Die Hauptstädter entscheiden am 25. Mai, ob das alte Flughafengelände für Wohnungen, Sport und Gewerbe genutzt wird oder verwildern soll

Berlin. Und wieder ein Kampf um Tempelhof, die „Mutter aller Flughäfen“, wie der große Architekt Norman Foster die 1939 errichtete Anlage bezeichnet – Berlins Zentralflughafen, 350 Hektar, im Herzen der Hauptstadt. Sonntag ist Showdown für das stadtpolitische Thema Nummer eins. Das Volk darf entscheiden, was mit der Fläche geschehen soll, dreieinhalb Quadratkilometer Begehrlichkeit. Gut acht Quadratkilometer Peinlichkeit, der andere, neue Flughafen „BER“, der nie fertig wird, der stadtpolitische Dauerbrenner, rückt dafür in den Hintergrund.

Streit um Tempelhof hat Tradition in Berlin. Das war nicht immer so. Den Krieg hat der Flughafen unbeschädigt überstanden. Die Nachkriegszeit ebenso. Als Luftbrückenkopf begeisterte er die Frontstädter, rettete ihr Überleben. Auch später, als er 1975 für den zivilen Verkehr erst geschlossen und 1985 wieder eröffnet wurde, geschah dies ohne Murren. Und selbst als dort die PanAm ihre Boeing-Piloten über den Wohnblöcken schulte oder auch mal ein Flugzeugrennen stattfand, die Berliner nahmen es hin, waren stolz auf ihr geschichtsträchtiges Ensemble im Zentrum, ihr Tor zur Welt.

Doch kaum war die Mauer gefallen, nahm das Gezerre um das einst größte Gebäude der Welt und der Liegenschaft seinen Lauf: Prozesse, Bürgerinitiativen, Volksentscheide, Demonstrationen. Mitte des vergangenen Jahrzehnts, als es um das endgültige Aus des Luftverkehrs oder den Weiterbetrieb ging, kam der Flughafen Tempelhof zur zweifelhaften Ehre, die Stadt und seine Einwohnerschaft so tief zu spalten wie kein anderes Bauwerk seit 1945, mal abgesehen von der Mauer. Der Senat gegen das Bürgertum der Hauptstadt, das heftig für den Weiterbetrieb eintrat.

Jetzt geht es wieder los. Und es wird wieder spannend. In der Schillerpromenade sitzen sie. In einem geräumigen Ladenlokal, Erdgeschoss, keine 200 Meter entfernt vom Flughafengelände, auf der östlichen, der Neuköllner Seite. Kerstin Meyer und Michael Schneidewind, zwei Wortführer der Bürgerinitiative „100% Tempelhofer Feld“. Ein klassisches Kampagnenbüro. Kellerregale voller Flugblätter, Stapel von Aufklebern, Infozeitungen, an der Wand Lagepläne, in der Mitte der lange Tisch für Strategiebesprechungen.

Schneidewind, Meyer und Dutzende Mitstreiter wollen Baupläne des Senats auf dem früheren Flughafengelände – das ehrgeizigste Entwicklungsprojekt der Landesregierung – zu Fall bringen. Sie haben wider Erwarten 185.000 Unterschriften gesammelt, damit den Volksentscheid durchgeboxt und legen nun den Berlinern ihren Gesetzentwurf zur Abstimmung vor. Sein Inhalt: keine Wohnungen, keine Gewerbebauten, keine repräsentative Landesbibliothek, keine Sportanlagen, kein durchgestylter Park. Dafür: Freifläche, Steppe mit zwei breiten, kilometerlangen Betonpisten und ein paar Wegen dazwischen, dreieinhalb Quadratkilometer unberührter, leicht verwilderter alter Flughafen, und das im Stadtzentrum. Naturbelassener Abenteuerspielplatz für alle Berliner.

„Wir sind optimistisch“, sagt Schneidewind. Was sagt er zu den Umfragen zum Thema? „Gucke ich mir gar nicht an.“ Ein Volkstribun ist er nicht gerade. Auch wenn er – Stadtplaner von Beruf – Wortführer der Initiative ist, ein Mann der großen Worte ist er nicht, antwortet oft lieber leise mit rhetorischen Gegenfragen. Eigene Großveranstaltungen mit Kampfreden sind nicht geplant, Prominente um Beistand zu bitten, hat man nicht angedacht. „Unsere Strategie greift eher von unten“, sagt Meyer, „Grassroot eben“, ergänzt Schneidewind. Leute kommen in den Laden, Aktivisten, die Material zum Verteilen abholen, auch Neugierige, von Sympathie für das Anliegen angelockt. Eine ältere Dame aus dem fernen Kladow etwa, oder, und das begeistert Meyer, „ein Polizist aus Steglitz“.

Aber wird all das reichen? Das „Quorum“ für einen Volksentscheid verlangt: Mindestens 625.000 Berliner, ein Viertel der Wahlberechtigten, müssten zustimmen. Unberechtigt ist der Optimismus in der Bürgerinitiative dennoch nicht. Die Chance: Die Abstimmung ist am Tag der Europawahl, was mehr Menschen an die Wahlurnen bringen könnte.

Der Ausgang am Sonntag ist ungewiss. Dem Etat der Bürgerinitiative im unteren fünfstelligen Bereich steht der Senat mitsamt den Wirtschaftsorganisationen, Gewerkschaften, Sportverbänden und einem Öffentlichkeitsetat im oberen sechsstelligen Bereich gegenüber. 2008, als es um die längst besiegelte Schließung des Flugbetriebes ging, stand fast alles, was außerhalb der Grünen, SPD und Linken Rang, Namen und Geld in der Stadt hatte, gegen den Senat, der die Schließung vollziehen wollte, dafür aber kaum warb. Eine millionenschwere Öffentlichkeitskampagne sollte damals den Flugbetrieb retten. Die Mehrheit dafür wurde erreicht, das Quorum aber verfehlt. 625.000 Stimmen sind eine hohe Hürde.