Verfassungsgericht sichert die Redefreiheit von Bundespräsident Joachim Gauck. Der darf die NPD „Spinner“ nennen

Karlsruhe . Für Joachim Gauck ist das Urteil aus Karlsruhe so etwas wie eine höchstrichterliche Vollmacht. Und Gauck kann sie gut gebrauchen, denn kaum ein Bundespräsident hat von der Macht des Wortes als Staatsoberhaupt so lustvoll Gebrauch gemacht wie der frühere DDR-Bürgerrechtler. Das hatte ihm schon viel Ärger eingehandelt. Aber nun wird Gauck von den Verfassungsrichtern in seiner Wortgewalt bestärkt.

Das Bundesverfassungsgericht entschied am Dienstag in Karlsruhe, dass Gaucks kritische Äußerungen über die rechtsextreme NPD vom August vorigen Jahres nicht gegen das Neutralitätsgebot für ein Staatsoberhaupt verstoßen. Gauck hatte damals, wenige Wochen vor der Bundestagswahl, in einer Diskussionsveranstaltung mit Schülern in Berlin die Anhänger der NPD als „Spinner“ bezeichnet. Die Partei klagte daraufhin vor dem Verfassungsgericht, weil sie sich durch Gaucks Wortwahl in ihrem Anspruch auf Chancengleichheit vor der Wahl verletzt sah.

Doch die Karlsruher Richter wiesen die Klage der NPD zurück. Wie ein Bundespräsident seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfülle, „entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst“, erklärten sie zur Begründung. Das Urteil sichert dem Bundespräsidenten das wichtigste Machtinstrument, über das ein deutsches Staatsoberhaupt verfügt. Denn der Präsident kann vor allem mit seinen Reden Einfluss nehmen, konkrete politische Macht ist für ihn nicht vorgesehen, im Vordergrund stehen repräsentative Pflichten. Die Grenzen seiner Redefreiheit werden nach der Karlsruher Entscheidung vom gesetzlichen Rahmen abgesteckt: Der Bundespräsident habe Verfassung und Gesetze zu achten, hieß es. Außerdem dürfe ein Staatsoberhaupt nicht „willkürlich Partei ergreifen“. Dies hat Gauck der Entscheidung des Gerichts zufolge aber auch gar nicht getan.

Gauck hatte bei einer Veranstaltung mit Oberstufenschülern in Berlin nach Auseinandersetzungen um ein Asylbewerberheim Proteste gegen die NPD begrüßt. Vor den etwa 400 Schülern sagte der ehemalige DDR-Bürgerrechtler knapp einen Monat vor der Bundestagswahl: „Wir brauchen da Bürger, die auf die Straße gehen, die den Spinnern ihre Grenzen aufweisen. Und dazu sind Sie alle aufgefordert.“

Nach Ansicht der rechtsextremen NPD verstieß Gauck damit gegen seine Pflicht zur parteipolitischen Neutralität. Ein Eilantrag gegen Gauck wurde allerdings noch vor dem Wahltag von den Verfassungsrichtern zurückgewiesen. Und auch in der mündlichen Verhandlung Ende Februar ließen die Richter durchblicken, dass sie die NPD-Klage mit Skepsis betrachten. Nun kam das Urteil zugunsten Gaucks. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle betonte, ein Bundespräsident könne den mit dem Amt verbundenen Erwartungen nur gerecht werden, wenn er auf gesellschaftliche Entwicklungen eingehen könne und dabei in der Wahl der Themen ebenso frei sei wie in der Entscheidung über die jeweils angemessenen Kommunikationsformen. Im Urteil heißt es, die Verwendung des Wortes „Spinner“ sei im konkreten Zusammenhang nicht zu beanstanden. „Spinner“ stehe für Menschen, „die die Geschichte nicht verstanden haben und unbeeindruckt von den verheerenden Folgen des Nationalsozialismus rechtsradikale – nationalistische und antidemokratische – Überzeugungen vertreten“.

Vor diesem Hintergrund sei auch nichts gegen Gaucks Aufruf zu Demonstrationen einzuwenden. Gauck zeigte sich nach den Worten seines Staatssekretärs David Gill dankbar für die Klarstellung des Gerichts. Das Urteil habe Bedeutung über den Fall hinaus, weil sich das Gericht erstmals mit der „Äußerungsbefugnis“ des Staatsoberhauptes befasst und mit der Entscheidung nun einen Rahmen geschaffen habe. Gill hatte zuvor mit Gauck telefoniert und ihn über das Urteil informiert.

Gauck hatte bereits mehrfach mit seiner Wortwahl für Aufregung gesorgt: So zeigte er sich im vergangenen Jahr zum Beispiel erleichtert darüber, dass es in Deutschland – anders als in anderen europäischen Staaten – bisher keine populistische Partei ins Parlament geschafft habe. Er fügte hinzu, dass aber die eurokritische Alternative für Deutschland an der Schwelle zum Einzug in das Europaparlament stehe. Die AfD-Führung beschwerte sich daraufhin und warf Gauck vor, er habe die Partei als populistisch bewertet und damit die Grenzen des Neutralitätsgebots überschritten.

Das Verfassungsgericht wies am Dienstag weitere Klagen der rechtsextremen NPD ab. Dabei ging es um die Wahlen des Bundespräsidenten in den Jahren 2009 und 2010. Die Wiederwahl von Horst Köhler 2009 sowie die Wahl von Christian Wulff 2010 seien verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, urteilte das Gericht. Die Rechte des Parteivorsitzenden Udo Pastörs seien damals nicht verletzt worden. Pastörs war beide Male Mitglied der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt. Der NPD-Chef wandte sich vor allem dagegen, dass keine mündlichen Aussprachen erlaubt wurden und damit auch keine Bewerbungsreden.

Die Richter entschieden aber, dass die Mitglieder der Bundesversammlung nicht die Rechte von Bundestagsabgeordneten hätten. Das Grundgesetz sehe die Wahl des Staatsoberhauptes „ohne Aussprache“ vor. „Eine Personal- oder Sachdebatte über oder mit dem Kandidaten soll gerade ausgeschlossen sein“, sagte Gerichtspräsident Voßkuhle. Er wählten pathetische Worte: Die Wahl des Bundespräsidenten offenbare sich als „ein eigentümlicher, demokratisch veredelter Rückgriff auf das Erbe der konstitutionellen Monarchie, der vom Verfassungsgeber so gewollt war und der der Bundesrepublik letztendlich guttat“, sagte Voßkuhle in seinem Eingangsstatement. Denn der Bundespräsident „verkörpert die Einheit des Staates“. Seine Wahl müsse daher „in seinen Abläufen die besondere Würde des Amtes unterstreichen“.

Anträge Pastörs’, beide Wahlen für ungültig erklären zu lassen und eine Wiederholungswahl anzuordnen, erklärte das Gericht für „nicht statthaft“. Pastörs hatte in der Bundesversammlung beantragt, eine „Vorstellung der Kandidaten“ auf die Tagesordnung zu setzen. Von ihm gestellte weitere Anträge wollte er mündlich begründen. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der auch die Bundesversammlung leitet, ließ die Anträge unter Verweis auf das Grundgesetz nicht zur Abstimmung zu. Die NPD hatte beide Male den rechtsextremen Liedermacher Frank Rennicke ins Rennen geschickt.