Vor allem die Finanzierung der Mütterrente und die Auswirkungen des Ruhestands mit 63 sind bei einer Expertenanhörung umstritten

Berlin. Es geht um das teuerste Gesetz der Großen Koalition: die Rentenreform. Zwölf Experten waren am Montag in den Bundestag zur öffentlichen Anhörung vor dem Ausschuss für Arbeit und Soziales geladen, um ein Urteil über die Pläne abzugeben, die bis 2030 mindestens 160 Milliarden Euro kosten sollen. Kerstin Griese (SPD), die Ausschussvorsitzende, versicherte gleich zu Beginn: „Wir wollen etwas lernen.“ Tatsächlich jedoch stand schon bei Beginn der Expertenbefragung fest: Große Änderungen sind weder bei der Rente mit 63 noch bei der Mütterrente zu erwarten. Angesichts ihrer überwältigenden Mehrheit fällt es SPD und Union diesmal besonders leicht, sich über alle Warnungen hinwegzusetzen.

Trotzdem trifft die Koalitionäre besonders das harsche Votum der Rentenversicherer empfindlich, zeigt dieses doch, dass viele Bedenken von Ökonomen und aus der Wirtschaft an dem Gesetzespaket von der zuständigen Sozialversicherung geteilt werden. Das Gesetzesvorhaben sei „nicht sachgerecht” finanziert und führe dazu, „dass der Beitragssatz mittel- und langfristig höher und das Rentenniveau niedriger” ausfallen werde, konstatiert die Rentenversicherung. Die heute jüngeren Versicherten würden durch den „langfristig höheren Beitragssatz stärker belastet“, obwohl sie von vielen Leistungsverbesserungen nicht mehr profitieren könnten und von der Absenkung des Rentenniveaus stärker betroffen seien.

Die Arbeitgeber stoßen ins gleiche Horn. Sie halten vor allem die Rente mit 63 angesichts der Alterung der Bevölkerung und vor dem Hintergrund des wachsenden Fachkräftemangels für einen „kapitalen Fehler“. Der Verzicht auf die Abschläge bedeute zudem eine Umverteilung zugunsten besonders gut versorgter Versicherter. Der Wirtschaftsforscher Eckart Bomsdorf von der Universität Köln hält die abschlagsfreie Rente für eine „durch nichts zu rechtfertigende Privilegierung“ eines Teils der Versicherten zulasten der restlichen Bevölkerung. Angesichts der demografischen Entwicklung sei die Verkürzung der Lebensarbeitszeit kontraproduktiv: „Das fällt uns in wenigen Jahren auf die Füße.“

Mit der abschlagsfreien Rente für Arbeitnehmer, die 45 Beitragsjahre vorweisen können, erfüllt Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) einen Herzenswunsch der Gewerkschaften. Kein Wunder, dass deren Vertreter die Anhörung nutzen, um Warnungen der Wirtschaft vor der Gefahr einer neuen Frühverrentungswelle zu widersprechen. „Die Kritik an der Rente mit 63 ist maßlos“, rügte der Deutsche Gewerkschaftsbund und lobte, dass die Rentenleistungen erstmals seit vielen Jahren wieder ausgeweitet werden sollen. Dies sei „ein richtiges Zeichen“ und werde die Akzeptanz des staatlichen Alterssicherungssystems erhöhen.

Gewerkschaften und Arbeitgeber sind sich allerdings einig in ihrer Kritik an der Finanzierung der Mütterrente. Frauen, die ihre Kinder vor 1992 geboren haben, werden künftig zwei Erziehungsjahre bei der Rente anerkannt, bislang gibt es für sie nur ein Erziehungsjahr, für jüngere Frauen dagegen drei Jahre. Dieses von der Union durchgesetzte Vorhaben ist der teuerste Teil des Rentenpakets. Anders als bisher sollen die zusätzlichen Erziehungszeiten aus der Rentenkasse und nicht über Steuern finanziert werden. Die derzeit üppige Reserve der Rentenversicherung wird deshalb binnen weniger Jahre aufgezehrt sein. „Ein solcher Griff in die Taschen der Beitragszahler wäre unverantwortlich”, warnt der DGB und fordert, die Mütterrente sollte „vollständig aus Steuermitteln finanziert” werden. Und die Arbeitgeber monieren, dass die Beitragszahler Mütterrenten für Ärzte, Anwälte oder Selbstständige finanzieren müssten, die selbst nie in die Rentenkasse eingezahlt hätten.