Verunglückte Frau aus Glücksburg erhält vollen Schadenersatz. Sie treffe keine Mitschuld, so der Bundesgerichtshof

Karlsruhe. Bei einem unverschuldeten Unfall haben Radfahrer auch dann Anspruch auf vollen Schadenersatz, wenn sie keinen Schutzhelm getragen haben. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Die Richter gaben damit einer Radfahrerin aus Glücksburg (Schleswig-Holstein) recht, die 2011 auf dem Weg zur Arbeit schwer am Kopf verletzt worden war. „Für Radfahrer ist das Tragen eines Helms nicht vorgeschrieben“, sagte der Vorsitzende Richter Gregor Galke bei der Urteilsbegründung in Karlsruhe (Aktenzeichen: VI ZR 281/13). Der BGH hob ein anderslautendes Urteil des Oberlandesgerichtes (OLG) Schleswig auf.

Die heute 61-jährige Glücksburgerin war im April 2011 an einem Auto vorbeifahren, das am rechten Straßenrand parkte. Plötzlich öffnete die Autofahrerin von innen die Tür, sodass die Radfahrerin nicht mehr ausweichen konnte. Sie stürzte zu Boden und zog sich dabei so schwere Schädel-Hirn-Verletzungen zu, dass sie monatelang im Krankenhaus behandelt werden musste. Noch heute ist die Physiotherapeutin nach eigenen Angaben nur eingeschränkt arbeitsfähig.

Das OLG Schleswig gab der Frau eine 20-prozentige Mitschuld, weil sie zum Unfallzeitpunkt keinen Schutzhelm getragen hatte. Entsprechend sollte ihr Schadenersatz gekürzt werden, den sie von der Autofahrerin verlangte. Daraufhin ging sie in Revision.

In dem Prozess vor dem Bundesgerichtshof argumentierte der Anwalt der Klägerin, selbst der Gesetzgeber wolle keine gesetzliche Helmpflicht für Radfahrer einführen. Dann könne man dies von den Radfahrern auch nicht verlangen. Der Anwalt der Autofahrerin widersprach: „Vernunft ist gefragt und nicht das Verhalten derjenigen, die es schon immer so gemacht haben.“ Doch die höchsten Richter sahen es wie das Unfallopfer. Nach dem „allgemeinen Verkehrsbewusstsein“ sei das Tragen eines Helms nicht erforderlich, um sich vor Schäden zu schützen. Im Jahr 2011, so der Richter, hätten laut Umfragen nur elf Prozent der Radfahrer innerorts einen Helm getragen. Die Halterin des Pkw und deren Kfz-Haftpflichtversicherung müssen der verunglückten Radfahrerin nun alle aus dem Unfall entstandenen Schäden ersetzen und auch ein Schmerzensgeld zahlen.

„Das ist ein guter Tag für die Radfahrer“, sagte die Sprecherin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, Stephanie Krone. „Wir können uns auch künftig frei entscheiden, ob wir einen Helm tragen oder nicht. Und das ist auch richtig so, weil Radfahren kein Risikosport ist, sondern gesunde Bewegung im Alltag.“

Auch die Politik setzt auf Freiwilligkeit. Der Kieler Verkehrsminister Reinhard Meyer (SPD) sagte: „Für mich steht außer Zweifel, dass geeignete Helme das Verletzungsrisiko von Radfahrern bei bestimmten Unfällen erheblich verringern können.“ Er würde es aber bei einer Empfehlung statt einer neuen „erzieherischen Vorschrift“ belassen.