Schleswig-Holsteins Ministerpräsident will über große Verkehrsprojekte auch bundesweit abstimmen lassen

Kiel . Über bundesweit bedeutende Verkehrsvorhaben sollten die Deutschen nach Ansicht des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten, Torsten Albig (SPD), mittelfristig in Volksbefragungen abstimmen. Über national bedeutsame Projekte sollten dabei nicht nur die in der Nähe wohnenden Menschen entscheiden: „Bundesprojekte müssen bundesweit abgestimmt werden“, konstatierte Albig.

Der geplante Fehmarnbelttunnel hätte – wenn er nicht längst per Staatsvertrag beschlossen und quasi im Bau wäre – genauso in diese Kategorie gehört wie große Autobahnen. Die Menschen könnten nur gewonnen werden, wenn sie sehen, dass sie auch gefragt werden, sagte der Sozialdemokrat. Schließlich betreffe es auch ihr Geld, weil die öffentlichen Haushalte es aus dem Bestand nicht mehr hergeben. „Wenn wir ehrlich mit den Menschen umgehen und sie früh umfassend informieren, werden sie sagen, ob sie ein Projekt für vernünftig halten und die Konsequenzen mittragen wollen“, sagte Albig. „Oder sie sagen, die paar Minuten Zeitersparnis, die wir bei einer alternativen neuen Straße haben, sind uns den Aufwand nicht wert.“

Eine um wenige Minuten schnellere Bahnverbindung zwischen Berlin und Hamburg habe relativ viel öffentliches Geld gekostet. „Da muss sich eine Gesellschaft fragen, ob das in dieser Zeit richtig investiert ist.“ Albig kündigte für das dritte Quartal Gespräche mit anderen Ländern über den künftigen Umgang mit der Verkehrsinfrastruktur an. „Wir wollen den Parlamentarismus nicht aushöhlen, aber die Menschen müssen stärker mitgenommen werden. Nur so erlangen wir wieder die notwendige Legitimation für zukünftige große Infrastrukturprojekte.“

Zudem müsse Reparatur vor Neubau gehen, forderte der SPD-Politiker. „Eine Art Neubau-Moratorium wäre sinnvoll, denn wir haben in Deutschland eine Reparaturlast bis zum Jahr 2030 von jährlich sieben Milliarden Euro.“ Es spreche folglich sehr viel dafür, solange nur noch das unbedingt Notwendige neu zu bauen. Ebenso notwendig sei es, neue Finanzierungsinstrumente unter Einbeziehung von Privatkapital zu entwickeln und die Menschen früher einzubinden, sagte Albig. Dazu gehöre, die tatsächlichen Kosten und die Folgen klar zu benennen. „Wir müssen deutlich sagen, was Infrastruktur wirklich kostet – nicht nur, um etwas zu bauen, sondern auch, um es 30 Jahre lang oder länger zu erhalten.“

Wenn für 1,5 Milliarden Euro 100 Kilometer Autobahn gebaut werden, müsse man wissen, dass diese und die nächste Generation noch einmal 1,5 Milliarden für die Instandhaltung bezahlen werden, sagte Albig. Diese drei Milliarden Euro seien damit in den nächsten 40 Jahren geblockt und dürften für anderes nicht zur Verfügung stehen, es sei denn, die Bürger brächten selbst einen Teil davon zusätzlich auf. „An besonders aufwendigen neuen Bauwerken werden – wie beispielsweise in Dänemark schon üblich – künftig Häuschen stehen, an denen wir einen Obolus zu entrichten haben“, sagte Albig voraus. Am Donnerstag stand in Berlin ein Treffen der Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf dem Programm.

Mit seiner Forderung nach Volksabstimmungen bei Großbauprojekten schlägt der Kieler Regierungschef in dieselbe Kerbe wie Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Dieser hatte bereits im vergangenen Herbst in einer Regierungserklärung im Landtag angekündigt, Befragungen zu Großprojekten möglich zu machen – allerdings zunächst nur auf Landesebene. Seehofer geht es wie Albig darum, dass nicht nur die unmittelbar betroffenen Anwohner eines Projekts ihren politischen Willen bekunden können. „Mein Ziel ist: Wir machen unseren Freistaat zum Vorbild für den modernsten Bürgerstaat in Europa im 21. Jahrhundert“, sagte Seehofer damals. Erst vor Kurzem hatte Albig die Debatte über die Pkw-Maut befeuert: Zu Ostern hatte er angesichts vieler maroder Straßen und Brücken vorgeschlagen, zur Sanierung die Autofahrer mit jährlich 100 Euro zur Kasse zu bitten.

Erforderlich seien eine erhebliche Kraftanstrengung der gesamten Gesellschaft und zusätzliche Mittel. „Diese können nur aus zwei Richtungen kommen: Aus Steuern oder aus einer Abgabe, die an die Mineralölsteuer oder unmittelbar an das Auto gebunden wird.“ Der jetzige Zustand vieler Verkehrswege offenbart aus Albigs Sicht das Versagen der Gesellschaft über Jahrzehnte hinweg. „Wir in Schleswig-Holstein haben seit 1992 an der Instandhaltung der Landesstraßen 228 Millionen Euro ‚gespart‘ und haben jetzt einen Sanierungsbedarf von 900 Millionen – das war kein gutes Geschäft.“

Gegenwind für Albigs Vorschlag kommt von der Union. Der verkehrspolitische Sprecher der Union im Bundestag, Ulrich Lange (CSU), sprach von einem völlig falschen Signal. „Wenn man jetzt vor jedem Autobahnbau eine Volksbefragung durchführt, wird sich die Lage auf Deutschlands Straßen jedenfalls nicht verbessern“, sagte Lange. Es mache keinen Sinn, über Verkehrsprojekte, die in der Regel eine Region betreffen, bundesweit abstimmen zu lassen. „Das jetzige Verfahren hat sich im Grundsatz bewährt.“

Schleswig-Holsteins CDU-Verkehrspolitiker Hans-Jörn Arp nannte Albigs Vorstoß einen weiteren Versuch, von verkehrspolitischer Untätigkeit seiner Regierung abzulenken. „Dieser Ministerpräsident schafft es noch nicht einmal, an seinem Kabinettstisch eine verbindliche Abstimmung über die A20 herbeizuführen. Aber er will ganz Deutschland über die Hamburger Hafenspange und Talbrücken in Niederbayern abstimmen lassen“, sagte Arp. Sein FDP-Kollege Christopher Vogt sagte, Albig habe die Verkehrspolitik als geeignetes Thema erkannt, um sich bundesweit zu profilieren. „Leider sind seine Vorschläge entweder bereits Realität oder kontraproduktiv.“