Die gesetzlichen Krankenkassen können 2015 Beiträge wieder selbst festsetzen. Durch die Finanzreform sinkt der einheitliche Satz auf 14,6 Prozent

Berlin. Rund 20 Millionen gesetzlich Krankenversicherte werden nach den Worten von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) im kommenden Jahr geringere Beiträge zahlen müssen als heute. Grund für die erhoffte Beitragssenkung auf breiter Front ist die Finanzreform der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die der Bundestag am Freitag erstmals beraten hat.

Danach sinkt der einheitliche Beitragssatz von jetzt 15,5 Prozent auf 14,6 Prozent. Der bisher allein von den Versicherten gezahlte Sonderbeitrag in Höhe von 0,9 Prozent des Einkommens entfällt. Gestrichen werden auch der mögliche pauschale Zusatzbeitrag, die sogenannte kleine Kopfpauschale, und der damit verbundene steuerfinanzierte Sozialausgleich. Stattdessen können die Krankenkassen künftig einkommensabhängige Zusatzbeiträge erheben, falls sie mit den Einnahmen nicht auskommen.

Keine der gesetzlichen Krankenkassen hat derzeit Schulden

Danach sieht es aber angesichts der Milliardenpolster in der gesetzlichen Krankenversicherung bei vielen Kassen nicht aus. Dort liegen 13 Milliarden Euro, hinzu kommen 16 Milliarden Euro im Gesundheitsfonds. Allein die Zinserträge aus den Reserven erreichten 2013 knapp 500 Millionen Euro.

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums haben lediglich vier Krankenkassen weniger als das gesetzliche Soll von einem Viertel einer Monatsausgabe an Rücklagen. Keine Krankenkasse hatte Schulden. Bei 62 Kassen liegen die Reserven zwischen der Mindestreserve und dem gesetzlichen Maximum von einer Monatsausgabe. 67 Kassen haben mehr als 1,5 Monatsausgaben an Rücklagen. Erste Krankenkassen hätten bereits angekündigt, weniger als 0,9 Prozent Zusatzbeitrag von ihren Versicherten zu nehmen, betonte Gröhe im Bundestag.

Heute können die Kassen ihre Überschüsse nur in Form von Prämien an die Versicherten ausschütten. Das haben aber nur rund 20 allgemeine Kassen getan – darunter 15 Betriebskrankenkassen, die Hanseatische Krankenkasse, der Direktversicherer BIG direkt gesund und die Techniker Krankenkasse (TK), mit 8,8 Millionen Versicherten eine der größten Kassen Deutschlands. Die TK hatte angekündigt, sie werde 2015 einen „unterdurchschnittlichen“ Beitragssatz nehmen.

Die Opposition im Bundestag befürchtet jedoch, dass nur eine Minderheit der 50 Millionen Versicherten von Beitragssenkungen profitieren werden – und das auch nicht auf Dauer. Denn der Arbeitgeberbeitrag wird auf 7,3 Prozent eingefroren; künftige Kostensteigerungen im Gesundheitswesen müsse daher allein der Arbeitnehmer tragen, monierten Sprecher der Grünen und Linken in der Bundestagsdebatte.

Der gesundheitspolitische Sprecher der Linken, Harald Weinberg, wies darauf hin, dass die Ausgabensteigerungen in der Krankenversicherung in den vergangenen zehn Jahren regelmäßig über denen der Löhne und Renten lag. Jedes Jahr tue sich eine Lücke von vier Milliarden Euro auf, die künftig allein von den Versicherten zu decken sei. „Wir wollen zurück zur paritätischen Finanzierung“, sagte Weinberg.

Die Grünen-Gesundheitsexpertin Maria Klein-Schmeink sagte: „Wir brauchen ein Gesundheitssystem, das solidarisch finanziert ist und wo die Lasten gerecht verteilt sind.“ Die Grünen-Politikerin rechnete damit, dass bald „in großen Schritten“ Beitragssteigerungen kämen, auch wenn jetzt einige Kassen für 2015 Senkungen in Aussicht stellten. Klein-Schmeink befürchtet zudem Einschnitte bei der Qualität. „In den nächsten Jahren werden die Kassen vor allem mit sich selbst beschäftigt sein“, befürchtet sie. Aufgrund des Wettbewerbsdrucks durch den neuen variablen Zusatzbeitrag würden die Kassen künftig „auf jeden Cent schauen und die Leistungen für Versicherte bis an die Grenze dessen, was gesetzlich erlaubt ist, herunterschrauben“.

Bundesgesundheitsminister Gröhe sagte dagegen, auch in den kommenden Jahren würden die Krankenkassen im Wettbewerb bemüht sein, die Beiträge möglichst gering zu halten und effizient zu wirtschaften. Die SPD-Politikerin Hilde Mattheis betonte, dass die SPD im Grundsatz weiter an dem Projekt einer Bürgerversicherung mit verbreiterter Einnahmenbasis festhalte.

Einige Kassen mit Rücklagen könnten den Beitrag auch senken

Der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem rechnet hingegen nicht mit vielen Kassenwechslern. Im Unterschied zum pauschalen Zusatzbeitrag sei der prozentuale Beitrag für die Versicherten weniger merklich, zumal er direkt an der Quelle abgeführt werde. Anders als früher hätten die Arbeitgeber auch kein Interesse mehr daran, dass ihre Beschäftigten in eine günstigere Kasse wechseln, da sie an den Zusatzbeiträgen nicht beteiligt sind.

Gesundheitsökonom Wasem rechnet damit, dass die meisten Krankenkassen ihren Beitragssatz Anfang 2015 stabil halten. Einige Kassen mit Rücklagen könnten den Beitrag auch senken, sodass der durchschnittliche Zusatzbeitrag wohl knapp unter den 0,9 Prozent von heute liegen werde. Bis zum Jahr 2017 werde der kassenspezifische Beitrag dann im Schnitt auf 1,2 Prozent steigen, schätzt der Ökonom. Für die Versicherten ergibt sich damit ein Gesamtbeitrag von 15,8 Prozent im Bundestagswahljahr 2017.

Unabhängige Patientenberatung Deutschland soll gestärkt werden

Mit dem Gesetz will die Koalition auch ein neues Institut auf den Weg bringen, das die Behandlungserfolge der einzelnen Kliniken messen soll. Die Krankenhäuser sollen stärker nach Qualität bezahlt werden. Listen der Kliniken im Internet sollen den Patienten Hinweise auf gute und weniger gute Häuser geben.

Wegen des Ansturms ratsuchender Versicherter will die Koalition die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) deutlich stärken. Die Mittel der Krankenkassen für die UPD sollen von jährlich rund fünf auf neun Millionen Euro steigen. Das sieht ein Änderungsantrag für die Krankenkassen-Finanzreform vor. Damit ließen sich die Personalressourcen in den bestehenden 21 Beratungsstellen ausweiten, „um vor allem die telefonische Erreichbarkeit der UPD zu verbessern“.

Der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn (CDU) sagte: „Wenn wir das jetzt ins Gesetz einfügen, kann das noch für die neue Ausschreibung im laufenden Jahr umgesetzt werden.“