Sigmar Gabriel pocht auf Koalitionstreue. Laut einem Gutachten dürfen die Bundesländer über die Gesetze womöglich gar nicht mitentscheiden

Berlin. Seit Tagen hagelt es Kritik an den Plänen von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) für die Pkw-Maut – aus den eigenen Reihen, aber auch von sozialdemokratischen Landespolitikern. Gestern sah SPD-Chef Sigmar Gabriel sich veranlasst, die Kritiker zur Ordnung zu rufen. Er mahnte Koalitionstreue an. „Die Maut ist ebenso Bestandteil des Koalitionsvertrages wie der Mindestlohn“, sagte der Vizekanzler. „Und deshalb empfinde ich es durchaus als unsere gemeinsame Aufgabe, auch dieses Thema konstruktiv zu behandeln.“

Gabriel sagte, natürlich gebe es zu dem von Dobrindt vorgelegten Konzept noch eine Reihe von Fragen. „Aber die muss man jetzt versuchen konstruktiv zu beantworten, statt das Thema zu zerreden.“ Dobrindt plant eine Pkw-Maut ab 2016. Dafür sollen alle Autofahrer Vignetten kaufen. Deutsche sollen sie automatisch erhalten und über eine geringere Kfz-Steuer voll entlastet werden. Zuletzt waren aus SPD, CDU wie CSU Forderungen nach Ausnahmen laut geworden, um die Wirtschaft in deutschen Grenzregionen nicht zu beeinträchtigen.

Der CDU-Bundesvize Armin Laschet erneuerte seine Vorbehalte und warnte, die von Dobrindt angestrebte Vignette wäre „äußerst schädlich“. Laschet, der auch NRW-Landeschef der CDU ist, sagte der „Rheinischen Post“: „Ich glaube nicht, dass der Vorschlag europarechtskompatibel ist. Aber selbst wenn er es wäre, bliebe er äußerst schädlich für zusammenwachsende Lebens- und Wirtschaftsräume, wie wir sie in Nordrhein-Westfalen bisher kennen.“ Dass die Maut auch auf Stadt-, Kreis- und Landesstraßen gelten solle und nicht nur auf Autobahnen, sei so nicht im Koalitionsvertrag verabredet.

Die CSU wies die Kritik scharf zurück: Generalsekretär Andreas Scheuer sagte, Laschet habe verschlafen, dass die Einführung einer Pkw-Maut in der Koalition klar verabredet sei. „Als stellvertretender Vorsitzender unserer Schwesterpartei kann er nicht als Geisterfahrer unterwegs sein.“

Ein großer Teil der Maut-Kritik kommt aus den Bundesländern. Besonders wegen befürchteter Umsatzeinbußen in grenznahen Regionen werden in fast sämtlichen Ländern schwere Bedenken geäußert. Quer durch die Parteien. Nicht nur Landespolitiker von SPD, Grünen und FDP fordern Ausnahmen in Grenzregionen oder lehnen die Pläne von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ganz ab. Auch wichtige CDU-Politiker wie Laschet üben Kritik. Thomas Strobl aus Baden-Württemberg, ebenfalls CDU-Vize, sagte, die Maut sei „nicht im Interesse Baden-Württembergs“. Sogar Bayerns Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) forderte Ausnahmen für Grenzregionen.

Sodass sich bislang schließen ließ: Der Plan wird es im Bundesrat schwer haben, könnte dort sogar scheitern. Letzteres haben Landespolitiker von SPD und Grünen schon angedroht. Doch nun gibt es Zweifel, dass der Bundesrat der Maut überhaupt zustimmen und Dobrindt auf die Länder-Kritik eingehen muss. Geäußert werden diese Zweifel vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages in einer Expertise.

Wie es sich für Wissenschaftler gehört, äußern sich die Autoren differenziert – und berücksichtigen eine Differenzierung, die Dobrindt selbst plant. Er will ja zwei Gesetze machen. Das eine betrifft die „Infrastrukturabgabe“. Für Deutsche wäre das eine verpflichtende Jahresvignette, im Preis gestaffelt nach Schadstoffausstoß, Hubraum und Baujahr des Pkw. Ausländer können die Jahresvignette auch kaufen, haben aber die Möglichkeit, nur eine Zehn-Tage- oder Zwei-Monate-Vignetten zu erstehen. Das andere Gesetz betrifft die Kfz-Steuer, bei der Inländer um den Preis der für sie jeweils nötigen Vignette entlastet würden.

Was diese Kfz-Steuersenkung betrifft, so sieht der Wissenschaftliche Dienst keine Zustimmungspflicht der Länder. Denn die Kfz-Steuer ist eine Bundessteuer. Und „da den Ländern kein Anteil an der Kfz-Steuer verbleibt“, so die Einschätzung, „handelt es sich nicht um ein zustimmungspflichtiges Gesetz“.

Vorsichtiger ist die Einschätzung bei der Infrastrukturabgabe, weil die von Dobrindt bisher nicht detailliert beschrieben wurde. Bemerkenswert aber ist, dass die Expertise eine Zustimmungspflicht nicht einfach daraus ableitet, dass Dobrindt die Vignettenpflicht auch für Landes- und Kommunalstraßen einführen will. Statt hieraus, wie das Landespolitiker tun, eine automatische Zustimmungspflicht des Bundesrates zu folgern, fragt der Wissenschaftliche Dienst nach den Kriterien, die bei früheren Bundesratsbeteiligungen im Vordergrund standen: Wer bekommt das Geld auf welche Weise? Wer muss die Angelegenheit verwalten? Da kommen die Autoren zu dem Ergebnis: Ein Zustimmungspflicht kann gegeben sein, muss aber nicht.

Entscheidend sei, so die Expertise, die „Zuweisung der entsprechenden Verwaltungskompetenz auf den Bund oder die Länder“. Das heißt: Wenn Dobrindt die Organisation, Abrechnung und Kontrolle der Maut bei Bundesbehörden ansiedelt, muss er die Länder nicht fragen. Zweifelhaft jedoch dürfte dies sein, wenn Landespolizeibehörden überwachen müssten, ob alle eine Vignette haben, und Bußgelder erheben.