Gericht entscheidet, ob gegen den SPD-Politiker ein Prozess wegen des Verdachts der Kinderpornografie eröffnet wird

Hannover/Berlin. Ob diese Geschichte so stimmt? Am 12. Februar meldete Sebastian Edathy seinen Dienst-Laptop als gestohlen. Doch der Rechner soll bereits am 31. Januar auf einer Zugfahrt von Hannover nach Amsterdam verloren gegangen sein. Dazwischen liegen mehr als nur ein paar Tage. Es kommt selten vor, dass Bundestagsabgeordneten der Computer einfach so abhanden kommt. Ungewöhnlich ist auch, wenn dann so viel Zeit verstreicht, bis der Vorfall angezeigt wird. Und in diesem speziellen Fall kommt auch noch hinzu, dass in der Zwischenzeit, nämlich am 10. Februar, Wohnung und Büro des SPD-Politikers von der Staatsanwaltschaft durchsucht wurden. Aufgrund all dieser Merkwürdigkeiten steht seitdem eine Frage im Raum: Hat Edathy möglicherweise Beweismittel verschwinden lassen, die sich auf dem Gerät befunden haben?

Die Staatsanwaltschaft Hannover beschäftigt sich seit mehreren Monaten mit den Kinderpornografie-Vorwürfen gegen den langjährigen Innenexperten der SPD-Fraktion im Bundestag. Der Computer hätte eine Hilfe sein können. Doch er blieb verschwunden. Die Ermittler mussten also trickreich vorgehen. Nach eigenem Ermessen waren sie dabei nun erfolgreich.

Die Staatsanwaltschaft hat nun Anklage gegen den 44-Jährigen erhoben. Ihm wird der Besitz von Kinderpornografie vorgeworfen. Dafür kann eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe verhängt werden. Das Landgericht Verden in Niedersachsen muss nun darüber entscheiden, ob es auch zur Verhandlung kommen wird. Edathy hat die Vorwürfe bislang stets zurückgewiesen und allein den Kauf nicht strafbarer Bilder von nackten Jugendlichen eingeräumt. Dabei bleibt es offenbar. Sein Berliner Anwalt Christian Noll teilte mit: „Nach unserer Auffassung bildet die Anklageschrift keine tragfähige Grundlage für einen Prozess.“ Der verschwundene Laptop spielte für die Entscheidung der Staatsanwaltschaft im Grunde keine Rolle, denn offenbar fanden die Ermittlern auch ohne das Gerät heraus, wofür Edathy den Computer genutzt hatte. Sie rekonstruierten anhand der vom Bundestag gespeicherten Verbindungsdaten, welche Internetseiten Edathy aufgerufen hatte.

Verbindungsdaten enthalten keine Inhalte, sagen jedoch sehr viel über Benutzer aus: Mit wem hat der User wann kommuniziert? Auf welchen Websites ist er gewesen? Mit Berufung auf einen internen Bericht des niedersächsischen Landeskriminalamtes (LKA) hatte die „Süddeutsche Zeitung“ darüber schon vor ein paar Wochen berichtet. Mindestens 21 Bilddateien mit strafbaren Pornos soll Edathy demnach heruntergeladen haben.

Offiziell teilte die Staatsanwaltschaft nun mit, über seinen Bundestags-Laptop in der Zeit vom 1. bis 10. November des vergangenen Jahres an sechs Tagen kinderpornografische Bild- und Videodateien aus dem Internet heruntergeladen zu haben. Auf Anfrage erklärte die Bundestagsverwaltung, dass die Verbindungsdaten zur Internetnutzung „entsprechend den Sicherheitsanforderungen für die Nutzung von Regierungsnetzen“ protokolliert und gespeichert wurden.

Offenbar baut die Anklage aber auch auf Funde bei den Durchsuchungen im Februar auf: „Der Angeschuldigte soll zudem einen Bildband und eine CD besessen haben, deren Inhalt von der Staatsanwaltschaft als jugendpornografisch bewertet wird“, heißt es von der Staatsanwaltschaft.

Edathys Anwalt hatte das Vorgehen bereits zuvor kritisiert: Das Auslesen der Verbindungsdaten des Laptops hielt der Anwalt für rechtswidrig: Ein Zugriff darauf sei nur bei schweren Straftaten erlaubt. Die Beschlüsse zur Durchsuchung der Räume im Februar seien zudem verfassungswidrig gewesen. Diese Beschwerde liegt nun in Karlsruhe. Ein Sprecher erklärte, die Verfahrensbeteiligten könnten noch bis zum kommenden Donnerstag Stellung nehmen. Anschließend solle zügig eine Entscheidung getroffen werden.

Edathy war ins Visier der Behörden geraten, weil sein Name auf der Kundenliste einer kanadischen Firma stand, die unter anderem kinderpornografisches Material verbreitete. Der ehemalige Abgeordnete soll dort Nacktbilder von Jugendlichen bestellt haben – dies jedoch ist nicht strafbar. Weil die Vorwürfe gegen Edathy dennoch bereits im Frühjahr publik wurden, stand die Staatsanwaltschaft heftig in der Kritik. Sie machte es nicht unbedingt dadurch besser, dass sie eine ausführliche Pressekonferenz zu dem Thema gab. Man hatte damals zwar keine Hinweise auf ein strafbares Verhalten, erklärte jedoch, man habe die Erfahrung gemacht, dass Käufer von Bildern, wie Edathy sie bestellte, oft auch strafbares Material besitzen. Solches glaubt man nun aber gefunden zu haben.

Edathy selbst hat sich zu den Vorwürfen nur einmal umfangreich geäußert. Dem Magazin „Spiegel“ erklärte er vor ein paar Wochen in einem langen Interview, das im Ausland geführt wurde: „Ich bin nicht pädophil.“ Für seinen Hinweis auf die lange Tradition männlicher Aktdarstellungen auch von Kindern und Jugendlichen in der Kunstgeschichte erntete er aber nicht nur in den sozialen Netzwerken umgehend harsche Kritik.

Mehr teilt der ehemalige Bundestagsabgeordnete beim Social Network Facebook mit. Auf seiner Seite hinterlässt er regelmäßig Einträge im Internet: „Finde nicht mehr Gefallen am Fallen anderer als am eigenen Gehen – oder prüfe deinen Weg“, hieß es dort am Dienstag. Und am Mittwoch reimte er in einem Gedicht: „Das Beste an dem Urteil sei, so sagt man, es macht ziemlich frei.“ Und vor Kurzem schrieb er: „Drei Fehler, die man bei mir nicht machen sollte: 1) Unterschätzen. 2) Unterschätzen. 3) Unterschätzen.“ Im politischen Berlin hatte die Enthüllung für ein politisches Erbeben gesorgt. Aber es geht schon lange nicht mehr nur um den 44-jährigen Junggesellen Edathy aus dem ländlichen Wahlkreis Nienburg mit Wohnsitz in Rehburg-Loccum. Weil der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Rande der Koalitionsverhandlungen im vergangenen Oktober den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel vertraulich von Kenntnissen des BKA in Kenntnis über Edathy setzte, musste er wegen des Vorwurfs des Geheimnisverrats im Februar 2014 als Kabinettsmitglied seinen Hut nehmen. Und inzwischen arbeitet im Bundestag ein eigens eingesetzter Untersuchungsausschuss, um allen Wirrungen nachzugehen im Umgang der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit der Affäre Edathy. Wie konnte es sein, dass das BKA beim Namen Edathy nicht früher hellhörig geworden ist: Als Vorsitzender im Untersuchungsausschuss zur NSU-Affäre um neunfachen Mord mit neonazistischem Hintergrund war er der unerbittliche Befrager all der Ermittler quer durch die Republik, die ein Jahrzehnt mit Scheuklappen herumgelaufen waren.

Die Obleute der Oppositionsfraktionen im Untersuchungsausschuss hoffen, dass Edathy trotz der Anklageerhebung vor dem Gremium aussagen wird. Sie betonten aber, der Ausschuss befasse sich nicht mit den konkreten Vorwürfen gegen Edathy, sondern mit den Informationsabläufen in dem Fall. Die Anklageerhebung werde keine Auswirkung auf die Ausschussarbeit haben.

Das Strafverfahren wegen des möglichen Diebstahls des Laptops auf der Zugfahrt nach Amsterdam wurde übrigens eingestellt. Zeitgleich stellte die Staatsanwaltschaft aber auch ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen Edathy wegen des Verdachts des Vortäuschens einer Straftat im Zusammenhang mit dem angezeigten Diebstahl ein.