Die Kanzlerin besucht zum siebten Mal das Riesenreich und macht sich ihr eigenes Bild davon

Chengdu. Chinesische Schriftzeichen entziffern kann Angela Merkel noch nicht. Auch wenn die Kanzlerin bereits zum siebten Mal und mit nicht nachlassender Faszination das Riesenreich besucht. Neben der Hauptstadt Peking geht es dabei immer noch in eine Provinzregion. Diesmal ist die aufstrebende Metropole Chengdu dabei. Warum gerade Chengdu? Einfach weil Merkel hier, im Westen Chinas, noch nie war. Aus den Eindrücken ihrer vielen Besuche puzzelt sie sich nämlich nach und nach ihr ganz eigenes Chinabild zusammen. Dabei bemüht sie sich auch um Informationen, die von der regierenden kommunistischen Partei nicht gefiltert werden.

Könnte Merkel chinesische Schriftzeichen lesen, wüsste sie, was auf dem roten Transparent steht, das über einen wuseligen Wochenmarkt gespannt ist, den sie am Sonntag besucht: „Um den großen Traum der Renaissance des chinesischen Traumes zu erreichen, kämpfen und arbeiten wir zusammen“, heißt es dort. Der Spruch ist von Xi Jinping, dem neuen Staatspräsidenten. Merkel wird den ersten Mann der Volksrepublik an diesem Montag treffen, aber jetzt geht es ihr noch um den Alltag seiner Untertanen: Bei denen kauft die Kanzlerin gerade ein. Ganz ohne Öffentlichkeit hatte am Morgen ein wichtigerer Termin stattgefunden. Die Kanzlerin besuchte ein sogenanntes Entwicklungszentrum, in dem die Kinder von Wanderarbeitern betreut werden. Die Professorin Zhang Wei, die ihre Methoden auch in Deutschland entwickelte, lässt diese Kinder mit einem Ansatz betreuen, der etwas mit Sozialarbeit, aber auch mit Elternschulung zu tun hat. Denn die Kinder von Wanderarbeitern, die oft erst Jahre nach diesen in die boomenden Städte ziehen, haben häufig den emotionalen Bezug zu den Eltern verloren. Kein Journalist ist in dieser in ganz China einmaligen Einrichtung zugelassen, anschließend dürfen die Berichterstatter aber erfahren, ein Kind habe die Kanzlerin zum Abschied gefragt, ob sie „ein glückliches Leben in Deutschland“ habe. Diese Frage habe die Kanzlerin bejaht.

Für Merkels Berater reiht sich der Besuch bei den Kindern der Wanderarbeiter ein in die Kontakte mit der Zivilgesellschaft, die Merkel in Diktaturen auch auf offiziellen Besuchen pflegt. Tatsächlich schmückt sich die KP selbst nicht mit solchen Projekten, die sich um die Schattenseiten der chinesischen Gesellschaft kümmern. Andererseits handelt es sich bei Zhang Wei keinesfalls um eine Dissidentin. Ein deutlicheres Zeichen, etwa in Sachen Tibet, wurde vermieden, obwohl die besuchte Provinz Sichuan direkt an die Region grenzt.

Die Beurteilung von Merkels China-Politik durch die Opposition ist erstaunlich. So schickte die Linkspartei, die Merkel für ihre kritische Distanz zu Russland oft rügt, nach China ihre menschenrechtspolitische Sprecherin Annegreth Groth mit. Die Grünen hingegen waren höchstrangig vertreten: Parteichef Cem Özdemir begab sich auf die Reise. Tatsächlich pflegt die Ökopartei zur in China herrschenden Partei ein besonderes Verhältnis: nämlich einen Dialogprozess mit der KP. Özdemir erbte diesen von seinem Vorgänger Reinhardt Bütikofer, der einmal Maoist war.

Erst im Frühsommer 2013 waren Ministerpräsident Li Kequiang und Staatspräsident Xi Jinpin auf getrennten Besuchen in Berlin. Im Oktober wird gleich ein Großteil der chinesischen Minister zu Regierungskonsultationen nach Deutschland reisen. Merkel trifft die Führung des großen Landes dann also zum vierten Mal innerhalb eines guten Jahres – öfter als enge Verbündete.