Generalbundesanwalt ermittelt nun doch zum abgehörten Handy der Kanzlerin. Er gründet eine Cyberspionage-Einheit

Berlin. Der Mann wirkt mit seinem feinen Lächeln und seinen höflichen Manieren nicht so, als könnte er der Supermacht USA einen Schrecken einjagen. Generalbundesanwalt Harald Range schiebt sich am Mittwoch um 9.10 Uhr zwischen Abgeordneten, Mitarbeitern und Journalisten in den Saal 2600 des Paul-Löbe-Hauses in Berlin. Drinnen, im Rechtsausschuss des Bundestags, gibt es zunächst noch 19 andere Tagesordnungspunkte zu verhandeln – doch dann holt Range zu einer Ankündigung aus, die bei den Amerikanern durchaus aufmerksam registriert werden dürfte.

Umfangreiche Vorerhebungen erbrachten laut Range ausreichende Anhaltspunkte, dass unbekannte Mitarbeiter US-amerikanischer Nachrichtendienste ein Mobiltelefon von Kanzlerin Angela Merkel ausgespäht haben. Ein Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts der Agententätigkeit sei eingeleitet, sagt er.

Bislang hatte sich Deutschland fürs Wegducken entschieden. Ankündigungen aus der Regierungskoalition, Vereinbarungen mit den USA wie das Swift- oder das Safe-Harbour-Abkommen zu überprüfen, blieben leere Drohungen. Ein zunächst als unverzichtbar bezeichnetes No-Spy-Abkommen wurde von den Amerikanern schlicht abgelehnt. Und zuletzt wiesen Regierungsmitglieder vor allem auf die Bedeutung der Partnerschaft mit den USA hin.

Monatelang war auch darüber gemutmaßt worden, wie Ranges Generalbundesanwaltschaft sich wohl entscheiden würde: Ermittlungen gegen einen Geheimdienst einer befreundeten Macht – oder lieber doch nicht? Immer wieder tauchten widersprüchliche Meldungen auf, obwohl sich Range selbst nie festgelegt hatte und regelmäßig betonte, die Prüfungen dauerten an. Die Gerüchte stoppte das nicht. Zuletzt berichtete in der vergangenen Woche die „Süddeutsche Zeitung“, dass Range den Vorwürfen nicht nachgehen werde. Viele Politiker empörten sich, aber offensichtlich ohne Grund. Die Münchner Zeitung vermeldete am Dienstagabend Ranges tatsächliche Entscheidung und korrigierte sich somit selbst.

Man könnte annehmen, dass der Generalbundesanwalt nun von vielen Seiten Lob erhält. Doch das ist nicht der Fall. Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele kritisiert, dass Range das Ausspähen der Kommunikationsdaten von Millionen Bundesbürgern vorerst weiter nur beobachte. „Das kann ich nicht verstehen.“ Die Obfrau der Linken im NSA-Untersuchungsausschuss, Martina Renner, erklärt: „Hier kann es nach den im Internet frei zugänglichen Dokumenten, deren Echtheit nicht einmal von US-amerikanischen Stellen bestritten wird, kaum noch ernsthaften Zweifel geben, dass jedenfalls der Straftatbestand des Ausspähens von Daten erfüllt ist.“ Und SPD-Obmann Christian Flisek sagte: „Ich bin ein wenig irritiert, warum sich das ausschließlich auf das Kanzlerinnenhandy beschränkt.“

Tatsächlich geht Range nur mit angezogener Handbremse in die Offensive. Die NSA-Affäre hatte in der Karlsruher Behörde im vergangenen Jahr zur Aufnahme von zwei Beobachtungsvorgängen geführt. Einmal ging es um Merkels Vodafone-Handy, beim anderen um das massenhafte Ausspähen der Telekommunikation der Bundesbürger.

In letzterem Fall bleibt es allerdings bei Vorermittlungen. Bislang gibt es hier nach Angaben seiner Behörde keinen Verdacht auf Straftaten – auch nicht aufgrund der rund 2000 Strafanzeigen, die bei Range eingegangen sind. Es ist aber auch überaus fraglich, wie ein solches Verfahren ausgehen würde: Schließlich arbeitet der deutsche Auslandsnachrichtendienst BND ähnlich wie die NSA, nur in kleinerem Maßstab. Auch die Deutschen überwachen nämlich massenhaft Kommunikation – aber lediglich von Ausländern. Die Arbeitsgrundlage des BND könnte also laut infrage gestellt werden, wenn Range einmal auch die Massenüberwachung genauer untersuchen sollte.

Im Fall des Kanzlerinnenhandys sollen die Untersuchungen zunächst unter anderem mit der Vernehmung von Zeugen beginnen – auch der amerikanische Enthüller Edward Snowden kommt damit ins Spiel. Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sagt: „Snowden ist jetzt schon für zwei deutsche Verfahren ein sehr wichtiger Zeuge, für den Untersuchungsausschuss und für dieses Strafverfahren.“

Doch was kann bei dem Verfahren herauskommen? Der Generalbundesanwalt hat zwar mehr Möglichkeiten als der NSA-Untersuchungsausschuss. Er kann einen ganzen Ermittlungsapparat in Bewegung setzen, Dokumente umfangreicher prüfen, das Bundeskriminalamt und die Polizei ermitteln lassen – und letztlich Anklage erheben. Doch dass dann tatsächlich ehemalige NSA-Mitarbeiter in Deutschland vor Gericht stehen werden, hält man selbst in der Opposition für äußerst unwahrscheinlich.

Die Bundesanwaltschaft organisiert sich zudem um. Aufgrund der neuen digitalen Spionagemöglichkeiten wurde ein Ermittlungsreferat „Cyberspionage“ gegründet. Im Rechtsausschuss sagte Range laut Teilnehmern, die alten Zeiten von „James Bond jagt Dr. No“ seien vorbei. Nachrichtendienste operierten anders als in den 60er-Jahren und nutzten immer häufiger das Internet. Seine Behörde müsse daher mit modernen Spionen à la „James Bond 2.0“ mithalten.

Die Reaktion aus den USA auf Ranges Vorstoß fällt übrigens mehr als verhalten aus. Der beste Weg, den deutschen Besorgnissen wegen Spionage durch die NSA zu begegnen, seien nicht Ermittlungen, sondern der direkte Dialog beider Länder. Das erklärte der stellvertretende US-Sicherheitsberater Ben Rhodes. Dabei vergaß er aber offenbar, dass die NSA nun einmal gegen eine goldene Geheimdienstregel verstoßen hat. Sie lautet: Lass dich nicht erwischen.