Anfangs verteilte Schwarz-Rot vor allem Wohltaten. Jetzt rücken Markt und Wettbewerb in den Vordergrund

Berlin. Gerade einmal zwei Monate ist es her, da verabschiedete der Bundestag das Rentenpaket – ein milliardenschwerer Segen vor allem für Mütter, aber auch für ältere Arbeitnehmer. Die Kosten der Lieblingsprojekte von Union (Mütterente) und SPD (Rente mit 63) belasten Arbeitnehmer und Arbeitgeber über Jahrzehnte hinweg. Nun plädieren führende Politiker der Regierungsparteien für eine wirtschaftsfreundlichere Haltung der Koalition.

„Wir müssen in Deutschland wieder mehr über die Bedingungen für sichere Arbeitsplätze und wirtschaftlichen Erfolg diskutieren“, sagte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer. Der CSU-Vorsitzende warf der schwarz-roten Koalition eine falsche Prioritätensetzung vor: „In den letzten Monaten hat zu stark die Verteilung von wirtschaftlichem Erfolg im Vordergrund gestanden.“ Seehofer mahnte: „Wir müssen sehr achtgeben, dass der wirtschaftliche Erfolg, den wir seit geraumer Zeit in Deutschland haben, nicht eine Episode bleibt, sondern verstetigt werden kann.“

Die CSU werde in der Großen Koalition ab Herbst die Themen Außenpolitik, Wirtschaft, Finanzen und Steuern als Schwerpunkte setzen. Als Herausforderungen nannte Seehofer die Energiewende, Bildung und Forschung, Infrastruktur und die „Vermeidung von Gängelungen der Wirtschaft“. Vorerst hält Seehofer keine Steuersenkungen für möglich. Sobald die Finanzen „nachhaltig solide“ seien, könne man „eine Steuerentlastung diskutieren“.

In der Wirtschaft keimen nun wieder Hoffnungen, dass es mit der Großen Koalition vielleicht doch nicht so schlimm kommen könnte wie gedacht. „Nach Mindestlohn und Rentenpaket sollte die Regierungskoalition wieder mehr ans Erwirtschaften als ans Verteilen von Wohltaten denken“, sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer der „Welt“. Der Sozialstaat könne seine Leistungen auf Dauer nur finanzieren, wenn diese zuvor von den Unternehmen und ihren Beschäftigten erwirtschaftet worden seien. „Ich appelliere an die Große Koalition, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht durch immer neue Regulierungen und zusätzliche Ausgaben zu gefährden, sondern zur Verfügung stehende Mittel lieber in die Bildung und Infrastruktur zu investieren“, so Kramer.

Zwar läuft der Konjunkturmotor in Deutschland rund. Der Weltwährungsfonds hat seine Wachstumsprognose für dieses Jahr auf 1,9 Prozent heraufgesetzt. Doch für die Zukunft sieht es alles andere als rosig aus. So leidet der Standort Deutschland laut DIHK unter einer Investitionslücke von rund 80 Milliarden Euro jährlich. Außerdem wächst zum ersten Mal seit Jahren die Zahl der Firmen, die aus Kostengründen im Ausland investieren.

Der Präsident des CDU-Wirtschaftsrats, Kurt Lauk, rief seine eigene Partei dazu auf, mehr ökonomische Kompetenz zu zeigen. Nachdem hohe Preise für das Zustandekommen der Koalition bezahlt worden seien, müssten „endlich wieder mehr Markt und Wettbewerb“ im Vordergrund stehen. „Mehr Schäuble als Nahles und Schwesig wünschen wir uns für die nächsten drei Jahre“, sagte Lauk.: „Der Rückwärtsgang in der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik in die Zeit der Agenda 2010 muss gestoppt werden, sonst gerät unser Konjunkturmotor ins Stottern, und wir können auch den Rest Europas nicht mehr mitziehen.“

In der SPD wächst derweil die Ungeduld mit miserablen Umfragewerten. So hat Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) eine Kurskorrektur seiner Partei gefordert und für ein stärkeres wirtschaftspolitisches Profil geworben. So zufrieden die Sozialdemokraten auf ihre bisherigen Erfolge in der Großen Koalition blicken, so sehr verwirrt sie ihr demoskopischer Tiefflug. Über einen „20-Prozent-Turm“, in dem die Sozialdemokraten den Umfragen zufolge verharren, hatte Weil geklagt.

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel hält sogar eine Senkung der kalten Progression für möglich. „Vorstellen kann ich mir das“, sagte er nach einer Telefonschaltkonferenz der SPD-Spitze. Die SPD dränge aber vor allem auf die „konsequente Bekämpfung von Steuersparmodellen und Steuerflucht“. Zudem wolle man die Schuldenbremse einhalten und in Bildung und Infrastruktur investieren. Die Gründe für „das wenig erfreuliche Ergebnis“ bei der Bundestagswahl 2013 – die SPD kam auf 25,7 Prozent – seien zu suchen. „Das hat etwas mit Glaubwürdigkeit, Fehlern, Vertrauen, Themen und Stockfehlern von potenziellen Koalitionspartnern zu tun“, sagte Schäfer-Gümbel.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sieht im Vertrauen der Bürger in die wirtschaftspolitische Kompetenz eine Voraussetzung für ein respektables Abschneiden bei der Bundestagswahl 2017. Daher hatte Gabriel sich in den Koalitionsverhandlungen entschieden, das Wirtschafts- und Energieressort zu übernehmen. Er betrachtet die ökonomische Kompetenz, die die SPD im Bundestagswahlkampf 1998 mit dem Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder genoss, als Orientierung für seinen Kurs. „Die SPD darf sich nicht damit zufrieden geben, sozusagen fürs Soziale zuständig zu sein“, sagte Gabriel in der Sendung „Bericht aus Berlin“: „Sondern – ja, wir sind immer auch für die sozialen Aufgaben da – aber die SPD muss auch die Aufgaben lösen, wie unser Standort wettbewerbsfähig bleibt.“