Am Freitag soll das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz stehen, doch die Große Koalition muss noch schnell nachbessern

Berlin. Auf den letzten Metern vor dem Ziel wird es noch einmal eng für die schwarz-roten Energiepläne. Die Große Koalition versucht ihre Ökostromreform mit einem Kompromiss noch zu retten. Hunderttausende Bürger, die Strom in kleinen Solaranlagen bis zehn Kilowatt Leistung auf dem Dach produzieren und selbst verbrauchen, sollen von höheren Kosten durch die Ökostromumlage nun doch ausgenommen werden. Besitzer von größeren Ökoenergieanlagen und neuen Kraftwerken, in denen Strom für den eigenen Verbrauch produziert wird, sollen dagegen ab August zunächst 30 Prozent der regulären Ökostromumlage bezahlen. Diese liegt derzeit bei 6,24 Cent je Kilowattstunde.

Bis 2017 steigt die Abgabe für solche Anlagen dann in einem Stufenmodell auf 40 Prozent oder knapp 2,5 Cent. Das soll helfen, die Strompreisbelastungen der Bürger insgesamt etwas zu dämpfen. Seit Jahren versorgt sich die Wirtschaft immer stärker mit Strom aus eigenen Kraftwerken und umgeht so Abgaben – dadurch steigt die Belastung für die Privathaushalte bei der Energiewende. Mit dieser Kompromisslösung will Schwarz-Rot Bedenken der EU-Kommission in Brüssel zerstreuen.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) wollte ursprünglich große Industriebetriebe mit eigenen Kraftwerken anders behandeln als etwa Supermärkte mit einer Solaranlage auf dem Dach. Die Brüsseler Wettbewerbshüter hatten gegen diese Ungleichbehandlung protestiert. Bereits laufende, ältere Eigenstromanlagen will die Koalition nicht mit der Umlage belasten. Auf diesen Bestandsschutz hatte vor allem die Union gepocht.

Für Freitag ist die Verabschiedung der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Bundestag angesetzt. Die Regierung steht unter großem Zeitdruck, weil die Reform am 1. August in Kraft treten soll. Wegen der brisanten Lage hatten sich am Montagabend im Kanzleramt die Koalitionsspitzen getroffen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU), CSU-Chef Horst Seehofer, SPD-Chef Sigmar Gabriel sowie Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU), sein SPD-Pendant Thomas Oppermann und CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt berieten zweieinhalb Stunden lang über eine Lösung. Die Abgeordneten von Union und SPD trugen am Dienstag in Sondersitzungen den Kompromiss mit, den zuvor die Koalitionsspitzen ausgehandelt hatten. Bei der Unionsfraktion gab es Unmut, so wurde eine stärkere Förderung von Biomasse-Anlagen gefordert. 18 Abgeordnete von CDU und CSU stimmten mit Nein, zwölf enthielten sich. Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel erklärte nach Teilnehmerangaben vor den Abgeordneten, die Reform sei kein „ideales Gebilde“. Die SPD-Fraktion nahm den Kompromiss mit nur einer Gegenstimme bei fünf Enthaltungen an.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter übte scharfe Kritik. Das Hauruckverfahren sei eine Unverschämtheit: „Was die Große Koalition da macht, ist für alle Betroffenen und für unser Land schlichtweg eine Frechheit.“ Die Linke warf der Koalition vor, die Reform einfach durchzupeitschen. „Das ist absolut chaotisch“, sagte die Wirtschaftsexpertin Eva Bulling-Schröter.

FDP-Chef Christian Lindner kritisierte die Große Koalition wegen des EEG scharf. Dem Abendblatt sagte Lindner: „Sigmar Gabriels Flaggschiff EEG-Reform ist in akuter Seenot. Seit Monaten bekommt er die steigenden Strompreise nicht in den Griff, jetzt droht seiner unambitionierten Reform der Untergang. Sein Vorstoß, den industriellen Eigenverbrauch überhaupt in das EEG einzubeziehen und anteilig mit der Umlage zu belasten, hat erst die EU-Kommission auf den Plan gerufen. Auch die Zugeständnisse der Kommission beim Bestandsschutz reichen offenbar nicht so weit, wie Gabriel es allen glauben machen wollte.“

Lindner kritisierte, unter Gabriels „teurem Patzer“ litten die deutschen Unternehmen und Stromzahler. Dieses unfertige Gesetz könne nicht im Bundestag beraten werden. „Das EEG ist zur unkontrollierten Subventionsmaschine verkommen, die auf Hochtouren läuft und die Energiewende jeden Tag teurer und grotesker macht. Der Wirtschaftsminister sollte bei der EEG-Reform die Resettaste drücken und das EEG schnellstmöglich abschaffen.“

Die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist ein zentrales Projekt der Großen Koalition, um die Kosten der Energiewende im Griff zu halten. Jedes Jahr zahlen Bürger und Unternehmen insgesamt mehr als 23 Milliarden Euro für den rasanten Ausbau von Ökostrom aus Wind, Sonne, Wasser und Biogas. Union und SPD wollen auch den Weg für die Länder freimachen, bis Ende 2015 Mindestabstände zwischen Windrädern und Häusern festzulegen. Nach dem Votum des Wirtschaftsausschusses gilt eine Zustimmung Ende der Woche im Bundestag als sicher. Die Änderung des Baugesetzbuches ist Teil des Ökostromreformpakets. Antreiber des von Experten scharf kritisierten Vorhabens war Bayern. Dem Freistaat schwebt das Zehnfache der Windradhöhe vor – das könnte bis zu zwei Kilometer Abstand zwischen Windrad und Wohnbebauung bedeuten.

Juristen hatten in einer Bundestagsanhörung betont, dass dies die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aushebeln könnte, wonach der Windkraftnutzung „substanzieller Raum“ eingeräumt werden müsse. Die Bundesvereinigung kommunaler Spitzenverbände äußerte die Befürchtung, dass statt bis zu 20 Prozent nur ein Prozent der Fläche in Deutschland für das Aufstellen von Windrädern infrage kommen könnte. Viele Bundesländer aber wollen von der Abstandsoption keinen Gebrauch machen.