Hamburgs Europakandidat Knut Fleckenstein (SPD) fordert ein EU-Außenministerium und ein Anti-Spionage-Abkommen mit den USA

Hamburg. Knut Fleckenstein seufzt. Es sei nicht leicht, in dieser Zeit Verständnis für Russland zu zeigen. Man gelte dann gleich als „großer Putin-Versteher“, sagt er mit tiefer rauchiger Stimme, die ganz nach Helmut Schmidt klingt. Überhaupt seien die Fronten in den Medien und im Parlament durch die Krise in der Ukraine verhärtet. Fleckenstein ist Hamburgs SPD-Kandidat für das Parlament der Europäischen Union. Europa wählt am selben Tag wie die Menschen in der Ukraine, am 25.Mai. Ein Gespräch über die Krise in Osteuropa und warum er als „Amerika-Freund“ enttäuscht ist von den massenhaften Abhöraktionen der USA.

Hamburger Abendblatt:

Kanzlerin Merkel telefoniert mit Russlands Staatschef Putin, Außenminister Steinmeier reist in die Ukraine, US-Präsident Obama droht mit Sanktionen gegen Russland. Warum hört man in der Ukraine-Krise so wenig aus Brüssel – von den Spitzen der EU?

Knut Fleckenstein:

Die EU ist in ihren Mitteln begrenzt. Die 28 EU-Staaten haben noch keine wirklich gemeinsame Außenpolitik. Die Hoheit liegt bei den europäischen Nationalstaaten. Das ist eine Schwäche der EU. Langfristig braucht die EU einen wirklich starken Europäischen Auswärtigen Dienst, der mit einem Außenministerium vergleichbar ist. Aber das lässt sich nicht von Brüssel aus verordnen. Außerdem arbeitet Steinmeier nicht ohne Abstimmung mit seinen Kollegen in der EU.

Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel kritisiert, dass die Europäische Union der Ukraine aufgezwungen habe, sich zwischen Russland und Europa zu entscheiden. Wie viel Schuld trägt die EU an der aktuellen Krise?

Fleckenstein:

Die Schuldigen für die Eskalation in der Ukraine sitzen in Moskau: Russlands Machthaber schickten Soldaten mit abgedeckten Schulterklappen in den Osten des Landes, Russland annektierte die Krim, Russland duldete die militanten Separatisten. Die Fehler der EU liegen länger zurück. Doch sie wirken sich auf die heutige Krise in Osteuropa aus. Als die EU eine Nachbarschaftspolitik für den Osten aufbaute, hatten die Europäer Russland dazu eingeladen. Russlands Regierung fühlte sich behandelt wie Moldawien oder andere kleine Länder. Und zog sich zurück. Europa ist Russland nie auf Augenhöhe begegnet.

Wollte Putin jemals ernsthaft einen Dialog mit Europa?

Fleckenstein:

EU und Nato haben russische Vorschläge an den Westen nicht ernst genug genommen oder manchmal aus Arroganz abgewiesen, beispielsweise den Vorstoß Putins einer gemeinsamen Wirtschaftszone von Wladiwostok bis Lissabon. Politik mit Russland im 21. Jahrhundert funktioniert nicht durch europäische Bevormundung. Stattdessen wäre jetzt ein sinnvoller Schritt, visumfreies Reisen zwischen Russland und Europa zu ermöglichen. Das fördert den Austausch junger Menschen und ihrer Ideen, das fördert den Austausch von Produkten, das fördert am Ende auch die Demokratie in Russland. Die muss von innen wachsen.

Das klingt nach Verständnis für Putin.

Fleckenstein:

Ich verstehe, wie schwierig es ist, Russland überhaupt zu reformieren. Putin versucht, das Land umzugestalten – autoritär, von oben herab. Das mag aus unserer Sicht abenteuerlich sein. Doch es gibt in Russland die mächtige Oligarchen-Elite in Moskau und St. Petersburg, die Gouverneure in den Provinzen. Gleichzeitig ist es ein stark von Religion und Tradition geprägtes Land ...

... in dem Schwule staatlich stigmatisiert und Musikerinnen für einen regierungskritischen Auftritt in einer Kirche in ein Arbeitslager gesperrt werden.

Fleckenstein:

An Putins Politik lässt sich nichts schönreden. Nur gibt es wenig Alternativen. Die Opposition ist zerstritten, es gibt keine ernsthaften Konkurrenzparteien zur Putin-Partei.

Dafür hat auch Putin selbst gesorgt.

Fleckenstein:

Putin sieht, dass sein Land isoliert ist. Er spürt die Kritik der USA und der EU. Nun steht er unter Druck, seinen Wählern innenpolitische Erfolge zu präsentieren. Und ein Zusammenrücken mit der EU konnte Putin den Russen nicht liefern. Also profiliert er sich jetzt mit der Haltung: Wir sind uns selbst genug. Das ist hilflos – und auf Dauer nicht zu halten. Aber Fehler haben dabei auch die Europäer begangen. Das Europaparlament kritisiert Russland im Takt von vier Wochen auf eine unerträgliche Art und Weise. Resolutionen gegen die Verfolgung von Homosexuellen in Russland oder den Umgang mit der politischen Opposition, aber auch das ständige Rufen nach Sanktionen sind inhaltlich berechtigt beziehungsweise verständlich. Aber der Ton der Kritik aus Brüssel erinnert an die Rhetorik des Kalten Krieges. Westliches Oberlehrergehabe verbaut so die Chancen auf einen fruchtbaren Dialog zwischen Europa und Russland.

Am 25. Mai wählen die Menschen in der Ukraine zeitgleich mit den Menschen in der EU. Wie lange wird es dauern, bis die Ukrainer auch das EU-Parlament wählen dürfen?

Fleckenstein:

Die Ukraine wird auf absehbare Zeit kein Mitgliedstaat der EU werden – was immer auch einige EU-Politiker versprechen.

Russland ist die eine Seite, mit der die Europäische Union derzeit im Konflikt steht. Auf der anderen Seite hat der NSA-Abhörskandal das Verhältnis zu den USA erschüttert. Wird es noch ein Anti-Spionage-Abkommen zwischen der EU und den USA geben?

Fleckenstein:

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Europa überhaupt noch Verträge mit den USA abschließt – ohne vorab ein No-Spy-Abkommen abzuschließen. Ein Freihandelsabkommen zwischen EU und USA gibt es nicht ohne einen Vertrag, der die Überwachung von Daten und Kommunikation regelt.

Auch EU-Parlamentarier wurden ausspioniert.

Fleckenstein:

Ich bin ein Amerika-Freund. So bin ich auch aufgewachsen: Ich habe meinen Vater nur zweimal weinen sehen – beim Tod seiner Mutter und beim Attentat auf John F. Kennedy. Aber mittlerweile ist mein Vertrauen in die USA tief erschüttert.

Ihr Parteikollege und Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist ohne ein Abkommen aus den USA zurückgekehrt. Auch die Kanzlerin hat die Abkehr von der Spionage durch die Geheimdienste bei ihrem US-Besuch nicht vorangebracht. Ist die Bundesregierung zu nett zu den Amerikanern?

Wir sind alle zu nett zu Amerika. Wenn wir so befreundet sind wie Deutschland und die USA, muss man aber an diese Nähe auch andere Ansprüche geltend machen als beispielsweise bei Putin. Dass die deutsche Regierung sich schwertut, den Ex-Geheimdienstmitarbeiter und Whistleblower Edward Snowden in Berlin anhören zu lassen, ist absurd. Das muss einfach möglich sein.