Michael Otto und Jakob von Uexküll über ihr Engagement für den Weltzukunftsrat: Uno-Kommissar für zukünftige Generationen angeregt

Hamburg. Vor genau sieben Jahren wurde der Weltzukunftsrat (World Future Council) in Hamburg gegründet. In ihm arbeiten 50 internationale Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur, um Politiker weltweit im Sinne einer ökologischen, nachhaltigen und gerechten Welt zu beraten. Der auf der Uhlenhorst aufgewachsene Jakob von Uexküll war der Initiator der gemeinnützigen Stiftung; der Unternehmer Dr. Michael Otto, Mitglied im Ehrenrat, zählt zu den größten Spendern. Mit beiden traf sich Matthias Iken im schmucklosen Büro des Rates in der City Nord.

Hamburger Abendblatt:

Sie gelten als die Väter des Weltzukunftsrats. Wer oder was hat Sie überzeugt, dass diese Welt sich ändern muss?

Michael Otto:

Anfang der 70er hat mich der Bericht an den Club of Rome aufgerüttelt, da hatte ich ein richtiges Aha-Erlebnis. Ich habe damals viel mit meinem Freund Eduard Pestel diskutiert, einem der Mitbegründer des Club of Rome. Dadurch kam ich zu dem Schluss, dass ich handeln muss – und zwar als Bürger und Unternehmer. Es bedarf des Engagements eines jeden, man darf nicht nur auf den Staat warten.

Jakob von Uexküll:

Auch mich hat der Club of Rome geprägt und die Erkenntnis, dass das Wachstum und unsere Lebensweise an gefährliche Grenzen stoßen. Das hat das Denken einer ganzen Generation erschüttert, denn man kann eine Finanzkrise überwinden, aber nicht eine tiefe Krise der Umwelt oder des Klimas. Winston Churchill hat einmal gesagt: Es ist nicht genug, dein Bestes zu geben, du musst tun, was nötig ist.

In den 80er-Jahren stellten sich viele Bürger die Frage, woran die Menschheit zugrunde geht. Heute schauen wir optimistischer in die Zukunft. Ist die Welt besser geworden?

Uexküll:

Das ist sehr fraglich. Durch die Globalisierung haben wir nur viele Grenzen des Wachstums hinausgeschoben. Der Club of Rome lag nicht falsch, nur weil einige Szenarien nicht eingetreten sind. Gut, die Energievorräte reichen länger als prognostiziert, aber die Erosion landwirtschaftlicher Flächen schreitet viel schneller voran, und auch der Klimawandel ist viel dramatischer als einst angenommen. In vielen Ländern ist er längst Realität, ganze Gebiete werden unbewohnbar.

Vor welchem Hauptproblem steht die Menschheit heute?

Otto:

Der Klimawandel ist die größte Herausforderung. Das wird mir bei Reisen nach Afrika immer deutlicher: Wüsten breiten sich aus, Stürme nehmen zu, die Regenzeiten verschieben sich. Verglichen mit der Situation vor 30 Jahren ist die Entwicklung sogar dramatischer wegen des rasanten Wachstums in den Schwellenländern. Wir verbrauchen schon jetzt statistisch gesehen anderthalb Planeten; die Natur kann sich nicht so schnell regenerieren, wie wir sie verbrauchen. Das alles ist bekannt. Wir haben also kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem.

Wenn ich in die Wirtschaft blicke, bekomme ich einen anderen Eindruck. Als Sie in Ihrem Unternehmen mit Nachhaltigkeit begannen, war das noch exotisch – inzwischen ist es Allgemeingut.

Otto:

Das mag für Deutschland richtig sein, aber wir müssen die globale Richtung sehen. Durch das Weltwirtschaftswachstum werden diese nationalen Erfolge überlagert.

Die Luft beispielsweise ist in Europa viel besser geworden, die Flüsse sauberer, der Ansatz des ingenieurgetriebenen Umweltschutzes scheint zu funktionieren ...

Uexküll:

Das stimmt. Aber in Afrika, Afghanistan oder China gilt das nicht. Ganz im Gegenteil: Die Schadstoffkonzentration nimmt zu, die Meere übersäuern. Hier wollen wir ansetzen: Hamburg soll das Tor zur Welt von morgen sein – wir wollen Politiker beraten und unterstützen, damit die Gesetze und Regeln die richtigen Anreize setzen, etwa für eine umweltfreundliche Energieversorgung. Der World Future Council versucht, kluge und modellhafte Gesetze ausfindig zu machen, sie auszuzeichnen, und hilft, dass sie sich verbreiten. 2009 beispielsweise haben wir das Programm der brasilianischen Millionenstadt Belo Horizonte gegen Hunger prämiert, übrigens im Hamburger Rathaus. Danach haben wir afrikanische Politiker nach Brasilien eingeladen, dieses Modell zu studieren und aufzugreifen.

Wo sehen Sie die größten Erfolge nach sieben Jahren Weltzukunftsrat?

Uexküll:

Bei der Verbreitung erneuerbarer Energien haben wir viel erreicht. Wir haben weltweit Anhörungen zu Einspeisegesetzen organisiert, die dann in vielen Staaten übernommen wurden. In Guayana kamen sogar der Präsident und der Premierminister, um sich über erneuerbare Energien zu informieren. Bei den Vereinten Nationen möchten wir nun das Amt eines Hohen Kommissars für zukünftige Generationen schaffen. Das haben wir initiiert und sind sehr glücklich, dass es ernsthaft diskutiert wird. Auch unser Kongress zur regenerativen Stadt in Zusammenarbeit mit der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt lief sehr gut.

Otto:

Das Entscheidende am World Future Council ist der Wissenstransfer – die Analyse, wo gute Politik praktiziert wird. Wir müssen das Rad nicht immer wieder neu erfinden, sondern das Gute suchen. Das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz ist so ein Paradebeispiel, das nun auch nach Afrika übertragen wird.

Das Gesetz ist hier wegen der steigenden Strompreise ziemlich umstritten.

Otto:

Das stimmt. Und doch war das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Deutschland entscheidend, regenerative Energien voranzubringen. Allerdings hätte man nach der richtigen Initialzündung auf die Strompreisentwicklung reagieren und das Gesetz an die Realität anpassen müssen.

Uexküll:

Wir müssen aber auch die Kosten sehen, die fossile Brennstoffe verursachen, und die Subventionen, die sie verschlingen. Jeden Tag, an dem wir die Sonne und den Wind nicht nutzen, verschwenden wir Naturkapital. Der World Future Council hat das errechnet: Es sind über zwei Billionen US-Dollar im Jahr! Der Umbau der Energieversorgung geht sicher nicht von heute auf morgen und muss sozial abgefedert werden, aber er ist möglich.

Zum Erfolg gehört auch Selbstkritik. Wo liegen die Misserfolge des Zukunftsrats?

Uexküll:

Wir haben Neuland betreten, da konnte nicht alles sofort einschlagen. Die Wirtschaftskrise 2008 hat sicher das Umdenken gebremst, die Zukunft und nachfolgende Generationen grundsätzlich stärker in das politische Handeln einzubeziehen. Auch die von uns initiierten Netzwerke tragen sich manchmal nicht so schnell selbst, wie wir uns erhofft haben. Aber wir lernen schnell aus unseren Fehlern.

Zwischen Hamburg und dem Weltzukunftsrat knirschte es mitunter im Gebälk. Der Rat hat mit dem Umzug in eine andere Stadt geliebäugelt. Wie ist jetzt das Verhältnis?

Uexküll:

Ich hatte nicht das Gefühl von Unstimmigkeiten. Ole von Beust hatte damals vor unserem Start gefragt, welche Ressourcen wir benötigen, um anzufangen. Ich hatte immer das Gefühl, dass der Senat Interesse an unserer Arbeit hat, auch weil Hamburg als Stadt besonders vom Klimawandel betroffen ist. Auch unsere letzte Konferenz hier in Hamburg hat die Stadt gefördert. Natürlich ist es schade, dass die finanzielle Unterstützung der Anfangsjahre ausgelaufen ist. Wenn unsere Zukunft längerfristig gesichert wäre, könnten wir noch viel mehr machen und neue Gebiete erschließen. Unsere Arbeit ist zurzeit solide finanziert, aber wir brauchen für die Zukunft mehr Mittel. Daher ist es sehr hilfreich, wenn Spenden eingehen.

Otto:

Für Hamburg als weltoffene Stadt ist es gut, eine solche Organisation beherbergen zu dürfen.

Ihnen geht es um Politikberatung. Wie empfänglich sind Politiker für langfristige Projekte angesichts kurzer Legislaturperioden?

Uexküll:

Sehr – sie wollen ja wiedergewählt werden. Nicht wir laufen den Politikern hinterher, sie kommen zu uns. Oft leiden sie selbst unter konservativen Beamten, die Reformen als unmöglich ausbremsen. Wir sind Dienstleister und können helfen, etwa mit Gesetzen, die anderswo schon funktionieren. Ein Beispiel ist Argentiniens sehr erfolgreiches nationales Programm zur freiwilligen Abgabe von Schusswaffen, das wir nun nach Bosnien bringen.

Der Weltzukunftsrat überprüft Gesetze - das dürften einige anmaßend finden.

Uexküll:

Nein, denn wir benutzen dafür Kriterien, die die Weltgemeinschaft vereinbart hat. Wir sind nicht einfach eine Nichtregierungsorganisation, die ihre eigenen Regeln setzt. In unserem Rat sitzen ehemalige Regierungsmitglieder und Parlamentarier mit großer Erfahrung.

Herr Uexküll, Sie saßen für die Grüne Liste im Europaparlament, Herr Otto, Sie sind Unternehmer. Wo kann man mehr erreichen?

Otto:

Es gibt nicht nur eine Lösung, wir müssen in verschiedenen Bereichen aktiv werden. Die Wirtschaft ist Teil des Problems, aber auch Teil der Lösung. Ich habe 1996 im eigenen Unternehmen begonnen, Sozialstandards für Lieferanten einzuführen. Diese haben wir später in der Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels übernommen; inzwischen sind sie für über 1000 importierende Unternehmen in ganz Europa Standard.

Uexküll:

Die Zeit im Parlament war hilfreich, um zu verstehen, wie Politik funktioniert und wie wichtig Gesetze sind. Sie können kluge Anreize zum Wirtschaften schaffen, dann bewirken Unternehmen Gutes. Martin Luther King hat einmal gesagt: Gesetze bewegen nicht das Herz, aber sie behindern die Herzlosen. Deshalb fokussieren wir uns auf gute Gesetze.