Der Bund übernimmt alle Kosten der Ausbildungsförderung, die Länder sollen dafür mehr in Bildung investieren. In Hannover hat man andere Pläne

Berlin/Hannover. Kürzlich traf Jürgen Hesselbach, der Präsident der Technischen Universität Braunschweig, einen Amtskollegen aus Hessen. „Stolz erzählt der mir, dass er ja nun einige Millionen Euro vom Land mehr bekommt und was er damit alles machen wird. Und was bekomme ich? Nichts!“ Hesselbach ist verärgert.

Mehr denn je ist es gerade für eine Hochschule entscheidend, in welchem Bundesland sie liegt. Die Bundesregierung hat Ende Mai beschlossen, den Ländern die gesamten Kosten für das BAföG abzunehmen. Da kommt einiges zusammen, pro Jahr sind das etwa 1,2 Milliarden Euro. Niedersachsen hat damit jährlich plötzlich 110 Millionen Euro mehr zur Verfügung. Laut dem Beschluss zwischen der Großen Koalition und Vertretern der Länder muss dieses Geld für Schulen und Hochschulen ausgegeben werden.

Nur einem ist das offenbar egal: dem Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Stephan Weil (SPD). Er hat andere Pläne. Pläne, die Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) so nicht akzeptieren will. In einem persönlich adressierten Brief vom 16. Juli mahnt sie Weil, sich an die Vereinbarung zu halten. Mit Überraschung habe sie zur Kenntnis genommen, dass Pressemeldungen zufolge in Niedersachsen „vom kommenden Jahr an das geplante zusätzliche Personal in den Krippen aus den Mitteln, die das Land durch die BAföG-Übernahme spart, finanziert werden soll“.

Sie setze darauf, schreibt Wanka weiter, „dass auch das Land Niedersachsen die Einigung vom 26. Mai entsprechend umsetzt und die eingesparten Mittel wie vereinbart verwendet“. Hinter den diplomatischen Sätzen versteckt sich großer Ärger der Bundesbildungsministerin, die zwischen 2010 und 2013 Wissenschaftsministerin in Niedersachsen war und damit um die Bedürfnisse der Hochschulen genau weiß.

Weil beruft sich inzwischen sogar auf einen Beschluss seines rot-grünen Kabinetts. Mit dem BAföG-Geld sollen Kita-Kräfte finanziert werden. Die Personalaufstockung war ein Wahlversprechen. Da kommt das frische Geld gerade recht. In der kommenden Woche berät das niedersächsische Kabinett in einer Klausur den Haushalt 2015/16. „Danach ist die Sache gelaufen“, sagt Jürgen Hesselbach. „Wir fordern, dass Niedersachsen das Geld den Hochschulen zukommen lässt, so wie es vereinbart wurde. Wir brauchen es dringend für Personal und bauliche Verbesserungen.“

Auch Bürgermeister Olaf Scholz bekam das Beschwerdeschreiben aus Berlin

Hesselbach fürchtet, dass von der Entscheidung in Hannover eine Signalwirkung auf andere Länder ausgehen könnte. Noch haben nämlich nicht alle erklärt, was mit den BAföG-Millionen geschehen soll. Hessen will seine 77,9 Millionen zu 100 Prozent in die Hochschulen stecken, Schleswig-Holstein gibt seinen Anteil von 39,4 Millionen zu 100 Prozent in die Schulen, in Sachsen geht ein Drittel der 85 Millionen in die Schule, zwei Drittel fließen in einen Sonderfonds für die Hochschulen. Das alles ist durch den Beschluss gedeckt; nicht aber Ausgaben für die frühkindliche Bildung. „Im Beschluss vom 26. Mai haben sich die Länder verpflichtet, dass die durch die BAföG-Übernahme frei werdenden Mittel zur Finanzierung von Bildungsausgaben im Bereich Hochschule und Schule verwendet werden“, betont Wanka in ihrem Brief an Weil.

Allerdings hatte die damalige Einigung eine Schwäche. Sie war keine feste Vereinbarung zwischen allen Ländern und dem Bund. Vielmehr handelt es sich um eine nachträgliche Interpretation, die darauf beruht, dass Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz als Unterhändler der SPD-geführten Länder auftrat, weshalb Wanka ihren aktuellen Brandbrief auch an Scholz schickte. Allerdings war weder das grün-rot geführte Baden-Württemberg unmittelbar beteiligt, noch die übrigen SPD-Ministerpräsidenten. Offenbar hat es Scholz versäumt, seinen Nachbarn Stephan Weil vorab auf das Ergebnis zu verpflichten.

Die Folgen tragen nun die Hochschulen und Schulen in Niedersachsen. Hesselbach, der auch Vorsitzender der Landeshochschulkonferenz ist, hat deshalb ebenfalls einen Brief an Weil geschrieben. Der ist auf den 18. Juni datiert. Es dauerte aber bis zum 27. Juni, bis Hesselbach eine Antwort aus der Staatskanzlei erhielt. Darin heißt es: „Leider ist es dem Ministerpräsidenten nicht möglich bei der Vielzahl der ihn erreichenden Schreiben, in allen Fällen persönlich zu antworten.“ Das Anliegen werde an das Wissenschaftsministerium übergeben. „Wir als Vertreter der 21 Hochschulen in Niedersachsen werden behandelt wie ein Kaninchenzüchterverein“, echauffiert sich Hesselbach.

Mit dem Geld – wären 100 Prozent an die Hochschulen gegangen, hätte die TU Braunschweig mit etwa zehn Millionen Euro pro Jahr rechnen können – könnte Hesselbach dringend notwendige Baumaßnahmen verwirklichen. „Wir haben einen Sanierungsstau von mehr als 150 Millionen Euro.“ Er befürchtet, die Qualität der Studienbedingungen werde leiden.