Parteichefin Kipping nennt Bedingungen einer rot-roten Koalition. In den Ländern gibt es kaum Berührungsängste

Berlin. Eine Kooperation zwischen Linkspartei und SPD im Bund war das große Projekt von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Die beiden wussten, dass es viel Geduld und Hartnäckigkeit verlangte. Bis heute ist ein Bündnis mit der SPD die einzige Machtoption der Linken. Und darum hält jeder, der an der Spitze der Linken steht, die Idee am Leben.

„Wir haken das Projekt Politikwechsel nicht ab“, sagt jetzt die Linken-Vorsitzende Katja Kipping. „Alles andere wäre eine Ewigkeitsgarantie für Merkel als Kanzlerin.“ Kipping bietet der SPD an, über eine „Gerechtigkeitswende für Deutschland“ zu sprechen. „Zwingend“ seien für die Linkspartei höhere Steuern für „Reiche und Konzerne“. Als weitere Koalitionsbedingungen nennt Kipping ein „Programm gegen Altersarmut“, eine „sanktionsfreie Mindestsicherung“ und eine „friedliche Außenpolitik“.

Die Linken-Chefin hat klare Vorstellungen darüber, wie sie diesen Politikwechsel deutlich beschleunigen könnte: „Der Weg führt zwingend über die Länder“, sagt sie mit Blick auf die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Der wichtigste Prüfstein in diesem Jahr werde im September die Landtagswahl in Thüringen. „Da muss die SPD springen und Bodo Ramelow zum ersten linken Ministerpräsidenten wählen.“ In aktuellen Umfragen kommt die Linke auf 28 Prozent der Stimmen und wäre zusammen mit der SPD, die bei 19 Prozent liegt, stärker als die CDU, der 36 Prozent vorhergesagt werden.

In Ostdeutschland ist die Zusammenarbeit zwischen SPD und Linke inzwischen Gewohnheit – vom Gemeinderat bis hinauf zu den Landtagen. Erste zaghafte Annäherungsversuche gab es bereits wenige Jahre nach der deutschen Einheit in Sachsen-Anhalt. Der kürzlich verstorbene sozialdemokratische Ministerpräsident Reinhard Höppner ließ 1994 seine rot-grüne Minderheitsregierung von der PDS tolerieren. Schon vier Jahre später hatte der Sozialdemokrat Harald Ringstorff in Mecklenburg-Vorpommern keinerlei Berührungsängste mehr und schmiedete die erste Koalition mit der Gysi-Partei. In Berlin regierte Klaus Wowereit zehn Jahre mit der Linken, bis der Wähler dem Bündnis keine Mehrheit mehr gab. Dafür entschied sich die SPD in Brandenburg gegen die CDU und für die Linke als Koalitionspartner.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann bemüht sich, die Sozialdemokraten klar von der Linken abzugrenzen. Sie sei „meilenweit“ von einer Regierungsfähigkeit im Bund entfernt, sagte er der „Welt am Sonntag“. „Wenn ich mir die europapolitischen Äußerungen einiger Linkspolitiker ansehe, sind sie derzeit koalitionspolitisch auf Bundesebene ein Totalausfall.“ Im Ukraine-Konflikt habe sich die Linke „mit hanebüchenen Bewertungen und schrillen Formulierungen hervorgetan“. Und im Rahmen der Nato und der EU sei mit der Linken keine verlässliche Zusammenarbeit möglich. Kurzum: Über eine Koalition nach der nächsten Bundestagswahl stehe jetzt keine Entscheidung an. Der Graben, der SPD und Linke trenne, sei „in den vergangenen Monaten eher tiefer geworden“.

Auf ihrem Bundesparteitag im Mai hatte die Linke einen Kurs zur Russland- und Ukraine-Politik vorgegeben, der mit der Linie der SPD-Spitze und von Außenminister Frank-Walter Steinmeier nicht vereinbar ist. Linken-Chef Bernd Riexinger und Fraktionschef Gysi hatten Schilder mit der kyrillischen Aufschrift „Redet“ in die Kameras gehalten. Vor allem die ostdeutschen Linken kokettierten mit ihrem Russland-Verständnis und ließen gern ein „Na und?“ anklingen. Sie bezichtigten Vertreter der Bundesregierung der „Kumpanei mit ukrainischen Faschisten“ und gaben dem Westen die Alleinschuld an dem Konflikt.

Erheblich weniger Berührungsängste als Oppermann hat sein Parteifreund Dietmar Woidke, der in Brandenburg eine rot-rote Landesregierung führt. „Die Linke steht eindeutig im demokratischen Spektrum der deutschen Parteien. Im Osten ist sie sogar Volkspartei“, sagte er. „So muss man mit ihr auch umgehen.“ Über ihre Regierungsfähigkeit im Bund entscheide die Linkspartei „in den kommenden Monaten und Jahren, je nachdem, wie sie sich positioniert“, betonte Woidke. Ob die SPD in Thüringen nach der Landtagswahl im September einen Politiker der Linken zum Ministerpräsidenten wähle, hänge „von Personen und von Inhalten ab“.

In Brandenburg, wo ebenfalls im September der Landtag neu gewählt wird, sei die Linke „ein verlässlicher Partner“. SPD und Linke „arbeiten auf einer sehr guten Vertrauensbasis zusammen“. Festlegen auf Rot-Rot wollte sich Woidke aber noch nicht. Der Ministerpräsident zeigte sich „beeindruckt“, wie rigoros die Brandenburger Linke vor einigen Jahren mit Stasi-Fällen in ihrer Landtagsfraktion umgegangen sei. Dabei hänge die Frage, wie ehrlich jemand mit seiner DDR-Vergangenheit umgehe, „nicht nur an der Staatssicherheit“. Woidke sagte wörtlich: „Stasi ja gleich böse und Stasi nein gleich nicht böse – das finde ich doch arg verkürzt.“

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl warnte die SPD vor einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei. „Die Position der SED-Erben in der Ukraine-Krise offenbart, dass es katastrophal wäre, wenn die Linkspartei im Bund mitregieren würde“, sagte er. „Wenn die SPD weiter nach links wandert, ist die Union eine gute Alternative für enttäuschte SPD-Wähler.“