ließ, machte er deutlich, dass man hierüber einen offenen und ernsthaften Dialog führen müsse, auch in der Kirche. Dagegen jedoch protestiert in der Kirche das evangelikale Lager.