Anton Hofreiter soll als Fraktionschef den Neuanfang der Partei gestalten und verkörpern. Kritik aus den eigenen Reihen trifft ihn hart

Berlin. Anton Hofreiter erwischt einen Spitzenplatz an diesem Tag im Parlament, vollkommen mühelos. Der Chef der kleinen grünen Oppositionsfraktion lässt sich ganz vorne auf der Regierungsbank nieder. Ein Grüner, der seit neun Jahren im Bundestag sitzt und bislang nur die Oppositionsstühle kennt, plötzlich auf einem Ministersessel. Ein kleiner Politikertraum. Eigentlich. Und Hofreiter? Stützt seinen Kopf schwer auf seine rechte Hand.

Für eineinhalb Stunden sitzt er zusammengesunken auf dem Ministerplatz, die Abgeordnetenränge sind besetzt mit Jugendlichen, die für einige Tage den Parlamentsbetrieb nachspielen dürfen. Zum Abschluss des Planspiels ist eine Fragestunde mit Hofreiter und den Fraktionsspitzen von Union, SPD und Linkspartei vorgesehen. Dazu werden die Politiker auf der Regierungsbank platziert. Was das Schlimmste ist am Politikerleben, will eine junge Frau wissen. Als Hofreiter an der Reihe ist, richtet er sich auf: „Besonders lästig ist es, in einer Sitzung nach der anderen zu sitzen“, sagt er. „Da kann ich nicht mehr rausfliehen und vor der Tür ratschen.“ Vor allem als Fraktionsvorsitzender sei das ein Problem, weil er ja nun die meisten Sitzungen selbst leite. Da könne er nicht mehr einfach aufstehen und sagen: „Jetzt hab ich keinen Bock mehr.“

Der Frust sprudelt aus ihm hervor, ganz ohne das abrupte Hofreiter-Stocken, das ihn bei seinen sonstigen Reden ungelenk klingen lässt. Das muss wohl mal raus. Tatsächlich ist es ein ziemlich großes Problem, das Hofreiter vor den Jugendlichen offenbart. Der 44-jährige Oberbayer ist Vorsitzender einer diskussionsfreudigen Grünen-Fraktion, die nach einem Neuanfang sucht, um Zukunftsthemen ringt und um neue Antworten nach einem missglückten Bundestagswahlkampf.

Wer als Chef dieser 63 Abgeordneten regelmäßig den Fluchtimpuls verspürt, wenn es mal wieder länger dauert, muss sich fragen, wie er das durchhalten will die nächsten dreieinhalb Jahre. Einige Fraktionskollegen sagen, diese Frage habe sich Hofreiter insgeheim schon gestellt. Denn es geht längst nicht mehr nur um die langen Sitzungen. Im ersten halben Jahr als Fraktionschef und Nachfolger von Jürgen Trittin ist einiges zusammengekommen: Hofreiter fremdelt mit seiner Führungsrolle, er wirkt vor Kameras und Mikrofonen unsicher und hölzern. Seine Außenwirkung funktioniert nicht. Und nach innen, in die Fraktion hinein, liefert er nach Meinung von Parteifreunden zu wenig argumentative Schärfe, zu wenig gute Ideen für die Neuausrichtung und für eine schlagkräftige Oppositionsarbeit.

Dabei war seine ursprüngliche Idee nicht schlecht: Denn als urwüchsiger Bayer mit Bauch verkörpert er den Bruch der Grünen mit ihrer früheren Führungsspitze ideal. Sein Vorgänger Jürgen Trittin hatte sich im Bundestagswahlkampf als wendiger Finanzexperte in schmalen Anzügen präsentiert. Nach seinem Debakel wollten die Grünen dann aber so schnell wie möglich wieder zurückkehren zum alten Kernthema Ökologie. Und das wollten sie auch zeigen. Da sah der Biologe Hofreiter seine Chance.

Über Monate bereitete er seinen Aufstieg vor, den linken Kontrahenten Gerhard Schick stach er hinter den Kulissen geräuschlos aus, der Finanzexperte schien vielen Parteifreunden auch deshalb als ungeeignet, weil er im Auftreten und thematisch zu nah bei Trittin verortet war. Hofreiter konnte sich als originelle Alternative positionieren. Es gab aber Befürchtungen erfahrener Fraktionskollegen, dass der Verkehrsexperte Schwierigkeiten haben dürfte, im Machtzentrum der Opposition als Generalist aufzutreten. Und es gab außerdem die Sorge der Fraktionskollegen, ob der Toni nicht zu rebellisch wirken könnte, zum Beispiel auf die wertkonservative Wählerschaft, die die Grünen neben den linksökologischen Stammwählern gewinnen müssen, um aus ihrem Tief herauszukommen. Zumindest diese Sorge hat sich als unbegründet erwiesen. Hofreiter wird für vieles kritisiert – Rebellentum ist nicht dabei.

Für die Neuausrichtung seiner Partei muss er als Fraktionschef – in vielen langen Sitzungen – einen tief greifenden Wandel anstoßen und lenken, nicht nur eine Verhaltenstherapie begleiten. Wie groß die Aufgabe ist, erlebt er zum Beispiel an einem Abend im Februar. Hofreiter hat im kleinen Kreis zum Essen eingeladen. Noch bevor die Speisen serviert werden, muss Hofreiter ein Geständnis machen. Er habe nach dem Scheitern der Veggie-Day-Idee für einen fleischlosen Tag in den Kantinen für diesen Abend extra Rinderfilet bestellen lassen. Aber die Küche habe das wohl nicht ernst genommen. Jedenfalls gebe es nun für alle doch ein vegetarisches Gericht. Obwohl er selbst sich so aufs Fleisch gefreut habe.

Aber nur mit Symbolpolitik lässt sich das Ruder nicht rumreißen. Dass Hofreiter nicht viel Wert auf Beratung lege, sagen die einen. Dass er bisher noch keine echte Lernkurve hin zu mehr Substanz in den Diskussionen um die strategische Neuausrichtung vorweisen könne, sagen andere. Dass dann auch noch der Dämpfer kam, weil er über Jahre die Zweitwohnungssteuer in Berlin hinterzogen hatte, das hat ihn zusätzlich in Bedrängnis gebracht. Und dass er nun wie blockiert wirkt, das kann jeder sehen. Wenn man ihn danach fragt, fordert er Geduld ein.

Vor den Jugendlichen im Bundestag erzählt Hofreiter dann noch, was ihm am meisten Freude bereite an seinem Politikerjob: „Es macht mir total Spaß, immer neue Wissensgebiete zu erobern“, sagt er. Dafür gibt es Applaus.