Wirtschaftsminister will die „Überförderung“ von Ökostrom beenden. Die Opposition beklagt im Bundestag zu kurze Beratungsfristen

Berlin. Viel Zeit lässt sich Sigmar Gabriel (SPD) an diesem Freitagvormittag. Soeben hat ihn der Bundestagspräsident als Redner ausgerufen. Doch Gabriel steht weit außen und an einer der hinteren Regierungsbänke, er plaudert mit seinem Staatssekretär Rainer Baake. Eine ganze Weile benötigt er für seinen Gang zum Mikrofon. Ungewohnt andächtige Stille herrscht im Reichstagsgebäude, bis der Wirtschaftsminister vor das Plenum tritt. Ein bisschen Eile sei geboten, rüffelt ihn der präsidierende Norbert Lammert (CDU). Gabriel wäre nicht Gabriel, verzichtete er nun auf ein Widerwort. Er habe damit gerechnet, dass sich zunächst „die Fraktionen“ zum Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) äußerten, entgegnet er.

Nun aber ist der Wirtschaftsminister dran. Gabriel hat in den vergangenen Monaten fast all seine Kraft auf die Reform des Ökoenergiegesetzes konzentriert, mancher sieht in dem Großprojekt gar einen Test, ob der Minister seriös arbeiten kann und für höhere Aufgaben, Bundeskanzler zum Beispiel, geeignet ist. In den vergangenen Tagen preschte Gabriel mit der EEG-Reform im Schweinsgalopp vor. Verabschiedung in dieser Woche im Bundestag und am 11. Juli im Bundesrat – so lautet sein Ziel. Weil dann noch Einwände der EU-Kommission in den Gesetzestext einzuarbeiten waren, hatten die Abgeordneten ziemlich viel zu lesen, und das in ziemlich kurzer Zeit. Eilig und schnell ging es zu, manchmal etwas kurzatmig.

Wäre Gabriel noch Oppositionspolitiker, hätte er den kurzfristig geänderten Gesetzestext skandalisiert, vielleicht hätte er der Regierung „Verfassungsbruch“ vorgeworfen. Jedenfalls wäre er in die Bütt gegangen, um die Debatte zu verschieben. Das machen heute die Grünen. „Eine Regierung legt 204 Seiten vor – und dann ist es unsere Aufgabe, dies kritisch zu prüfen“, sagt Britta Haßelmann, deren parlamentarische Geschäftsführerin. Union und SPD lehnen den Antrag der Opposition ab, die heutige Aussprache abzusetzen.

„Klamauk“ wirft Gabriel den Grünen vor. „Klamauk“ inszenierten sie, um auf diese Weise zu überdecken, dass sie in der Sache doch einer Meinung seien mit der Großen Koalition (was natürlich ziemlicher Klamauk ist). Für Gabriels Verhältnisse redet er im Bundestag wenig inspiriert, spricht davon, dass manch „offene Baustelle offen gelassen wurde“. Bislang sei es um den Ausbau der erneuerbaren Energien gegangen, stets unter dem Motto „Je schneller, desto besser“, sagt der SPD-Vorsitzende. „Je planbarer und je berechenbarer, desto besser“ laute das neue Leitmotiv. Die Zeit der Technologieförderung gehe zu Ende, nun gehe es um „Verantwortung“. Seit dem Jahr 2010 seien die Kosten für den Ausbau der erneuerbaren Energien um 200 Prozent gestiegen: „Wir haben drastische Fälle von Überförderung“, sagt Gabriel. Die Kosten seiner Reform für die Verbraucher banalisiert er mit dem Hinweis, ohne diesen Beitrag gerieten „Hunderttausende“ Arbeitsplätze in Gefahr. Beifall bei Union und SPD. Auf die Regierungsbank begibt sich Gabriel nach seiner recht kurzen Rede. Der hinter ihm sitzende Peter Altmaier (CDU) drückt ihm die Hand. Altmaier weiß um die Mühen der EEG-Reform in dreifacher Hinsicht: Als koordinierender Kanzleramtsminister, als ehemaliger Umweltminister – und als Beteiligter in der schwarz-gelben Koalition, die sich bei diesem Projekt dauerhaft verharkte. Kaum hat Gabriel Platz genommen, eilt CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder zu ihm, es folgt ein kurzes Gespräch – eine übliche Szene in der Großen Koalition.

CDU-Fraktionsvize Michael Fuchs lobt Gabriel und dessen Reformwerk. „Das EEG und ich haben uns angenähert“, ruft Fuchs ins Plenum. In früheren Zeiten hätten die Sozialdemokraten einen solchen Hinweis als Beleidigung begriffen. „Nicht ich habe mich verändert“, legt Fuchs nach, „sondern das EEG.“ Die Grünen zetern. „Sigmar Gabriel ist die Abrissbirne, die die erneuerbaren Energien in diesem Land kaputt macht“, sagt Fraktionsvize Oliver Krischer – und attackiert die Pflicht-Abgabe für neue, größere Eigenstrom-Anlagen, verspottet dies als „Sonnensteuer“. Linken-Fraktionsvize Carmen Lay beklagt: „Eine Strompreisbremse für die Verbraucher wird es nicht geben, aber eine Strompreisbremse für die Industrie.“

Nach etwa zwei Stunden stimmt der Bundestag der Reform zu. In namentlicher Abstimmung votieren 454 Abgeordnete mit Ja, 123 mit Nein, sechs enthalten sich.

Zu den Kritikern von Gabriels Gesetzeswerk zählt der SPD-Abgeordnete Marco Bülow. „Ich kann mich kaum an ein Gesetz der Bundesregierung erinnern, das ich aus ganzem Herzen so ablehne wie diese EEG-Reform“, schreibt er in einer Mitteilung: „Der größte Witz ist, dass nicht einmal die Verbraucher kurzfristig davon profitieren werden, u.a. deshalb, weil die Ausnahmeregelungen für die Industrie und Großunternehmen nicht einmal moderat zurückgefahren werden.“ Und weiter: „Doch nun schlägt die alte konservative Energielobby, die die Entwicklung lange selbstgefällig verschlafen hat, zurück. Stück für Stück hat sie sich die Vorherrschaft in den Medien und auch in der Politik zurückerobert.“