Mehr als 12.000 Patientenbeschwerden über falsche Behandlungen. In fast jedem vierten Fall hatten sie recht

Berlin. In Deutschlands Krankenhäusern ist das Risiko eines Behandlungsfehlers unter den Patienten ungleich verteilt: Vor allem wer mit Knie- oder Hüftgelenksproblemen eingeliefert wird, muss damit rechnen, bei der Operation zum Opfer von Ärztepfusch zu werden. Auch Patienten mit Brüchen am Unterschenkel oder am Sprunggelenk sind besonders häufig von Behandlungsfehlern beim Eingriff betroffen.

Das ergibt die neue Fehlerstatistik, welche die Bundesärztekammer in Berlin vorlegte. Der Befund ist seit Jahren ähnlich, aber die Mediziner haben noch nicht das richtige Gegenmittel gefunden. Nach der aktuellen Erhebung der Ärzte gingen bei den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen im vergangenen Jahr insgesamt knapp 12.200 Beschwerden von Patienten ein – mit der Aufforderung zur Prüfung, ob ein Behandlungsfehler vorliegt. Damit verzeichnete die Ärztekammer einen leichten Rückgang der Patientenanträge im Vergleich zum Vorjahr.

Von den eingegangenen Beschwerden wurden 7922 Fälle bearbeitet. Dabei kamen Gutachter und Schlichter in 2243 Fällen zu dem Ergebnis, dass tatsächlich ein Behandlungsfehler nachgewiesen werden kann. Es bestätigten sich also etwa 2,5 von zehn Vermutungen. Das bedeutet ebenfalls eine leichte Verringerung im Vorjahresvergleich.

Doch an dem besonderen Komplikationsrisiko für Hüft- und Kniepatienten hat sich auch im vergangenen Jahr nichts geändert: Von diesen Patientengruppen stammen die meisten Pfuschvorwürfe, entsprechend richtet sich die weit überwiegende Zahl der Beschwerden gegen Ärzte der Unfallchirurgie und aus den orthopädischen Abteilungen in den Kliniken.

In den Krankenhäusern selbst passieren die meisten nachgewiesenen Behandlungsfehler in den Operationssälen – Pfusch bei der Durchführung der Eingriffe macht gut 27 Prozent der nachgewiesenen Fälle aus. Falsche Diagnosen oder die gefürchteten Infektionen mit den sogenannten Krankenhauskeimen spielen dagegen eine untergeordnete Rolle.

Nach der Jahresstatistik der Bundesärztekammer wurden 73 Behandlungsfehler bei Patienten mit Hüftgelenksverschleiß verzeichnet, 64 Fälle bei Krankenhauspatienten mit Brüchen am Unterschenkel oder an den Sprunggelenken und 57 Fälle bei Personen, die mit Kniegelenksverschleiß auf dem Operationstisch landeten. Dahinter folgen Behandlungsfehler bei Operationen von Arm- oder Hüftgelenksbrüchen.

Die Ärztekammer verweist jedoch darauf, dass in den einzelnen Krankheitsfeldern jeweils weit mehr als 100.000 Operationen pro Jahr vorgenommen werden. Der Anteil der gutachterlich nachgewiesenen Behandlungsfehler bewege sich deshalb im Promillebereich. Hinzu kommen jedoch noch die Behandlungspannen, die im vergangenen Jahr bei den Krankenkassen, Haftpflichtversicherern und bei den Gerichten registriert wurden.

Insgesamt richteten sich drei Viertel der bei der Ärztekammer eingegangenen Pfuschvorwürfe gegen Mediziner in den Krankenhäusern, ein Viertel der Vorwürfe betraf niedergelassene Ärzte in Praxen. Dort passierten die meisten Fehler bei der Behandlung von Brustkrebs-Patientinnen. Hier wurden im vergangenen Jahr 25 Fälle nachgewiesen. Ähnlich wie in den Krankenhäusern waren auch Patienten mit Hüft- und Kniegelenksarthrose betroffen. Grundsätzlich sind in den Praxen vor allem die Diagnosen fehleranfällig.

„Wenn solche Fehler passieren, ist das Leid der Betroffenen sehr groß“, sagte Andreas Crusius, Vorsitzender der Ständigen Konferenz der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Bundesärztekammer. Jeder dieser Fehler sei ein Fehler zu viel, und natürlich müssten sie aufgeklärt werden. „Diese Fehler aber sind äußerst selten und schon gar nicht beispielhaft für die bei den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen registrierten Behandlungsfehler. Wir begutachten vor allem medizinische Komplikationen, wir suchen nach dem Ursachenkomplex“, sagte Crusius bei der Vorstellung der Behandlungsfehlerstatistik.

Zugleich riet er dazu, das Gesundheitswesen bei der Debatte über Behandlungsfehler als Ganzes zu betrachten. Bedingt durch die demografische Entwicklung sei allein die Zahl der ambulanten Behandlungsfälle in Deutschland zwischen 2004 und 2012 um 136 Millionen auf fast 700 Millionen gestiegen. Die Zahl der stationären Fälle habe sich um 1,8 Millionen auf 18,6 Millionen erhöht.

Die Statistik der Bundesärztekammer liefert nur einen Ausschnitt der Gesamtlage im Gesundheitswesen. Etwa ein Viertel aller vermuteten Arzthaftungsfälle wird von den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärztekammern bewertet. Die Überprüfung ist für die Patienten gebührenfrei.

Vor einigen Wochen hatten bereits die Experten der Medizinischen Dienste der gesetzlichen Krankenversicherung ihre Zahlen präsentiert. Demnach pfuschten Zahnärzte und Pflegeheime besonders häufig. Beide Bereiche fallen jedoch nicht in den Zuständigkeitsbereich der Ärztekammer und tauchen deshalb in der vorgelegten Erhebung nicht auf.