Über Ursula von der Leyens Antrittsreise schwebt der US-Wunsch nach einem stärkeren Engagement Deutschlands

Washington. Antrittsreisen nach Amerika gehören zu den wichtigeren Terminen deutscher Regierungsmitglieder. Ursula von der Leyen hat dennoch lange gewartet mit ihrem ersten Trip als Verteidigungsministerin zum großen Partner jenseits des Atlantiks, ein halbes Jahr lang. Andere Aufgaben erschienen ihr dringender, eine Attraktivitätsoffensive für den Arbeitgeber Bundeswehr zum Beispiel. Als wolle sie ihr spätes Kommen wiedergutmachen, startete die CDU-Politikerin nun auch in den USA eine Offensive, eine Art transatlantischen Charmeüberfall.

Gleich vier Tage verbrachte sie in New York und Washington. Und sie gab sich dabei viel Mühe, als Frau mit Gespür für amerikanische Befindlichkeiten aufzutreten. Das drückte sich beispielsweise in einem Besuch der Ministerin in dem erst im Mai eröffneten New Yorker Museum aus, das an den Tag des Anschlags vom 11. September 2001 erinnert, an die Opfer und an den Schock, den das Land damals erlitt. Am Ground Zero legte von der Leyen einen Kranz zum Gedenken an die fast 3000 Opfer der Flugzeugattentate nieder, sprach von einem „bedrückenden, aber auch beeindruckenden Mahnmal“, das die tiefe Wunde in der Seele Amerikas erahnen lasse. Vor allem aber suchte sie sich als verlässliche Partnerin darzustellen.

Anders als viele deutsche Ministerkollegen spricht von der Leyen, die einige Jahre in Kalifornien lebte, ein erstklassiges Englisch, was dieses Vorhaben deutlich erleichterte. In freier Rede gab sie TV- und Radiointerviews, traute sich in eine Podiumsdiskussion mit Ex-Außenminister Henry Kissinger und debattierte mit Koryphäen der US-Sicherheitscommunity wie den früheren Präsidentenberatern Jim Jones oder Zbigniew Brzezinski über die Krisenherde der Welt. Hinter verschlossenen Türen ging es dabei um die oft genug ernüchternden Lagen in Brennpunkten vom Irak über Syrien und Afghanistan bis zur Ukraine. Bei ihren öffentlichen Auftritten aber vergaß die Ministerin nie das Atmosphärische: Ein „kurzer Draht“ über den Atlantik sei ihr wichtig und die US-Regierung „ein herausragend wichtiger Partner für die Sicherheit“ Deutschlands.

So auch in ihrer Grundsatzrede vor dem Atlantic Council in Washington. Nur knapp streifte von der Leyen die durch die Spitzeleien der NSA ausgelöste Vertrauenskrise. Zahm mahnte sie, die USA müssten „die Linie zwischen Sicherheit und Freiheit neu definieren“. Umso ausführlicher schilderte die Ministerin die Leistungen Amerikas in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie würdigte, wie die Supermacht dem Land der Kriegsverbrecher half, den Weg zurück in die Weltgemeinschaft zu finden, und für seine Sicherheit garantierte. Aus dieser gemeinsamen Vergangenheit leitete sie die Bedeutung der transatlantischen Zusammenarbeit und Einigkeit für die Herausforderungen der Zukunft ab. Das wirtschaftlich starke Deutschland sei bereit, versicherte sie, dabei seinen Anteil an der Verantwortung für die gemeinsame Sicherheit zu tragen. Dafür brauche man allerdings eine strategische Übereinkunft über gemeinsame Mittel und Ziele. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer. Denn die Meinungen darüber, in welchem Ausmaß und mit welchen Mitteln die Bundesrepublik Verantwortung übernehmen sollte, die gehen diesseits und jenseits des Atlantiks wahrnehmbar auseinander.

Deutsche Politiker sind immer schnell dabei, den Amerikanern Aufgaben zuzuschustern. In der Irak-Krise zum Beispiel sehen von der Leyens Parteifreunde von Bundeskanzlerin Angela Merkel bis Fraktionschef Volker Kauder „eine ganz besondere Verantwortung“ bei den US-Freunden. Weil Washington einst im Irak einmarschiert sei, sei es nun verpflichtet, sich um die Entwicklung des Landes zu kümmern, und müsse, so Kauder, „auch ein erneutes militärisches Eingreifen in Erwägung ziehen“.

Sich selbst sehen die Deutschen im Zweistromland bestenfalls in der zweiten Reihe. Im Irak ist das nachvollziehbar. Nur: Auch vor der Berliner Haustür muss der große Partner noch immer aushelfen. Als Polen und Balten sich durch die russische Aggression in der Ukraine bedroht fühlten, weigerten sich die europäischen Nachbarn, Truppenkontingente nach Osteuropa zu schicken. Von der Leyen führte auf ihrer Reise aus, solche Stationierungen seien Kalter-Krieg-Denke, es müsse stattdessen darum gehen, die Nato mobiler und flexibler zu machen. Mag sein. Doch wer Angst hat, der will erst einmal keine monatelange Strategiediskussion, sondern das Gefühl von Sicherheit. Die Amerikaner lieferten es, sie schickten Soldaten nach Polen und in die baltischen Staaten. In ihren Gesprächen mit Mitgliedern der Verteidigungsausschüsse von Senat und Repräsentantenhaus wie Carl Levin oder Adam Smith musste von der Leyen auch die aus Sicht der Amerikaner zögerliche Sanktionspolitik der Europäischen Union gegenüber Russland erläutern. Und sie bekam den alten Unmut über den europäischen Beitrag zur Nato zu hören.

Gerade mit Blick auf die Ukraine-Krise erinnern die Amerikaner wieder daran, dass Deutschland mit Investitionen von 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in den Verteidigungshaushalt deutlich unter dem Nato-Ziel von zwei Prozent liegt. Von der Leyen hält diese aus dem Jahr 1997 datierende Selbstverpflichtung für überholt. Ja, sagte sie in ihrer Rede vor dem Atlantic Council, „wir Europäer müssen unsere Fähigkeiten innerhalb der Allianz weiter verbessern“. Das gelte auch für Deutschland und die Bundeswehr. Aber dabei gehe es nicht nur um die Frage, „wie viel Geld wir ausgeben. Sondern eher darum, wie wir es ausgeben und wofür.“

Von der Leyens Amtskollege Chuck Hagel kennt diese Argumentation schon, die Deutsche hat ihm ihre Position bereits beim letzten Rat der Nato-Verteidigungsminister erläutert. Was er davon hält, darüber herrscht diplomatisches Schweigen. Klar ist: Auch Hagel wünscht sich Deutschland als Partner, der international mehr Verantwortung übernimmt – und den USA, die ihrer Rolle als Weltpolizist müde sind, Arbeit abnimmt. Von der Leyen sagte, sie sei bereit dazu. Jüngst gab sie in einem Interview zu Protokoll, sie habe aus der Enthaltung der Bundesregierung im Weltsicherheitsrat in der Libyen-Krise 2011 und den darauf folgenden Irritationen der Verbündeten gelernt, dass Deutschland sich mehr engagieren müsse. Dieses Engagement freilich, sagte sie nun in den USA, umfasse nur „in ganz seltenen Fällen“ Militäroperationen. Sie sehe Deutschlands Rolle eher als Lieferanten von speziellen Fähigkeiten wie Lufttransport, Sanität, Ausbildung oder Kommunikation. Nicht alle Gesprächspartner von der Leyens ließen sich von dieser Argumentation beeindrucken.

Mit seinen 91 Jahren erlaubte sich Henry Kissinger, der Charmeoffensive der Ministerin zu widerstehen. Deutschland habe einen Kurswechsel in seiner Sicherheitspolitik zwar „angekündigt, aber nicht erfüllt“. Auf lange Sicht, sagte der alte Diplomat, könne Berlin militärischen Optionen bei internationalen Krisen nicht mehr aus dem Weg gehen.