Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den „Zeit“-Chefredakteur, weil er bei der Europawahl doppelt wählte.

Hamburg. Vor dem Wahlgesetz sind alle gleich. Nur ganz wenige, so scheint es, sind gleicher und konnten deshalb zweimal wählen. Zum Beispiel „Die Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, der im Fernsehen freimütig verkündete, sowohl als Italiener als auch als Deutscher seine Stimme zur Europawahl abgegeben zu haben. „Einmal gestern im italienischen Konsulat und einmal heute in einer Hamburger Grundschule“, sagte er am Sonntagabend bei Günther Jauch.

Was laut Wahlgesetz verboten ist, war im Falle di Lorenzo technisch möglich. Als Mann mit zwei Pässen und zwei Staatsbürgerschaften hat er in zwei Wählerverzeichnissen gestanden. Im deutschen und im italienischen. Und wer im Wählerverzeichnis steht, bekommt auch einen Stimmzettel. Im Falle di Lorenzo sogar zwei. Denn als ordnungsgemäß gemeldeter Deutscher wird er vor der Wahl automatisch benachrichtigt und bekommt eine Wahlberechtigungskarte. Und als ordnungsgemäß im italienischen Konsulat gemeldeter Italiener, der im Ausland lebt, bekommt er automatisch italienische Wahlunterlagen zugeschickt.

Di Lorenzo hätte also mit sich ins Gericht gehen und entscheiden müssen, ob er als Italiener oder als Deutscher wählt. Denn auch wenn die verschlungenen Wege der Verwaltung es ermöglichen oder gar nahelegen, zweimal zu wählen, bleibt es eben doch verboten. „Das Gesetz geht grundsätzlich davon aus, dass der Bürger sich ehrlich verhält“, sagt der Leiter des Hamburger Landeswahlamtes, Oliver Rudolf. Weil diese Annahme im Falle di Lorenzo zu optimistisch war, zeigte die AfD ihn an. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Nach Paragraf 107a Strafgesetzbuch stehen auf Wahlfälschung bis zu fünf Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Laut Staatsanwaltschaft kommt auch Paragraf 107b in Betracht, der für die Fälschung von Wahlunterlagen, wozu auch falsche Angabe gehören, bis zu sechs Monate Haft oder 180 Tagessätze androht. Weitere Ermittlungsverfahren gebe es derzeit nicht, hieß es bei der Staatsanwaltschaft. Seit 2011 waren in Hamburg fünf Verfahren wegen Wahlfälschung bzw. Fälschung von Wahlunterlagen anhängig. In Hamburg gibt es etwa 40.000 EU-Bürger mit zwei Staatsbürgerschaften.

Di Lorenzo zeigte sich am Montag zerknirscht. „Mir war nicht bewusst, dass man bei der Europawahl nicht in zwei Ländern abstimmen darf. Hätte ich es gewusst, hätte ich es nicht getan und natürlich auch nicht in der Sendung von Günther Jauch erzählt. Mir tut das aufrichtig leid“, ließ er über „Bild.de“ verbreiten. Ganz unwissend aber konnte er nicht gewesen sein, denn sein eigenes Online-Portal hatte es wenige Tage vor der Wahl als Systemfehler kritisiert, dass doppelte Staatsbürger trotz Verbots doppelt wählen können.

Der Fall di Lorenzo zeigt eine systematische Lücke auf: Es sind vonseiten der Verwaltung keine Vorkehrungen getroffen, die im Falle doppelter Staatsbürgerschaften verhindern könnten, dass eine Person in den Wählerverzeichnissen zweier Länder auftaucht und damit zweimal aufgefordert wird, ihre Stimme abzugeben. Um die systematische Lücke zu schließen, müssten die Wählerverzeichnisse aller EU-Staaten miteinander verglichen werden, um doppelt aufgeführte EU-Bürger herauszufiltern. „Das geschieht derzeit nicht“, sagte Rudolf. Der Aufwand erschien bisher zu hoch, zumal auch damit ein Erfolg nicht garantiert wäre. Im Landeswahlamt etwa ist der Fall einer Österreicherin bekannt, die in Deutschland und Österreich Wahlunterlagen bekam, in Deutschland unter dem Namen ihres Ehemannes geführt wurde und in Österreich unter ihrem Mädchennamen.

Wer nur eine Staatsbürgerschaft hat und im europäischen Ausland wählen will, muss dafür einen Antrag stellen. Wird so ein Antrag bewilligt, wird automatisch das Wählerverzeichnis im Herkunftsland bereinigt, sodass die Wahlunterlagen nur einmal verschickt werden. Personen mit zwei Staatsbürgerschaften aber müssen gar nichts beantragen, um Wahlunterlagen zu bekommen. Es reicht, wenn sie ihren Meldepflichten in den jeweiligen Ländern nachkommen, weil sie schon damit ins Wählerverzeichnis aufgenommen werden. Bundeswahlleiter Roderich Egeler mahnte daher Änderungen an, damit sich solche Fälle nicht wiederholen.

Das Grundproblem, so Rudolf, sei, dass es zwar eine europäische Richtlinie zum Wahlrecht gebe, aber dieses Sache der Nationalstaaten geblieben sei. So werde in Deutschland das Wählerverzeichnis für jede Wahl neu aus den Melderegistern erzeugt. In anderen EU-Ländern aber gebe es „ewige“ Wählerverzeichnisse, auf die immer wieder zurückgegriffen werde und die deshalb auch alte Daten enthalten können. Weil in Deutschland das Wählerverzeichnis neu erzeugt wird, kann es keine Doppelwähler produzieren. Wer umzieht, wird entweder korrekt am neuen oder fälschlich noch am alten Wohnort geführt, aber eben nicht zweimal.