Niedrigere Zinsen und eine eigene Steuerschätzung schließen die Milliarden-Lücke

Berlin. Am Freitagmorgen um 1.08 Uhr war es vollbracht. Nach einem elfstündigen Sitzungsmarathon war der Bundeshaushalt für 2014 unter Dach und Fach, Union und SPD hatten ihr Milliardenloch gestopft. „Wir haben uns als echte Haushälter erwiesen“, lobte der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Norbert Barthle (CDU), das Regierungslager. Trotz Mehrbelastungen werde die Neuverschuldung nicht steigen. Die Opposition dagegen tobte: „Extrem dreist“ sei das Vorgehen der Regierung gewesen, nur mit windigen Winkelzügen habe sie die Lücken im Haushalt geschlossen, schimpfte der grüne Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler. „Tricksereien in solch einer Dimension habe ich noch nie erlebt.“

Was war passiert? Bundesminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte sich für den Etat 2014 ambitionierte Ziele gesetzt. Nur 6,5 Milliarden Euro sollte die Verschuldung 2014 betragen, es wäre der geringste Wert seit 40 Jahren. Doch nach der ersten Haushaltsaufstellung im März zeigte sich schnell, dass der Minister den Etat auf Kante genäht hatte. Zuerst verhagelte die überraschend schwache Steuerschätzung Schäubles Beamten die Planung. Dann verfügte das Finanzgericht Hamburg, dass der Bund eine vorläufige Rückzahlung von 2,3 Milliarden Euro aus der Kernbrennstoffsteuer leisten muss. Und schließlich fiel der Tarifabschluss für die öffentlich Beschäftigten höher aus als angenommen. So tat sich auf einmal insgesamt eine Lücke von rund 3,4 Milliarden Euro im Haushalt 2014 auf, die im März noch niemand auf der Rechnung hatte. Das Bundesfinanzministerium wäre durchaus bereit gewesen, eine etwas höhere Verschuldung hinzunehmen, heißt es. Zumal die Schuldenbremse für 2014 eine Verschuldung von 8,5 Milliarden Euro erlaubt hätte. Doch da wollte insbesondere die Union nicht mitmachen.

Und so galt es für die Haushälter in ihrer sogenannten „Bereinigungssitzung“, die Lücke von 3,4 Milliarden Euro zu schließen. Die Koalitionäre drehten vor allem an den Zinsausgaben. Am Donnerstag entschied die Europäische Zentralbank (EZB), die Leitzinsen auf das Rekordtief von 0,15 Prozent zu senken. Prompt wurde der Schuldendienst um 1,2 Milliarden Euro nach unten korrigiert. Außerdem kassierte Schwarz-Rot die nur ein paar Wochen alte Steuerschätzung ein und geht nun von 600 Millionen Euro Mehreinnahmen aus.

Entlastung gibt es auch, weil 500 Millionen Euro für Bildungsausgaben „hinfällig“ wurden. Die waren zunächst zwischengeparkt für den Fall, dass es keine Einigung über die Verteilung der in Aussicht gestellten zusätzlichen sechs Milliarden Euro für Bildung geben sollte. Nun steht der Kompromiss, die Zusatz-Milliarden fließen ab 2015, weshalb die 2014 vorgehaltenen 500 Millionen Euro nicht mehr nötig werden. Hinzu kommen kleinere Einsparungen bei Hartz-IV-Kosten, im Verteidigungsressort, bei Gewährleistungen sowie ein paar Mehreinnahmen aus Kartellrechtsstrafen.

Roland Claus, haushaltspolitischer Sprecher der Linkspartei, schimpfte: „Die Große Koalition macht sich nicht einmal mehr die Mühe, ihre Täuschungen geschickt zu verschleiern. Für uns als kleine Opposition ist das schon sehr frustrierend.“ Erst investiere die Regierung schon viel zu wenig, und dann müsse sie Löcher auch noch auf eine solche Weise stopfen, sagte Claus. „Die Regierung kann nicht mit Geld umgehen, und schon gar nicht mit viel Geld.“

Die Haushaltspolitiker von Union und SPD konnten die Aufregung nicht nachvollziehen. Die sprudelnden Steuereinnahmen im Mai hätten Anlass dafür gegeben, bei der Steuerschätzung etwas optimistischer zu sein. Zudem sei es keineswegs so, dass es überhaupt keine Puffer mehr gebe. So dürften laufende Kartellrechtsverfahren weiteres Geld in die Kasse spülen. Auch sei keineswegs sicher, dass das Gerichtsurteil zur Erstattung der Kerosinsteuer Bestand hat. Für den Fall, dass mehr Geld fällig werde, habe die Regierung eigens Ausgabesperren im Haushalt eingebaut. „Trotz erheblicher zusätzlicher Belastungen“ könne die Neuverschuldung auf 6,5 Milliarden Euro begrenzt werden, erklärte der Unions-Haushaltsexperte Barthle. Das Ziel, 2015 einen Haushalt ohne neue Schulden vorzulegen, sei damit „weiterhin in greifbarer Nähe“. SPD-Haushaltspolitiker Johannes Kahrs erklärte, es sei ein „großer Erfolg“, dass der Betrag von 6,5 Milliarden Euro bei der Neuverschuldung „gehalten wurde“.