Ursula von der Leyen beeindruckt in der Hamburger Führungsakademie mit Detailkenntnis. In Blankenese sprach sie über Ukraine und Irak – und über das „zutiefst erschütterte“ Vertrauen zu den USA.

Hamburg. Von einer altersgeschwärzten Leinwand blickt streng der preußische Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke, der „große Schweiger“, auf das Publikum nieder. Die Wand gegenüber schmückt ein Foto des 1945 hingerichteten Widerstandskämpfers James Graf von Moltke, seines Urgroßneffen. Der Name Moltke ist beispielhaft für die schwierige Traditionspflege in den deutschen Streitkräften.

In den ehrwürdigen Moltkesaal der Führungsakademie der Bundeswehr in Blankenese kam Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Donnerstag zum Antrittsbesuch in der höchsten militärischen Ausbildungsstätte der deutschen Streitkräfte.

Die Ministerin war gekommen, um sich das von ihr angeregte Symposium „Soldatinnen in der Bundeswehr – Integrationsklima und Perspektiven“ anzusehen. Die ganztägige Veranstaltung mit hochrangigen Teilnehmern und Gästen sollte eine Bestandsaufnahme vornehmen, nachdem eine teilweise alarmierende Studie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr mit dem Titel „Truppenbild ohne Dame“ das Ministerium aufgeschreckt hatte. Die Befragung von 14.500 Soldaten und Soldatinnen hatte gravierende Probleme im alltäglichen Umgang der Geschlechter miteinander beklagt.

Das Thema liegt, vielleicht nicht überraschend, der ersten deutschen Verteidigungsministerin am Herzen. Für die auch international sehr angesehene Führungsakademie hielt sie zunächst Lob bereit und schmeichelte, dass ihre Mitarbeiter im Ministerium „glänzende Augen“ bekämen, sobald sie von ihrer „alten Alma Mater“ in Blankenese erzählten.

Sieben Kinder hat Ursula von der Leyen großgezogen, sie ist von Hause aus Ärztin, hat sich politisch zuvor um Familie und Soziales gekümmert – und nun ist sie ausgerechnet Chefin eines Ressorts, in dem es um Waffen und notfalls eben auch um das Töten geht.

Es geht der Ministerin der etwas beängstigende Ruf voraus, dass sie von ihren Mitarbeitern ähnlich viel verlangt wie von sich selber. Und die offene Diskussion mit Lehrgangsteilnehmern der „FüAk“ zeigte rasch, dass sie sich seit Amtsantritt enorme Detailkenntnisse auf dem Wehrsektor erworben hat. Sie hat zudem gelernt, ihre unübersehbare Willensstärke und schneidende Intelligenz mit erheblichem Charme abzumildern.

Lächelnd nimmt sie den Saal auf eine krisenpolitische „Tour d’Horizon“ mit. Noch zu Beginn des vor ihr sitzenden Lehrgangs, so sagt sie, hätte sich wohl kaum jemand die dramatischen Entwicklungen in der Ukraine oder im mittelöstlichen Krisenbogen mit dem Vormarsch der radikalislamischen Miliz Isis im Irak und Syrien vorstellen können.

Für Deutschland sei es keine Option, sich aus Weltkrisen herauszuhalten, stellt von der Leyen klar. Und das hätten ihr kürzlich in Washington US-Verteidigungsminister Chuck Hagel und die Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice sehr deutlich gemacht. „Die Bündnispartner erwarten von uns, dass wir uns einbringen.“ Allerdings niemals unilateral, sondern immer in den Bündnissen wie Uno oder Nato.

Die Annexion der Krim sei vom Kreml „von langer Hand vorbereitet worden“, sagt von der Leyen. Es habe zuvor entsprechende Manöver Russlands gegeben, die man im Westen wohl registriert habe. Doch man habe „die Zeichen nicht richtig gelesen“. Die Nato habe eben lange in einem „Dornröschenschlaf“ gelegen. Nun stelle sich die Frage, ob das Recht des Stärkeren gelten solle oder die Stärke des Rechts. Russland habe asymmetrische Mittel wie Infiltration gewählt; und der Westen müsse überlegen, wie er darauf reagieren wolle. Zum Beispiel durch wirtschaftliche Druckmittel. Und obwohl noch nicht einmal die dritte Stufe echter Wirtschaftssanktionen eingesetzt werde, zeige sich bereits die Wirkung.

„Die Wirtschaft ist die Achillesferse Russlands“, sagte Ursula von der Leyen. Die Regierung in Moskau müsste „in aller Breite investieren, vor allem in die Bildung“. Aber das geschehe nicht; in puncto Innovationen sei Russland „weit unter Durchschnitt“. Das Geld wandert aus dem Land ab. Nach Schätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) verliere Russland allein in diesem Jahr zwischen 100 und 200 Milliarden Dollar an Kapital.

„Der Kreml hat nicht damit gerechnet, dass der ‚dekadente‘ Westen in der Verteidigung seiner Werte einig ist“, sagte die CDU-Politikerin. Doch das tue der Westen eben, wenn es ernst werde. Moskau strebe eine Destabilisierung der Ukraine an – der Westen hingegen eine Stabilisierung.

Auslöser der Krise mit Russland sei ja die Hinwendung der osteuropäischen Staaten zum Westen gewesen – und diese Staaten hätten nicht so gehandelt, weil sie dazu gezwungen worden seien, „sondern, weil sie es so wollten“. Und es sei schließlich allein Sache des ukrainischen Volkes, zu entscheiden, wie es leben wolle.

Einem türkischen Offizier, der sich besorgt nach der Fortsetzung des Einsatzes der deutschen Patriotraketen an der türkisch-syrischen Grenze erkundigt, gibt von der Leyen die ungefähre Antwort, dass hier je nach der Entwicklung der Lage entschieden werde. Doch dann erheitert sie den Mann mit der Geschichte, dass sie sich einmal in der Türkei begeistert vom einheimischen Ziegenmilcheis gezeigt habe – worauf die Türken ihr ganze Blöcke von dem Zeug mit auf den Heimflug gegeben hätten.

Das Vertrauen zu den USA sei „zutiefst erschüttert“, sagt die Ministerin zur aktuellen Spionageaffäre, die in Teilen auch in ihrem Ressort spielt. Es sage einem schon der gesunde Menschenverstand, dass bei einem befreundeten Staat gar nicht so viele wertvolle Informationen gesammelt werden könnten, wie an Vertrauen zerstört werde.

Am Ende gibt es Standing Ovations für die Ministerin. Und aus der Richtung der beiden Hamburger CDU-Granden Frank Schira und Marcus Weinberg ist ein stark beeindrucktes „Die ist schon ein Kaliber!“ zu hören.