Christsoziale verlieren fast acht Prozentpunkte. Die Partei macht die europakritische Wahlkampftaktik ihres Chefs dafür verantwortlich

München . Mit was für einer Häme doch die CSU stets auf den chaotischen Landesverband der Alternative für Deutschland (AfD) in Bayern geblickt hatte. Dass die AfD bei der Landtagswahl im September im Freistaat nicht antrat, hielt man sich selbst zugute.„ Die wissen, dass sie eh keine Chance haben“, hieß es. Am Sonntag hat die eurokritische Partei bei der Europawahl in Bayern acht Prozent geholt. Mehr als im Bund und mehr als in anderen Ländern. Das sind fast genau jene acht Prozent, die der CSU fehlen. Von 48,1 Prozent 2009 fiel der Wert der Partei auf 40,5 Prozent ab.

Nur noch fünf von bisher acht Abgeordneten entsenden die Christsozialen nach Brüssel. Besonders schmerzlich ist für sie der Nichtwiedereinzug von Bernd Posselt. Seine Stimme wird fehlen, gerade jetzt. Zum Abschneiden der CSU sagte er: „Die AfD an Kritik übertreffen zu wollen, das bringt nichts.“ Seine Taktik war das nicht. Aber die seines Chefs Horst Seehofer.

Und die Peter Gauweilers. Dem Parteivize war die Rolle überantwortet, die AfD und den gesamten Brüsseler Apparat zu attackieren. Das zündete auch, aber offensichtlich nur bei seinen Wahlkampfauftritten. „Die Leute haben offenbar gesagt: Für uns ist die CSU die Kopie und die AfD in dem Punkt das Original“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der CSU, Max Straubinger. Der Wahlkampf hätte die Themen, die auch die der AfD waren, zu stark in den Vordergrund gerückt. Straubinger sieht ein Glaubwürdigkeitsproblem. „Wir wollten etwa den Austritt Griechenlands aus dem Euro und haben doch allen Rettungsschritten zugestimmt. Wir haben ein Verhältnis zu unserer Europapolitik wie die SPD zu ihrer erfolgreichen Agenda 2010.“ Die CSU werde ihre Schwerpunkte ändern müssen, glaubt auch der Parteivize und Landwirtschaftsminister Christian Schmidt.

Die CSU muss erkennen, dass sie nicht mehr das rechte Spektrum dominiert, auch nicht mit Tönen gegen Zuwanderer und Sozialmissbrauch. Ihre Taktik, mit der sie die Republikaner kleingemacht hat, kann in Anbetracht dieses Ergebnisses nicht als zukunftsträchtig gelten. Entweder die Wähler wollen diese Töne nicht mehr hören, oder sie hören sie von anderen lieber. Und da ist noch eine Botschaft, die sich Seehofer zu Herzen nehmen muss: Auf seine Popularität kann die CSU nicht bauen. Sie ist schwer kalkulierbar, wie der Parteichef selbst es ist. Auch in Ingolstadt, Seehofers Heimat, stürzte die CSU ab. Das Minus von 11,9 Prozent geht auch auf sein Konto.

In der Sitzung des Parteivorstands am Montag herrschte nachdenkliche Stimmung. Kritik an der Taktik wurde laut. Seehofer appellierte an die Geschlossenheit der Partei. Von ihr hängt sein Schicksal ab. Ab sofort wird sich Seehofer darauf einstellen müssen, dass seine Leute ihn öfter zur Ordnung rufen – und nicht mehr nur umgekehrt er sie. Noch gibt es keine hörbare Debatte über seine Führungsrolle. Auch wenn von einem „Gefühl“ die Rede ist, wie es die Endzeit von Edmund Stoiber bestimmte.

Seehofer erzeugte lange nicht gesehene Eigenschaften: Demut und Selbstkritik. „Das ist eine Wahlniederlage, für die übernehme ich auch die Verantwortung“, sagte der 64-Jährige, bevor er sich der Debatte im Parteivorstand stellt. Auch drinnen erweckt er den Eindruck echter Betroffenheit, wie Teilnehmer berichten.

Seehofer selbst schloss personelle Konsequenzen aus. Ihm muss es dämmern, dass er – wieder mal – einiges wird anders machen müssen. Eventuell muss er diesmal aber nicht nur die Partei ändern, sondern in allererster Linie sich selbst. Sonst setzt für den Parteichef selbst ganz schnell die Dämmerung ein.